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Polizei im NS-Staat: Falsche Freunde und Helfer
Die Legende vom guten Schutzpolizisten im Nationalsozialismus hält sich bis heute, vor allem in der Polizei selbst. Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin bringt schockierende Tatsachen ans Licht. Viele Polizisten dienten dem NS-Regime mit mörderischer Inbrunst.
Schwarzweiße Filmbilder von Westerland auf Sylt: Meer und Strand, Badegäste, ein Paar spaziert durch die Dünen. Auch im Büro des freundlichen Bürgermeisters wurde gefilmt, allerdings war der früher mal ein Henker. „Urlaub auf Sylt“ heißt der ostdeutsche Defa-Film von 1957. Die Regisseure Andrew und Annelie Thorndike decken darin mithilfe von Wochenschauen und Dokumentaraufnahmen die Vergangenheit von Heinz Reinefarth auf, der 1951 als Mitglied des „Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ zum Bürgermeister Westerlands gewählt wurde. Seine im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen standen ihm dabei nicht im Weg.
Als höherer SS- und Polizeiführer hatte Reinefarth im Herbst 1944 den Warschauer Aufstand der nationalpolnischen „Heimatarmee“ niedergeschlagen. Angehörige der Wehrmacht, der SS und der Polizei ermordeten von Anfang August bis Anfang Oktober 1944 circa 180000 Menschen. Die Männer der „Kampfgruppe Reinefarth“ erschossen allein in den ersten Augusttagen 15000 polnische Zivilisten. Auch Frauen und Kinder, selbst Patienten verschiedener Krankenhäuser wurden durch Genickschüsse hingerichtet. Das NS-Regime zeichnete Reinefarth für den „Erfolg“ in Warschau mit dem Militärorden „Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes“ aus.
„Urlaub auf Sylt“ gehört zu den über 500 Exponaten der Ausstellung „Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“ im Deutschen Historischen Museum (DHM), darunter auch Reinefarths Uniformmantel und eine Maschinenpistole der polnischen „Heimatarmee“. „Reinefarth ist für seine Taten nie verurteilt worden“, sagt Andreas Mix, der Kurator der Ausstellung, „obwohl die polnischen Behörden mehrfach seine Auslieferung forderten.“ Der Kalte Krieg habe den sogenannten „Schlächter von Warschau“ davor bewahrt. Zwar wurden gegen ihn zwei Ermittlungsverfahren eingeleitet, doch wurden diese schnell wieder eingestellt. Es kam nie zu einer Anklage. 1958 zog der Bürgermeister von Westerland auch als Abgeordneter in den Landtag von Schleswig-Holstein ein.
Der Defa-Streifen wiederum ist ein typisches Beispiel für die Kampagnen der DDR gegen die Bundesrepublik. Die Thorndikes schnitten auch einige Archivbilder in den Film, die mit Reinefarths Taten nichts zu tun hatten. „Der Film ist propagandistisch“, sagt Mix. Gleichwohl machten viele ehemalige Polizisten des NS-Staates in der späteren Bundesrepublik wieder Karriere – oft bei der Kriminalpolizei in größeren Städten oder in Landeskriminalämtern. Das nutzte die DDR, in der es diese personelle Kontinuität im Polizeidienst kaum gab, als Angriffsfläche.
1969 wurde in der DDR etwa gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer und Angehörigen der Gestapo Josef Blösche die Todesstrafe verhängt. Blösche wirkte 1943 brutal an der Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstands mit und ist auf dem ikonisch gewordenen Foto vom kleinen Jungen mit den erhobenen Händen zu sehen. „Dem nach außen propagierten Selbstbild des antifaschistischen Musterstaats hat die DDR trotzdem nicht entsprochen“, meint Mix. Wie im Nachbaarstaat hätten sich auch dort letztlich nur wenige Polizisten des NS-Staates vor einem Gericht verantworten müssen.
Über 60 Jahre nach Kriegsende stellt sich die Institution Polizei nun ihrer eigenen Geschichte. Die Ausstellung, die das DHM in Kooperation mit der Hochschule der Polizei erarbeitet hat, ist die erste bundesweite und umfassende Aufarbeitung der Rolle der Polizei im Nationalsozialismus. In sieben Räumen spannen die Ausstellungsmacher einen Bogen von der Weimarer Republik bis heute. Projektleiter Wolfgang Schulte von der Hochschule der Polizei bilanziert: „Bis Anfang der neunziger Jahre war die Aufarbeitung der Rolle der Polizei eine sehr unzureichende und unredliche.“ Insbesondere in Westdeutschland betrieben ehemalige Polizisten Geschichtsschreibung in eigener Sache und blockierten damit eine Aufarbeitung der Verbrechen von Kriminal- und Ordnungspolizisten. Auch das dokumentiert die Ausstellung.
In den Jahren 1949/50 veröffentlichte der Spiegel eine 30-teilige Serie zur Geschichte der Kriminalpolizei im Nationalsozialismus. Autor war Bernd Wehner, der im NS-Staat die Abteilung für Tötungsdelikte im Reichskriminalpolizeiamt geleitet hatte. Die Kriminalpolizei unterstand im Dritten Reich wie die Gestapo dem „Hauptamt Sicherheitspolizei“ unter Reinhard Heydrich – dem späteren „Reichssicherheitshauptamt“. Sie war also keineswegs eine unpolitische Organisation. Genau dies vermittelte Wehner jedoch in der Spiegel-Serie und verbreitete auf diesem Weg die Vorstellung von einer unbefleckten Kriminalpolizei. Er selbst leitete ab 1954 die Kripo Düsseldorf.
Die „Kleine Polizeigeschichte“ (1954) von Paul Riege wusch auch die Ordnungspolizisten rein. Seit 1936 war das Hauptamt „Ordnungspolizei“ unter Kurt Daluege neben dem „Hauptamt Sicherheitspolizei“ der zweite große Organisationsbereich der Polizei. Beide unterstanden Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei. Zur Ordnungspolizei zählten uniformierte Schutzpolizei und Gendarmerie, außerdem die Feuerschutzpolizei und die Technische Nothilfe. Paul Riege war bis 1943 General der Ordnungspolizei und SS-Gruppenführer, fiel dann aber bei Himmler in Ungnade und wurde in den vorzeitigen Ruhestand abgeschoben. „Deswegen beanspruchte er für sich, mit Verbrechen nichts zu tun gehabt zu haben“, sagt Schulte. Das saubere Image habe Riege dann auf die gesamte Ordnungspolizei übertragen.
Dass auch „ganz normale Ordnungspolizisten“ Verbrechen an Zivilisten im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten begingen, dass sie Deportationszüge in Konzentrations- und Vernichtungslager bewachten, Juden in Russland, Polen und der Ukraine kaltblütig hinrichteten, erwähnt die „Kleine Polizeigeschichte“ nicht. Das Buch richtete sich vor allem an junge Polizeibeamte und wurde in Polizeischulen und Behördenbibliotheken breit rezipiert. „Deswegen konnte sich die Legende vom guten Schutzpolizisten so lange halten“, sagt Schulte.
Auch die strafrechtliche Ahndung der Verbrechen von NS-Polizisten wurde erfolgreich hintertrieben. Um den ehemaligen Chef des Kommandoamts im „Hauptamt Ordnungspolizei“, Adolf von Bomhard, habe es „eine Seilschaft ehemaliger NS-Polizisten“ gegeben, so Schulte. Gegen einige dieser Polizisten war Anklage erhoben worden. Die Täter sprachen sich vor der Gerichtsverhandlung ab. „Sie stellten sich gegenseitig einen Persilschein aus.“ Von Bomhard hatte bereits vor dem Tribunal in Nürnberg einen Meineid abgelegt. Seine eidesstattliche Erklärung vom 13. Juli 1946 lautet: „Kein Polizeiberufsoffizier des Hauptamtes Ordnungspolizei hat je einen gegen Recht und Gesetz und Menschlichkeit verstoßenden Befehl unterschrieben.“
„Der Polizist im Dritten Reich war nicht der gute Schutzmann von nebenan, er war kein Freund und Helfer“, sagt auch Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke. „Mit diesem Irrglauben räumt die Ausstellung gründlich auf.“ Die Polizei habe das rassistische Regime des NS-Staates mitgetragen und sich gegen Juden und Zwangsarbeiter gerichtet. „Sie war zum Beispiel auch für den Luftschutz zuständig – und ließ bei Bombenangriffen nur Angehörige der sogenannten Volksgemeinschaft in den Bunker“, erklärt Woidke.
Für den Minister spielt die Ausstellung eine wichtige Rolle. Die Idee für das Projekt entstand 2007 in Oranienburg an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Initiator war Detlef Graf von Schwerin, der ehemalige Polizeipräsident von Potsdam, der damals das Zentrum für Zeitgeschichte der Polizei leitete. Schwerin hatte täglich das Gelände der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen vor Augen, denn die Fachhochschule ist in den ehemaligen Gebäuden der Wachmannschaften untergebracht. Seit 2006 werden Brandenburgs angehende Polizisten dort ausgebildet. „Zu reflektieren, was die Polizei im NS-Staat gemacht hat, muss Teil der Ausbildung junger Polizisten sein“, sagt er. Ausgehend von diesem Gedanken setzte sich der Historiker, dessen Vater Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld zum Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 gehörte, für die grundlegende und öffentliche Aufarbeitung der Rolle der Polizei im Dritten Reich ein. Er gewann die Deutsche Hochschule der Polizei und das Deutsche Historische Museum für sein Vorhaben. Außerdem fand der Sozialdemokrat in Brandenburgs damaligem Innenminister Jörg Schönbohm einen Mitstreiter.
2008 beschloss die Innenministerkonferenz in Bad Saarow, die Ausstellung zu realisieren – unter Schönbohms Vorsitz. Die Länder, zuständig für die Polizei, finanzieren die Ausstellung nun mit 950000 Euro, weitere 300000 Euro stellt das DHM zur Verfügung. Widerstände gegen das Projekt seien ihm nicht im Gedächtnis geblieben, sagt Jörg Schönbohm heute. In der Innenministerkonferenz sei vielmehr schnell Konsens gewesen, die Aufarbeitung der Polizeigeschichte bundesweit anzugehen. „Die Ausstellung zeigt, dass Polizei auch missbraucht werden kann, wenn der Bezug zum Rechtsstaat fehlt.“ Und dies, erklärt er, müssten sich Polizisten immer vor Augen halten.
Lesen Sie im nächsten Teil, warum die gesellschaftliche Debatte im Zuge der Ausstellung um ein Vielfaches kleiner und ruhiger ausfallen wird, als beispielsweise bei der Wehrmachtausstellung von Reemtsma.
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