Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Kutschera, Steinbach und Pirinçci - Warum nur um Böhmermann bangen?

Kisslers Konter: Wer sich mit Jan Böhmermann solidarisiert, dürfte von Kutschera, Steinbach und Pirinçci eigentlich nicht schweigen. Auch abseitige Meinungen muss eine Republik ertragen. Sonst stirbt die Utopie von Freiheit

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Theoretisch ist es eine einfache Sache um die Meinungsfreiheit: Jeder und jede hat in einer freien Republik wie der deutschen das Recht, seine Meinung zu äußern. Man muss sagen können dürfen, was man gut findet, was schlecht, wo das Herz schlägt und wo der Kamm schwillt. Eine Zensur findet nicht statt. Doch muss jede Meinung, einmal geäußert, vom Publikum gehört und flugs weiterverbreitet werden? Ist die Meinungs- immer Veröffentlichungsfreiheit? Steht ihre Wiege im stillen Kämmerlein oder auf dem Marktplatz? Praktisch ist es eine schwierige Sache.

Im Fall des Fernsehkomikers Jan Böhmermann schien der Fall klar: Zwar habe der Zotenkönig mit seinem Anti-Erdogan-Gedicht überzogen, doch sei es „die Aufgabe von Kunst und Satire, öffentliche Diskurse zu entfachen“. So stand es in einem Offenen Brief zahlreicher Künstler und Künstlerinnen, die sich mit Böhmermann solidarisierten und Merkel ob der Erlaubnis zur Eröffnung eines Strafverfahrens rügten. Fernsehkomikerkollege Oliver Kalkofe erklärte: „Auch bei uns ist das Recht auf Satire und freie Meinungsäußerung zwar theoretisch gegeben – endet aber leider dort, wo der Adressat eines Scherzes den Witz nicht verstanden hat.“

Bloße „Verbalwissenschaften“?


Lässt sich diese Aussage umstandslos auf die weit weniger stark skandalisierten Fälle Kutschera, Steinbach und Pirinçci übertragen? Haben auch diese drei Polemiker je eigener Statur das Böhmermann’sche Recht, Diskurse zu entfachen und Meinungen frei zu äußern?

Der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera ist der momentan lautstärkste Streiter gegen alle Gender-Forschung. Er nennt sie eine „quasi-religiöse“, ganz und gar unwissenschaftliche „Strömung“, die als Gender Mainstreaming „immer mehr, gleich einem Krebsgeschwür, sämtliche Fachgebiete erobern möchte“.

Von Geisteswissenschaften hält der Naturwissenschaftler generell wenig, würdigt sie zu bloßen „Verbalwissenschaften“ herab. Starker Tobak. Handelte die Frauenbeauftragte der Philipps-Universität Marburg recht, als sie darauf drang, Kutschera als Gastredner auszuladen?

Kam Kutschera der Ausladung zuvor, als er aus Sorge um „Proteste bzw. Störungen von der Marburger Gender-Fraktion und dem Asta“ den Auftritt absagte?

Darüber streiten die Auguren. Fakt ist: Kutschera redete nicht am 13. April im Marburger „Studium generale“ über den „Ursprung des Lebens“. Er war nicht erwünscht.

Erika Steinbach: unerwünscht


Als Persona non grata an einem katholischen Gymnasium darf sich auch Erika Steinbach fühlen. Die streitbare, nicht immer stilsichere CDU-Bundestagsabgeordnete, Sprecherin ihrer Fraktion für Menschenrechte, heftige Kritikerin der Merkel’schen Flüchtlingspolitik, wurde kurzfristig um ein Fernbleiben gebeten. Steinbach twitterte nach der Nachricht vom Bad Nauheimer Lioba-Gymnasium: „Monatelang hat die Schule mich bedrängt zu kommen. Jetzt kuscht man vor der Antifa. Meinungsfreiheit, Demokratie!?“ Beigefügt ist ein Artikel aus der Lokalpresse, demzufolge der Direktor der Schule sich den Bedenken einiger Schüler gebeugt habe. Er wird mit den Worten zitiert, „es wäre nur noch um die aktuelle Flüchtlingspolitik und die Äußerungen Steinbachs gegangen“. Geplant war eine Veranstaltung zum Thema „70 Jahre Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg“. Der Artikel endet mit dem Hinweis, durch die Absage habe die Schule eine „Konfrontation mit der Antifaschistischen Bildungsinitiative (Antifa BI) aus Friedberg“ verhindert. Hat die Schule recht gehandelt?

Und was ist von Grossisten, Buchhändlern und Büchereien zu halten, die das Gesamtwerk des Akif Pirinçci mit einem Bannfluch belegt haben? Man mache die Probe aufs Exempel bei buchkatalog.de: Die Katzenkrimis seit 1989, die Wut- und Zotenbücher seit 2014 („Deutschland von Sinnen“ etc.), 17 Titel insgesamt, gelten als „nicht mehr erhältlich“ oder „nicht mehr lieferbar“. Eine von Pirinçci neu annoncierte Polemik namens „Umvolkung“ wird nicht aufgeführt. „Wohlgemerkt“, beklagt sich der Autor, „kein einziges dieser Bücher steht auf dem Index, geschweige denn ist verboten“. Wohl aber blamierte sich Pirinçci im Oktober vergangenen Jahres auf einer „Pegida“-Demonstration nach allen Regeln der Kunst mit einer fäkalgesättigten Stolperrede, KZ-Vergleich und Islamschmähung inklusive. Ordinärer ging’s nimmer. Seitdem ist er ein Autor für den Giftschrank.

Nur Gerichte setzen Grenzen


Die Katzenkrimis sind leichtverdauliche Unterhaltungsware, die Debattenbücher zeigen, dass da jemand begrifflich in der Analphase stecken geblieben ist. Hat Pirinçci also zu schweigen, darf man ihm das Wort entziehen? Freie Unternehmer – um solche handelt es sich bei Verlagen wie Großhändlern – dürfen frei entscheiden, welche Ware sie feilbieten, welche nicht. Dennoch hat es ein G’schmäckle, wenn dominante Marktteilnehmer den „öffentlichen Diskurs“ derart massiv beschneiden. Die Güte einer Meinung, geschweige denn ihre politische Erwünschtheit berührt den Grad der Freiheit nicht, der ihr zukommt. Meinungen sind frei, unbeschadet ihres Inhalts. Nur Gerichte setzen Grenzen.

Kutschera und Steinbach wiederum können sich nicht auf Kunstfreiheit berufen. Wohl aber sollten Bildungsstätten wie Schulen und Universitäten in der Lage sein, ihr Kerngeschäft zu betreiben, die Organisation von Diskursen. Die doppelte Ausladung stellt den Veranstaltern ein schlechteres Zeugnis aus als den Ausgeladenen. Was ist von einer Hochschule zu halten, die nicht in der Lage ist, auch Polemik und Kraftmeierei wissenschaftlich einzuhegen? Was von einem Gymnasium, das seinen Schülern nicht zutraut, den Ausführungen einer Bundestagsabgeordneten kritisch zu folgen? Was von Asta, Antifa und Frauenbeauftragten, die Dialoge lieber verweigern als sich ihnen zu stellen? Die Antwort ist in allen Fällen: nichts ist davon zu halten. So dankt der Geist ab und zieht die Faust in die Arena.

Wer Böhmermann sehen will, der möge ihn sehen. Wer Pirinçci lesen will, der möge ihn lesen. Wer Steinbach und Kutschera hören will, der möge sie hören. In allen vier Fällen ist die Angst vor der falschen Meinung der falsche Ratgeber. Meinung löst Gegenmeinung aus, auf These folgt Antithese, und die Synthese ist die freie Gesellschaft. An dieser Utopie sollten wir festhalten und den Preis ertragen: das Recht auf Äußerung auch der unverschämten, anmaßenden, irrigen Meinung. Der Rest sind Gerichte.

Jürgen Trittin hat übrigens soeben Jan Böhmermann für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.