- Wenn der Migrant aus der Rolle fällt
Muslimische Autoren wie Akif Pirinçci und Hamed Abdel-Samad halten den Deutschen den (Zerr-)Spiegel vor. Sie warnen vor einer naiven Toleranz gegenüber radikalen Moslems. Doch die Kritiker wollen es nicht hören
Da schäumt der Feuilletonist, der nun gar kein feinsinniger Kritiker mehr ist. Am liebsten würde er Akif Pirinçci in den vielen Verrissen ertränken und sein Werk „Deutschland von Sinnen“ auf den Scheiterhaufen befördern. Und all die anderen Schundschriften gleich mit: Diesen Sarrazin, der einen Bestseller nach dem anderen fabriziert mit schrägen Thesen wie „Deutschland schafft sich ab“ oder „Der neue Tugendterror“. Jetzt warnt auch noch der gebürtige Kairoer Hamed Abdel-Samad vor einem „islamischen Faschismus“ und befeuert damit den „Kampf der Kulturen“, den vor zwanzig Jahren schon der US-Wissenschaftler Samuel P. Huntington vorhergesagt hat.
Pirinçci: Heiliger Zorn und Hurensöhne
Da versiegt die Toleranz derer, die sonst so eifrig vor Intoleranz warnen. „Die Zeit“ setzt Pirinçcis Streitschrift gar mit Hitlers „Mein Kampf“ gleich. Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez empört sich über die „Anleitung zum Hass“. Eine selbst ernannte Publikumsrats-Initiative beschwert sich beim ZDF, weil der Sender den türkischstämmigen Autor im Morgenmagazin interviewt hat.
Der Furor hat drei Ursachen:
Da ist einmal die bittere Erkenntnis, dass die Schleusenwärter der politischen Korrektheit an Macht verlieren. Ihre Appelle „Lest das nicht!“ führen beim Publikum genau zur gegenteiligen Reaktion. Selbst Totschweigen hilft nicht mehr: Pirinçcis Polemik kletterte beim Internethändler Amazon im Nu auf den Spitzenplatz. Die sonst so geschätzte Netz-Gemeinde entscheidet selbst, was sie zum Bestseller erhebt. Sie hält sich nicht mehr an die Selektion von Lektoren oder die Benotung der Kritiker.
Seitdem man Bücher auch elektronisch verbreiten kann, erreichen Meinungen ein breites Publikum, die man wie weiland die Mönche in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ am liebsten im Giftschrank verwahren möchte. Die Zensoren bestätigen damit, was Thilo Sarrazin zwar als „die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland beklagt“, letztlich aber doch nicht mehr funktioniert. Das ist bitter.
Zum zweiten erregt natürlich die Sprache. Pirinçci, der mit Katzenkrimis wie „Felidae“ Millionenauflagen erreicht und in 17 Sprachen übersetzt wird, ist dieses Mal kein Feingeist. Er greift tief in den fäkalen Wortschatz, lässt seinem „heiligen Zorn über dien korrupte, politisch korrekte Kaste, die nur ihre eigenen Interessen verfolgt“, freien Lauf. Kaum eine der 276 Seiten kommt ohne „Hurensöhne, ficken, Pimmel, Schwanz, Schwuchtel, knallen, lecken, Lesbentittengesauge“ aus, um „den irren Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ unter den verbalen Schlaghammer zu nehmen.
Hier haben die Kritiker Recht: Diese verbale Radikalität schadet dem Buch. Aber: Kommt derlei derbe Polemik von Links und richtet sich gegen Bankster, Kapitalismus oder konservative Spießer, dann wird sie als Kunst gewürdigt. Wenn Dramaturgen, Regisseure und Autoren die üblichen Verdächtigen mit Verbalinjurien eindecken, wird dies von jenen als „kritische Gegenwartsanalyse“ gefeiert, die jetzt Pirinçci einen „Hassprediger“ nennen.
Wie schnell sich Gut in Böse verwandeln lässt, verdeutlich auch der Umgang mit dessen Verleger Thomas Hoof, der die Grünen mit- und das alternative Warenhaus „Manufactum“ alleine gegründet hat: Aus dem öko-korrekten Händler der „guten Dinge“ wird kurzerhand ein brauner Finsterling. Dabei sind die Produkte, die seit 2007 der Otto-Konzern vertreibt, dieselben.
Abdel-Samad und Pirinçci: ungeeignet als Kronzeugen für mangelnde Integrationspolitik
Drittens verstört, dass Pirinçci aus der Rolle fällt. Das Gastarbeiterkind, das 1969 mit leeren Händen nach Deutschland kam, klagt nicht den „latenten Rassismus der Deutschen“ an, wie es sich für einen Migranten gehört, um in Talkshow eingeladen zu werden. Er eignet sich nicht als Kronzeuge für „mangelnde Integrationspolitik“. Im Gegenteil, er rechnet wortgewaltig mit einer naiven Integrationspolitik ab, die Zuwanderung generell in Misskredit bringt.
Daraus entspringt die Wut: Dass sich die Deutschen in seinem „Mutterland“ von „radikalen Islamisten auf der Nase herumtanzen lassen“; dass Kulturschaffende und Medien so viel Verständnis aufbringen für einen rückwärtsgewandten Islam – und damit jene Mehrheit vor den Kopf stößt, die wie er in Deutschland längst einen modernen, liberalen Islam lebt, ohne von Stütze zu leben.
Pirinçci ist kein einsamer Rufer. Güner Balci stößt in „Sonntag Aktuell“ in dasselbe Horn: Moderne Muslime fühlen sich von der deutschen Politik im Stich gelassen und müssen mit ansehen, wie ihre Kinder von radikalen Salafisten verführt werden: „Freiheit ist für sie eine Form der Gotteslästerung.“ Auch Hamed Abdel-Samad will den Deutschen mit seiner Analyse über den islamischen Fanatismus die verblendeten Augen öffnen: Demokratie und politischer Islamismus schließen sich aus – daran können auch noch so viele Islamkonferenzen nichts ändern.
Ein aufgeklärtes Land würde nun mit provokanten Beobachtern wie Pirinçci, Abdel-Samad & Co. diskutieren. So wie die Dänen über die Anklagen des Lyrik-Rappers Yahya Hassan gegen „heuchlerische Muslime, die das Land verachten, in das sie geflohen sind“, ernst nehmen. Mal emotional, mal sachlich ließen sich auch bei uns die Thesen der Bestseller-Autoren auf ihre Stichhaltigkeit hin hinterfragen: Wie steht es um die Parallelgesellschaften, die wir nicht sehen wollen? Fördern wir die falschen Muslime – und stoßen damit jene vor den Kopf, die sich in ihrer neuen Heimat an Recht und Gesetz halten? Die Kritiker müssten ab und an nur mal die eigenen Blätter lesen, um zu sehen, dass die liberalen Muslime mit ihren Klagen so falsch nicht liegen. Vor allem Spiegel-TV übernimmt hier eine aufklärerische Funktion und berichtet furchtfrei über arabische Clans in Hamburg, Berlin und den Ruhrgebiet. Das trauen sich ARD und ZDF längst nicht mehr.
Deshalb wird es zu einer offenen Debatte nicht kommen. Linke dürfen Podien stürmen. In Berlin oder Hamburg dürfen sie sogar fast risikolos „Luxuskarossen abfackeln“. Aber die Ergüsse eines „Homunkulus aus dem Labor neokonservativer Theorien“, wie Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung angewidert über Pirinçci und sein Buch schreibt, zur Diskussion stellen? Bloß nicht. Zu groß ist die Angst vor dem Beifall „von der falschen Seite“. Toleranz hat schließlich Grenzen.
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