- Oben ohne im Rampenlicht
Frauenrechtsaktivistinnen verirren sich mit blanken Brüsten auf die Berlinale, „Gold” entäuscht mit hölzernen Dialogen und Oppenheimer rechtfertigt mit „The Act of Killing” ein ganzes Genre. Reporter Constantin Magnis berichtet von der Berlinale
Touristen aus Fernost, die den Stadtplan falschrum halten und das Buandanbuga Tor nicht finden, gibt es ja auch den Rest des Jahres in der Hauptstadt. Aber während der Berlinale treten verlaufene Menschen natürlich gehäuft auf, insbesondere um den Potsdamer Platz herum. In den ersten Tagen wurden zum Beispiel vier verirrte Aktivistinnen der Frauenrechtsgruppe Femen gesichtet. Sie wollten mit ihren Protestplakaten gegen Genitalverstümmelung sicher eigentlich nach Dschibuti oder Burkina Faso, stattdessen standen sie aber an der Ecke Eichhornstrasse, verunsichert rufend und winkend, bei der Saukälte, ohne Schals, Pullover oder BH, bis die Polizei ihnen weitergeholfen hat, hoffentlich auch mit der Wegbeschreibung.
Insofern passt der einzige deutsche Wettbewerbsbeitrag dieses Jahr ganz gut ins Programm: „Gold“ von Thomas Arslan handelt im Prinzip von einer schlecht geführten, deutschen Reisegruppe, die pausenlos droht sich zu verlaufen. Im Jahre 1898 stößt das Ex-Kindermädchen Emily Meyer (Nina Hoss) zu einem Häuflein Abenteurer, deren erklärtes Ziel es ist, am Yukon im äußersten Norden des Landes Gold zu finden, reich zu werden, nochmal von vorne anfangen zu können. Emily, die Nina Hoss-Figur die wir kennenlernen, ist die Nina Hoss die uns bereits bekannt ist, aus Filmen wie „Barbara“ oder „Jerichow“: Eine Fremde unter Fremden in der Fremde, guckt viel, sagt wenig. „Das Pferd da hinten lassen sie besser in Ruhe, es lässt sich nicht gerne von Anderen anfassen.“, sagt ihr der Tierpfleger– er könnte damit auch sie meinen. Und mit dem Moment des Aufbruchs passiert dann alles, was passieren muss, auf einer klassischen Heldenreise. „Let me tell you my dear, it’s a terrible trip“, wird Emily von einem Postbeamten gewarnt, einem der vielen, obligatorischen Warnposten am Rande des mühsamen Weges. Pferdekadaver, schweigende und mahnende Indianer, ein verrückter Alter, der ihnen wortlos vom Norden her entgegenstolpert, ein Selbstmörder, der aufgeknüpft an einem Ast baumelt – die versammelten Klassiker der unguten Omen, alles Gründe die Reise abzubrechen und umzukehren. Bald bricht das Rad des Küchenwagens, ein Pferd stürzt tödlich und verletzt dabei auch seinen Reiter, es taucht ein Fluss auf, der nicht auf der Karte verzeichnet ist, der Gruppenführer verliert bald nicht nur die Orientierung, sondern auch den Glauben an den Erfolg der Reise. Je weiter die Menschen gen Norden vorstoßen, je schroffer die Landschaft, desto geringer wird ihre Anzahl, weil sie aufgeben, ausgestoßen werden oder sterben, und als die Übriggebliebenen bis an die Schneegrenze des Nordens vorgestoßen sind, heulen auf einmal die Wölfe. Und den Goldsuchern auf den Fersen, das wissen wir schon eine Weile, sind zwei Gestalten, die sich durch ihren stereotypen Cowboyschritt unzweifelhaft als die Bad-Guys zu erkennen gegeben haben.
Nicht nur die Geschichte über den Menschen, der über sich und seinen eigenen, kleinen Gartenzaun hinauswächst, ist nicht mehr ganz frisch. Die einsam klagenden E-Gitarren-Riffs, die kargen, knorrigen Waldbilder, die Reisenden, die in das vor ihnen liegende Verderben reiten, während sie von hinten der Tod verfolgt: Das alles haben wir origineller schon einmal in Jim Jarmuschs morbiden und poetischen Western „Dead Man“ erlebt. Und die eigentlich majestätischen Naturaufnahmen, die Bilder der hölzernen Siedlungen im amerikanischen Norden des vorletzten Jahrhunderts, leiden gelegentlich unter der gefilterten Sterilität zu glatt polierter Werbeaufnahmen. Und dann ist da diese Sache, die vielleicht sogar ein grundsätzliches Problem des neueren deutschen Films ist. Es liegt, glaube ich, weder am Drehbuch, noch an der Regie, sondern an den Schauspielern, an der Art, wie sie ihre Dialoge sprechen. Nämlich so, dass man ihnen ihre Sätze nicht glaubt, und nie vergisst, dass man es mit Schauspielern zu tun hat. Weil sie irgendwie zu deutlich artikulieren, als stünden sie auf einer Bühne mit schlechter Akustik. Das gibt ihrem Schauspiel etwas Artifizielles, Hölzernes, und nervt. Bin ich der einzige, der dieses Problem hat?
Es gibt dagegen auch Filme, deren Existenz allein ein ganzes Genre rechtfertigen. So ein Film ist Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm „The Act of Killing“. Am Anfang steht ein ergrauter Massenmörder auf einem Hausdach, und schwelgt in Erinnerung an die Menschenmassen, die er hier ermordet hat. Mit dem Messer zuerst, aber das gab zu viel Blut, und das Blut hat gestunken, also hat er die Menschen mit einem Draht erdrosselt, das war einfacher, und appetitlicher. „Here, I can show you“, sagt er, und demonstriert seine Würgetechnik vor der Kamera. Dann tanzt er ausgelassen und selbstverliebt grinsend in einen kleinen Cha-Cha-Cha auf dem Dach. Am Ende des Filmes steht der Mann wieder auf dem Dach, denkt wieder an seine Taten, nur tanzt er nicht mehr, sonden erbricht sich, und würgt, und würgt, und kann nicht aufhören. Sechs Jahre liegen zwischen diesen Bildern, und ein Film, der dem Mörder einen Funken von Begriff für die eigene Schuld gegeben hat, und vielleicht der gewaltigste, unfassbarste der diesjährigen Berlinale ist.
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Der Mann auf dem Dach heißt Anwar Congo, er ist ehemaliger Kommandant des blutrünstigsten Killerkommandos Indonesiens, einer der Banden, die nach dem indonesischen Militärputsch 1965 mit dem Segen der Regierung innerhalb eines Jahres über eine Million vermeintlicher Kommunisten umgebracht haben. Bis heute werden er und seine Schergen dafür als Freiheitshelden verehrt. Und deshalb ist er eitel genug, an einem Film mitzuwirken, in dem er selbst seine Taten von damals noch einmal nachstellen, mehr noch: neu inszenieren darf. Und schon werden wir hineingezogen, in den Wahnsinn, langsam, von außen nach innen. Wir sehen wie Anwar auf seiner Heimatinsel Sumatra von dortigen paramilitärischen Einheiten, die nebenbei das Land terrorisieren, verehrt wird, von der Politik getätschelt und im Fernsehen für seine Morde als Held gefeiert. Anwar selbst erklärt uns, warum man Menschen am besten in Jeans schlachtet, wie man die anschließenden Alpträume in den Griff bekommt, und worin für ihn der Reiz des Mordens bestand: „Why do people watch James Bond? To see action! Why do people watch films with Nazis? To see power and sadism! Well, we could even be more sadistic than in Nazi movies!“ Wir folgen Anwar und seinen Gehilfen in die filmische Inszenierung ihrer Taten, die er zuerst nur rekonstruiert, dann aber zunehmend impressionistisch inszeniert, als Märchen oder Gangsterfilm, bis wir tatsächlich im Unterbewusstsein, in den Alpträumen und den jenseitigen Hoffnungen des Mannes angelangen, in surrealen, teils monumentalen Sequenzen, die an die irrsten Szenen im „Cremaster Cycle“ des Künstlers Matthew Barney erinnern. Und ganz allmählich, spätestens als er selbst während der Dreharbeiten die Opferrolle einnimmt, verhört wird, ein Messer ans Gesicht und eine Stahlschlinge um den Nacken bekommt, dämmert ihm etwas.
Was daraus entsteht, hat entfernt etwas mit der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens zu tun: Wie Ebenezer Scrooge bekommt Answar Congo - auch wenn er nichts mehr daran ändern kann - die unerhörte Chance, sich und sein Leben von außen zu betrachten, und wir werden Zeugen, wie der Killer sich scheinbar zum ersten Mal die Frage stellt, ob und an wem er sich eigentlich versündigt hat.
Gute Dokumentarfilme legen den Blick frei auf das Unbekannte. The Act of Killing geht viel, viel weiter. Er stößt uns kopfüber und ohne Frühstück in eine Parallelwelt, von deren Existenz wir nichts ahnten, und deren Wirklichkeit er penetriert, und freilegt, Schicht um Schicht, bis wir Dinge erfahren haben, von denen wir nicht einmal wussten, dass wir sie erfragen konnten.
Wie hoch „The Act of Killing“ die Latte für Dokumentarfilme gelegt hat, zeigt sich dann allerdings auf frustrierende Weise daran, wie abgeschmackt und oberflächlich „Narco Cultura“ im Vergleich wirkt. Was einem der Reportagefilm von Shaoul Schwarz über den Drogenkrieg in Mexiko erzählen und zeigen wird, weiß man schon, bevor man im Kinosessel sitzt. Funkelnd und kunstvoll eingefangen sind die Bilder und Geschichten des israelischen Kriegsfotografen alle, neu und lehrreich die wenigsten. Erstaunlich ist der Einblick in die Szene der„Narcocorridos“ – die mexikanische Variante der Gangster-Rapper - die mit ihren Mariachiartigen Liedern auf dem musikalischen und intellektuellen Niveau primitivster Volksmusik die Drogenbarone als moderne Robin Hoods glorifizieren, und damit längst Massentauglich geworden sind. Verblüffend ist auch der Besuch auf dem Friedhof von Culiacán, wo die Drogenbosse ihre Mausoleen errichten wie die Pharaonen ihre Pyramiden, und sich gerne hinter kugelsicherem Glas inklusive ihrer Luxus-Trucks bestatten lassen, in ganzen Villen, begehbaren Palästen, einer größer als der andere.
Doch ansonsten sehen wir nur, was wir befürchtet hatten: Ohne Ende Leichen, wie sie erschossen im Staub und in ihrem eigenen Blut in der Gosse liegen oder verkohlt aus Autowracks gezogen werden. Wir sehen die weinenden Familien und die verstörten Anwohner. Wir sehen die Polisten der Grenzstadt Ciudad Juarez, deren Blick vor Angst tierisch und scheel geworden ist, keine Helden, sondern Männer, die den Job nur machen, weil sie die Arbeitslosigkeit mehr fürchten als die Kugeln. Überall bekommen wir Geschichten von der Macht der „Narcos“, der Drogenbanden zu hören, wie sie ungehindert in den Gefängnissen ein- und ausgehen, Gegner in ihren Zelle exekutieren, wie sie den Polizeifunk mit Musik stören um so gutgelaunt und Telefonstreichartig Morde anzukündigen, wie sie auf YouTube Politiker zum Rücktritt auffordern, und diese auf der Stelle ihren Schreibtisch räumen. Und wir sehen auch einen Jungen, der zu theatralisch-dramatischen Geigenklängen den pathetischen Satz sagt: „Ich wünschte die Narcos würden alle weggehen, aus unserer Stadt.“
Überhaupt, die Musik, die uns ununterbrochen vorgibt, wann wir betroffen und betrübt zu sein haben. Als traue der Film seinen Bildern nicht zu, für sich selbst zu sprechen. Nun, die Wahrheit ist, was die Bilder und Menschen sagen, bleibt merkwürdig hohl. Jeder sagt ein bisschen was, hier ein Opfer, da ein Täter, hier ein Journalist, dort ein Polizist, vielleicht hätte jeder von ihnen seinen eigenen Film verdient. So aber hat man das Gefühl, keinem von ihnen nahe gekommen zu sein. Der Film bleibt an der Oberfläche, und überschminkt diesen Mangel mit Sentimentalität. Und am Ende lernen wir nur, was wir eh schon lange wussten: Ganz schön schrecklich, der Drogenkrieg in Mexiko.
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