- Raab-Anarchie statt deutschem Dünkel
Die Einwände gegen Stefan Raab als Moderator im Kanzlerduell sind nichts anderes als bildungsbürgerliche Dünkelhaftigkeit – und zeugen von einem seltsamen Demokratieverständnis
Ich kann die Aufregung wegen Stefan Raab nicht verstehen. Soll er das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück (mit)moderieren? Ja, was spricht denn eigentlich dagegen?
So ganz plausibel erscheinen mir die Argumente meines verehrten Kollegen Alexander Kissler nicht, der gestern an dieser Stelle schon wieder den Untergang des Abendlandes beschwor, nur weil möglicherweise ein Gewächs aus dem unterhaltenden Genre auf zwei Spitzenpolitiker losgelassen wird. Mit Stefan Raab, so schreibt Kissler, würde „der wahrlich ritualisierte Schlagabtausch endgültig als unreformierbar erscheinen“. Warum ausgerechnet eine Figur wie Raab, der mit berstendem Einfallsreichtum und seinem brennenden Ehrgeiz die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten seit Jahren vor sich hertreibt, neuerdings als fleischgewordenes Symbol des TV-Reformstaus herhalten soll, ist mir schlichtweg schleierhaft.
„Er wird durch seine schiere Präsenz zeigen, dass man lieber in die Pubertät flieht, als versuchsweise zurückzufinden zu Argument und Gegenargument“, unkt Kissler. Dabei ist doch das Gegenteil wahr: Wenn Stefan Raab im fortgeschrittenen Mannesalter zu der Erkenntnis gelangt, dass es außer Wok-Eiskanalrodeln, Schneemobil-Slalom und ähnlichen lustigen Mutproben auch noch andere wichtige Dinge im Leben gibt – Politik, beispielsweise –, dann ist das ja gerade keine Regression in die Kindheit, sondern vielmehr ein kultureller Fortschritt.
Und den sollen wir Raab nicht gönnen, nur weil er politisch zu den Spätberufenen gehört und nicht schon seit Jahrzehnten wie die ehrenwerten Kollegen Deppendorf, Frey, Schausten etc. im Berliner Regierungsviertel herumwichtelt, um dort an seinem Image als politischer Vollchecker-Journalist der Wichtigkeitsstufe 1 zu laborieren?
Wer die bis zur totalen Schnarchigkeit durchchoreographierten „Duelle“ (man denke nur an den pulstreibenden Showdown zwischen Merkel und Steinmeier vor knapp vier Jahren) auch nur in ungefährer Erinnerung behalten hat, kann sich gar nichts besseres wünschen als einen Fragensteller mit etwas Rest-Anarchie im Blut. Wobei ich schon jetzt ziemlich sicher bin, dass das ganze Gesprächs-Procedere von vorneherein derart reglementiert ist, dass es am Ende keinen Unterschied macht, ob nun Stefan Raab, Anke Engelke oder Hansi Hinterseer den Part des Wildcard-Moderators übernehmen.
Seite 2: Politik ist keine Elite-Veranstaltung
Auf Spiegel online hat sich der um den Zustand unserer Demokratie stets besonders besorgte Kolumnist Jakob Augstein ebenfalls als Wächter der Reinlichkeit im Informationsfernsehen hervorgetan: „Politik ist eine ernste Sache, und Fernsehen, das sich mit Politik befasst, sollte auch eine ernste Sache sein.“ Amen.
Dabei ist es genau diese dünkelhafte Haltung, mit der Politik als eine „ernste“ Angelegenheit beschworen wird (und somit dem Zuständigkeitsbereich des vermeintlich spaßaffinen Pöbels entzogen werden soll), die das Interesse an ihr immer weiter erlahmen lässt. Diesen Affekt kennt man zur Genüge aus dem Bereich der schönen Künste: Ein Werk, das nicht den Gütestempel der hochmögenden Kulturbewertungsindustrie trägt, kann ja wohl einfach nichts taugen – und ist dann bestenfalls noch seichte Unterhaltung. Mit seinem pseudodemokratischen Betroffenheitsgeschwurbel profiliert sich Augstein eher als Anwalt des Dreiklassen-Wahlrechts, wenn er schreibt, die Talkshow sei „das neue Parlament“ – und im gleichen Atemzug hinzufügt: „Umso wichtiger, sie nicht Stefan Raab zu überlassen.“
Aha. Und ich dachte immer, die Vorzüge unseres organisierten Gemeinwesens bestehen gerade darin, dass jedem (volljährigen) Bürger dieses Landes das Recht zugestanden wird, sich wählen zu lassen und mithin im Parlament vertreten zu sein. Für das „neue Parlament“ müssen die Kandidaten dagegen wohl erst einmal den Augsteinschen Demokratie-Tauglichkeitstest überstehen, bei dem Raab qua Herkunft aus dem Unterhaltungsfernsehen offenbar von vorneherein keine Chance hat. Diskriminierung hat eben viele Facetten. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass bildungsbürgerliche Arroganz im Jahr 2013 noch so borniert klingen kann.
Kein Wunder, dass Peer Steinbrück als Erster reflexhaft mit Empörung und Abscheu auf die Personalie Raab reagiert hat. Wie souverän wirkte dagegen doch Angela Merkels lakonische Einlassung, sie habe nicht vor, sich in die Frage der Moderatorenauswahl für das Kandidatenduell einzumischen.
Als Guido Westerwelle vor etlichen Jahren im Big-Brother-Container zu Gast war, um mit den Bewohnern über Politik zu reden, ist er von den wohlmeinenden Gralshütern des gesellschaftlichen Diskurses als „Spaßpolitiker“ verhöhnt worden. Mir ist bis heute rätselhaft, was an diesem Auftritt verwerflicher gewesen sein soll als beispielsweise die Teilnahme an einer Talkrunde von Frank Plasberg, bei der nach jedem halbwegs zu Ende formulierten Gedanken irgendwelche läppischen Einspielfilme gezeigt werden müssen, damit einem die auf Informationshäppchen konditionierte Zuschauerschaft auch bloß nicht von der Stange geht.
Wenn Politiker „nah bei den Menschen“ sein sollen, wie es die staatstragenden Bescheidwisser-Journalisten immer wieder treuherzig fordern, wüsste ich nicht, warum dafür manche Foren besser sein sollen als andere. Oder sind Fernsehformate, über die man im Juste Milieu der kommentierenden Stände die Nase rümpft, etwa ein exterritorialer Unterschichten-Hades? In einem Land, das es Leuten wie Stefan Raab wegen angeblicher Unwürdigkeit vorenthalten will, Politikern Fragen zu stellen, möchte ich jedenfalls nicht leben.
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