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Vorratsdatenspeicherung gefährdet Pressefreiheit - Enttarnt durch Metadaten

Was erzählen die Daten, die jeder am Telefon und im Internet hinterlässt? Der freie Journalist Daniel Moßbrucker hat es an sich ausprobiert – und eine Vorratsdatenspeicherung simuliert. Das Ergebnis: Anhand seiner digitalen Spuren hätte man seine Informanten ermitteln können

Autoreninfo

Daniel Moßbrucker ist freier Journalist in Hamburg. Er arbeitet unter anderem für die ARD.

So erreichen Sie Daniel Moßbrucker:

In einigen Wochen will die Große Koalition die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Dann sollen die Kommunikationsdaten aller Bürger gespeichert werden. Die Gegner behaupten, die Maßnahme gefährde nicht nur die Privatsphäre aller, sondern auch die Demokratie. Kritik kommt unter anderem von Journalisten. Ein Medienbündnis hat eine Stellungnahme gegen den geplanten Gesetzentwurf veröffentlicht.

Ihre Befürchtung: Die Pressefreiheit könne Schaden nehmen.

Ein Beweis dafür fehlte bislang jedoch. Es gab nur die Beispiele von zwei Grünen-Politikern: Der Bundestagsabgeordnete Malte Spitz und der Schweizer Nationalrat Balthasar Glättli hatten all ihre Vorratsdaten bereitgestellt. Techniker bastelten daraus Bewegungsprofile, in denen jeder nachvollziehen kann, wie tief die Überwachung in die Privatsphäre eines jeden Einzelnen eingreifen kann. Was die Massenspeicherung für Medienvertreter bedeutet, wurde bislang nicht überprüft.

Vorratsdatenspeicherung als Selbstversuch

Das wollte ich ändern – und habe mich bei einer journalistischen Recherche selbst überwacht.

Es galt herauszufinden, was digitale Daten über Journalisten und ihre Informanten offenbaren – und wer auf diese Daten zugreifen darf. Dazu habe ich über Wochen digitale Daten erfasst, die ich bei einer Recherche für „boerse.ARD.de“ hinterlassen habe. Sozusagen eine Simulation der Vorratsdatenspeicherung.

Laut dem aktuell diskutierten Gesetzentwurf sollen Verbindungsdaten von Telefongesprächen und IP-Adressen zehn Wochen gespeichert werden, Standortdaten von Mobiltelefonen vier Wochen. Zwar sollen Berufsgeheimnisträger – insbesondere Journalisten, Rechtsanwälte, Ärzte und Geistliche – von einer Auswertung ausgenommen werden, um deren Informanten, Mandanten, Patienten und Vertraute zu schützen.

Doch die Regel widerspricht der Realität: Um zu wissen, dass Daten nicht ausgewertet werden dürfen, müssen sie zunächst einmal ausgewertet werden. Sensible Informationen wie die über Informanten von Journalisten sind damit in der Welt. Außerdem erlaubt es die Strafprozessordnung (§ 160a) weiterhin, in bestimmten Fällen Kommunikationsdaten von Journalisten eben doch auszuwerten. Der Quellenschutz wäre bei einer Vorratsdatenspeicherung damit gleich an zwei Stellen gefährdet.

Das „Cicero“-Urteil stärkte den Informantenschutz

Quellenschutz ist kein persönliches Privileg von Journalisten, sondern essenziell für das Funktionieren einer Demokratie. In den wegweisenden Urteilen zur „Spiegel“- und zur „Cicero“-Affäre hat das Bundesverfassungsgericht dies bekräftigt und den publizistischen Informantenschutz gestärkt. Journalisten müssen ihren Quellen Anonymität zusichern können, betonten die Richter, um sensible Informationen zu erhalten. Nur so sei kritische Berichterstattung möglich. Journalisten dürfen vor Gericht daher die Aussage verweigern, Redaktionsräume sind für Durchsuchungen tabu.

Wie viel sind diese Schutzrechte im digitalen Zeitalter aber noch wert? Ich habe Journalistik an der TU Dortmund studiert und arbeite nebenbei als freier Journalist. Der Plan für meine Abschlussarbeit war, alle Telefon- und Internetdaten zu sammeln, die bei einer einzelnen Recherche anfielen. Anschließend wollte ich auswerten, was die Daten über mich und meine Informanten offenbaren. Nicht einmal mein Professor Tobias Gostomzyk ahnte, dass ich gut fünf Monate später vor einem Berg aus fast 40 Millionen Daten sitzen würde. Allein ein zwanzigminütiges Skype-Gespräch produziert einen Gigabyte Daten.

40 Millionen Daten

Ich bin zwar an digitalen Themen interessiert, habe aber nie Informatik studiert und wurde von der Dimension entsprechend überrascht. Ich bat zwei IT-Experten um Hilfe, musste mir tieferes Wissen über Internetprotokolle und Mobilfunkstandards aneignen. Vermutlich ist das einer der Gründe, warum so wenige von uns wissen, wie viele Daten wir mittlerweile hinterlassen.

Während einer Recherche für boerse.ARD.de erhielt ich sensible Informationen. Die Hinweise auf meine Quelle hätte ich vor Gericht verschweigen dürfen. Ich zeichnete über Wochen jede digitale Aktivität meiner Recherche auf. Auf meinem PC lief dafür ein halbes Dutzend Programme mit, um Netzwerkdaten, Cookies und Browserverläufe zu loggen. Und mein Handy löschte keine Telefondaten mehr, damit ich sie später noch auswerten konnte. Diese Auswertung war später die eigentliche Herausforderung. Der Ansatz war, jedes Kommunikationsmittel – Telefon, SMS, Email etc. – einzeln zu analysieren und gleichzeitig mit allen anderen vergleichbar zu machen. So sollte später das gesamte Beziehungsnetz sichtbar werden, das die Datenspuren über mich gesponnen hatte.

Es galt vor allem, korrekt zu filtern, denn ich wollte nur Daten auswerten, die vor Gericht verwertbar gewesen wären. Eine sogenannte Verkehrsdaten-Abfrage erlaubt mehr als eine Vorratsdatenspeicherung; IP-Adressen können Verkehrs- oder Bestandsdaten sein; Daten aus dem Internetprotokoll dürfen beim Aufruf einer Website nicht gespeichert werden – beim Email-Versand oder Internettelefonie hingegen schon. Kompliziert und häufig unübersichtlich. Doch das Ergebnis war eindeutig.

Bei jedem einzelnen Kommunikationsmittel (Telefon, Email etc.) offenbarten die Daten eine enge Beziehung zu Informanten. Mit einer Vorratsdatenspeicherung in der aktuell diskutierten Fassung wären diese Daten erfasst worden. Damit wäre meine Quelle entlarvt und mein Zeugnisverweigerungsrecht ausgehebelt worden.

Vorratsdatenspeicherung greift fundamentale Werte an

In vielen Fällen malten die Daten sogar ein genaueres Bild meiner Recherche, als ich mich selbst noch erinnern konnte. Manchmal war es aber auch irreführend. Mit einer Person telefonierte ich über fünf Mal, einmal über 30 Minuten. Vermutlich hatte sie die Informationen, die ich suchte – gab sie mir aber nicht. Das sagen die Daten nicht. Daten sagen immer nur so viel, wie wir in sie hineininterpretieren.

Wenn uns der Staat pauschal überwachen darf, weiß er alles über uns und kann alles in unser Leben hineininterpretieren. Wollen wir das wirklich?

Vielen Menschen ist die Vorratsdatenspeicherung vor allem deshalb egal, weil sie sich nicht betroffen fühlen. Als normaler Bürger interessiere sich der Staat nicht für sie. Eine Vorratsdatenspeicherung betrifft jedoch nicht nur bestimmte Berufsgruppen. Sie raubt unserer Gesellschaft die Vertraulichkeit und greift fundamentale Werte an: eine freie Presse, eine faire Justiz, die Schweigepflicht von Medizinern und freie Religionsausübung.

Wollen wir diese Grundwerte nicht einem vagen Gefühl von Sicherheit opfern, müssen wir uns gegen die Vorratsdatenspeicherung wehren. Das hat mir mein Selbstversuch gezeigt. Eine Totalüberwachung verträgt sich schlecht mit demokratischen Grundwerten.

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