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Schul- und Bildungsreform - Goethe statt Google!

Kisslers Konter: Sogenannte „Soft skills“ werden in der Schule immer wichtiger. Inhalte treten dagegen mehr und mehr in den Hintergrund. Ein Raubbau an der Bildung, findet unser Kolumnist Alexander Kissler

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die um keine Zuspitzung verlegene Redaktion von „Hart, aber fair“ wollte gestern über den „Problemfall Schule“ unter dem Titel „Zu viel Goethe, zu wenig Google?“ palavern lassen. Der Tod von Günter Grass machte dem Vorhaben ein Ende, die Show wich der „Blechtrommel“. Das Thema aber bleibt bestürzend aktuell, da die im Titel aufgeworfene Frage von den meisten Experten, Politikern und Betroffenen nur noch als rhetorisch wahrgenommen wird. Klar doch, Medienkompetenz stärken, Literaturgedöns kürzen, was sonst?

Nicht den Geist vergessen
 

Das Gegenteil ist richtig. Vielleicht darf hier kurz daran erinnert werden, dass Google ein milliardenschwerer, unfassbar rentabler Konzern aus den Vereinigten Staaten ist, der wie jedes Unternehmen auf Rendite und Profit aus ist. Seine Tools für das virtuelle Leben sind praktisch und omnipräsent, auf sie verzichten zu wollen, wäre unsinnig. Schule sollte aber nicht der Ort sein, an dem unsere taktile Wisch-und-Scroll-Elite zu vollendeten Virtuosen des Digitalen fortgebildet wird. Und Schule darf kein Raum sein, wo über den Werkzeugen der Geist vergessen wird, der nötig ist, damit sie dienen und nicht herrschen. Eigentlich.

Die Leichtigkeit, mit der – wie nun in der Ankündigung zu besagter Talkshow – vom „weltfremden Stoff“ geredet wird, verstetigt den Sieg der Mittel über die Zwecke. Welche Welt bitteschön wollen wir haben, jetzt und inskünftig, welche Weltbilder sollen darum Kindern und Jugendlichen vermittelt werden? Das sind die Fragen, an denen unsere ganze stolze Zivilität hängt. Nicht zufällig driftet diese in Randbereiche des Barbarischen ab in einer Zeit, die sich an ihrer technischen Modernität berauscht, ohne nach den Folgekosten zu fragen. Wenn zu jedem Problem eine technische Lösung passen soll, ist es dann ein Wunder, wenn wir Welt und Technik verwechseln?

Google interessiert sich nur für Google
 

Wahrhaft welthaltig ist nicht Google, das immer abprallen wird an der Scheidemauer technischer Weltbezwingung, sondern Goethe. Er taugt zum Sinnbild für Weltneugier, Weltleidenschaft, Weltwissen, während Google in des Wortes strenger Bedeutung weltfremd ist: Google interessiert sich nur für Google. Dass Goethe kein Freund der Mathematik war, dass er dem Kausalitätsprinzip misstraute und lieber dem „Prinzip verständiger Ordnung“ auf der Spur blieb, schlug seinem unmittelbaren Nachleben zum Nachteil aus. Schon den Romantikern galt er als gestrig. Heute, da der zweckrational verhexte Globus aus der Achse zu springen droht, erkennen wir deutlich: Das Nichtbegriffene knechtet. Denn wer wollte behaupten, die sogenannte digitale Revolution hinreichend durchdrungen zu haben, um sie ohne Preisgabe der eigenen Souveränität nutzen zu können – ohne herabzusinken zum geldwerten Datentier auf anderer Leute Rechnung?

Goethe war das bloß Bewahrende fremd. Gedanken, wusste er, „sind vorwärts gerichtet wie Flaggen und Wimpel; nur ein Trauriger steht rückwärts gewendet am Mast.“ Er interessierte sich für alles zwischen Edelstein und Farbenlehre, Zwischenknochen und Sagenstoff, pädagogischer Provinz und Weltliteratur, weil er in allem Spuren zu entdecken vermochte des einen Sinnes: dass der Mensch da sei, um seinen einzigartigen Standort zu begreifen inmitten des Geschaffenen und gerade so schöpferisch zu werden. Goethe, nicht Google könnte den Weg weisen zu einem Blick auf die Welt, wie er heute nottut; auf die Welt als ewig Werdendes. Die Zahlen hingegen, aus denen Google seinen digitalen Orbit formt, sind immer schon gewesen, sind vergangen, wenn sie auf uns kommen. Die Hysterie, mit der der Gegenwart zugunsten einer noch bunteren Zukunft der Garaus gemacht werden soll, beweist es.

Bildung als wichtigste Ressource rohstoffarmer Länder
 

Die Bildungspolitik will davon nichts wissen. Sie schleift lieber die Restbestände humanistischen Weltwissens und will den Berlinern Schülern künftig das Unterrichtsfach Geschichte ersparen. Es soll in der 5. und 6. Klasse durch „Gesellschaftswissenschaften“ ersetzt werden. Auch so betreibt man Raubbau an der angeblich doch wichtigsten Ressource rohstoffarmer Länder überhaupt, der Bildung. Ihr ist – mit Goethe, versteht sich – entgegenzuhalten: O ihr Lehrplanverklapper und Reformvermurxer in eurem selbst sich nährenden Nivellierungsrausch, lernt doch endlich, dass Bildung nur Bildung ist, wo sie den ganzen Menschen bildet. Auch heute kommt es „offenbar im Leben aufs Leben und nicht auf ein Resultat desselben an“.

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