- Durchs wilde Absurdistan
Christoph Zürcher von der Neuen Zürcher Zeitung bleibt nichts erspart: Menschenfressende Komodowarane in Indonesien, Alkohol-Exzesse in Pakistan und ein Puff-Besuch mit somalischen Piraten. Jetzt erscheinen seine Reportagen als Buch
Dem Hörensagen nach versuchen die Redaktore der Sonntags-NZZ seit Jahren, ihren Ressortleiter Christoph Zürcher loszuwerden. Weil sie es aber nicht fertigbringen, ihm ihre Meinung offen ins Gesicht zu sagen, haben sie einen heimtückischen Plan ausgeheckt: Sooft es nur geht, schicken sie Zürcher an die tödlichsten Orte der Welt.
Das stelle ich mir folgendermaßen vor: Alle paar Monate klingelt Zürchers Telefon. Dann flüstert ein Redaktor mit honigsüßer Stimme: „Na, Zürcher, willst' zu den Kannibalen gehen?“ Oder: „Zürcher, wie wär’s mit einem Ultramarathon durch den brasilianischen Dschungel?“ Oder: „Zürcher, geh doch mal mit somalischen Piraten in den Puff!“
Warum eigentlich nicht?, denkt sich Zürcher, packt seine Sachen und fährt los.
Tja – warum eigentlich nicht? Auf diese Frage gibt es jedesmal viele gute Antworten. Aber von Vorrecherchen hält Zürcher wenig. Das erklärt er folgendermaßen: „Der Vorteil des Ignoranten ist es ja, dass sein Wissensstand der Sorge kaum Nahrung bietet.“
Also fährt er frohen Mutes zu den menschenfressenden Komodowaranen nach Indonesien oder säuft auf illegalen Single-Parties im streng muslimischen Pakistan.
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Mit den Beschreibungen dieser Ausflüge unterhält er seit bald zehn Jahren die Leser der NZZ am Sonntag. Man muss den perfiden Plan der Redaktore daher als gescheitert betrachten. Vermutlich schäumen sie vor Wut und stecken sich aus Frust gegenseitig Bleistifte ins Ohr.
Zürchers Reportagen erscheinen jetzt erstmals in Buchform. Wer schon immer wissen wollte, wie Katzen-Schlangen-Hühner-Suppe schmeckt, wie es den Männern im Matriarchat der Koso geht und was man so denkt, wenn einem ein Talib den Lauf einer Maschinenpistole an die Schläfe drückt, wird hier fündig.
Nächste Seite: Nicht die übliche Angeberliteratur
„Okay“, sagt jetzt der Nörgler: „Das klingt nach der üblichen Angeberliteratur, die Buchhandlungen sind voll davon.“ Zugegeben. Aber Zürcher ist kein öder Reisereporter, der mit stolzgeschwellter Brust eine sackhüpfende Saharadurchquerung beschreibt. Im Gegenteil.
Eine gute Zürcher-Geschichte ist eine Geschichte vom Scheitern: Seine Suche nach dem Grab Dschingis Khans endet in völliger Ratlosigkeit irgendwo in den Weiten der mongolischen Wildnis. Der Versuch, zweihundert Kilometer durch den Dschungel zu laufen, muss abgebrochen werden; Soldaten bergen den völlig dehydrierten Reporter auf einer improvisierten Bahre. Und Osama bin Laden hat er auch nicht gefunden.
Kurz gesagt: Christoph Zürcher hat die hohe Kunst des Scheiterns gemeistert. Wir alle sind seine Schüler. Das allein wäre Grund genug, seine Geschichten zu lesen. Dabei habe ich noch gar nichts über seine famose Schreibe gesagt.
Eine Geschichte beginnt so: „Auch nüchtern betrachtet präsentiert sich die Situation wie folgt ...“ Wer hier nicht weiterliest, sollte dringend seine Vitalfunktionen checken. Später kommen Beobachtungen wie: „Kühe kann auch ein lauer Tornado kilometerweit durch die Gegend schleudern. Einer Kuh, die so etwas lebend überstand, war für drei Tage schwindlig.“ Oder: „Wir saßen mit dem Häuptling des Dorfes auf der zerfallenen Veranda vor dem Haus der Missionare. Der Häuptling trug als Hut die Hälfte eines Fußballs.“
Solche Kleinode machen die Lektüre zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Zürcher verteilt sie mit der Großzügigkeit eines Königs aus tausendundeiner Nacht.
Bleibt die Frage: Wie hält er's mit der Wahrhaftigkeit?
In einem Interview hat er dazu lässig erklärt: „Ich halte es mit dem ehemaligen Chefredaktor des Economist, der sagte: ‚Zuerst vereinfachen und dann übertreiben.‘ Diese beiden Dinge darf man bis zum Gehtnichtmehr praktizieren.“
Das, denke ich, fasst es ganz gut zusammen.
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