- Mo Yan, Liu Xiaobo und all die anderen
Die Verleihung des Literaturnobelpreises an den chinesischen Schriftsteller Mo Yan hat lautstarke Kritik ausgelöst. Schriftsteller und Sinologe Tilman Spengler über ein Missverständnis
1. Wann je hat eine Entscheidung des Stockholmer Nobelpreiskomitees zu Hosianna Rufen unter den Kritikern geführt? Ich kann mich nicht daran erinnern, und wenn ich in die Archive blicke, finde ich kein anderes Bild. John Steinbeck, um nur eines der markantesten Beispiele zu wählen, wollte 1962 die Auszeichnung gar nicht erst annehmen, weil zuvor seine Schriftstellerkollegin Pearl S. Buck, nun ja, nobelitiert worden war – für einen Roman, den Steinbeck schlicht „zum Würgen“ fand. Dieser Roman hieß übrigens „Die gute Erde“ und spielte in China, der Heimat von Mo Yan, dem Preisträger des Jahres 2012.
Die noch lange nicht verhallenden Reaktionen auf Mo Yans Auszeichnung übertrafen allerdings an Vehemenz alle klassischen Einwände der vergangenen Jahre. Auf Mo Yan prasselten nicht nur die klassischen Hiebe, er sei nun mal kein Philip Roth und dichte zudem schlechter als Bob Dylan, nein, der Vorwurf lautete, dieser „weitgehend unbekannte“ chinesische Schriftsteller sei Staatsfreund Nr. 1 im Reich der Volksrepublik, seine Würdigung durch die Stockholmer Akademie sei, wie Ai Weiwei es am vergangenen Donnerstag sinngemäß ausdrückte, „ein Schlag gegen die Humanität“. Dass der Künstler ein paar Tage später revozierte, verstärkte den Ruf seiner Virtuosität.
Der am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Liao Yiwu blieb dagegen bei seinem öffentlichen Entsetzen über die Würdigung seines Landsmanns und fügte noch hinzu, die Wahrheit sei allemal wichtiger als Literatur. Literatur und Lüge wurden so wieder zusammengepfercht.
Mo Yan, halten wir das fest, ist stellvertretender Vorsitzender des Chinesischen Schriftstellerverbandes und damit in der Tat einem Machtapparat sehr, sehr nahe, dessen Maßnahmen gegen das freie Wort meist ekelerregende Formen annehmen. Wer vor drei Jahren auf der Frankfurter Buchmesse miterleben musste, wie die chinesischen Funktionäre den ihnen zur Aufsicht überstellten Autoren gleichsam glühende Mistgabeln an den Hosenboden hielten, konnte davon einen bleibenden Eindruck bekommen. Mo Yan war damals der schriftstellerische Leiter der Delegation. Und ob unser Autor ganz bei Trost war, als er 2002 eine Ansprache von Mao Zedong aus dem Jahr 2002 durch seine eigenhändige Kalligraphie ehrte, wird nur Mo Yan selber beantworten können. In jener Erklärung Maos heißt es, grob gesagt, nur ein Schriftsteller, der die Linie der Partei befolgt, ist ein guter Schriftsteller. Das denken zwar auch heute noch viele in der Partei, doch diesen Schwachsinn sollte nicht gerade ein Autor vergolden, der sich in der Tradition von Weltliteratur sieht.
2. Und letzteres völlig zu Recht. Denn die künstlerische Qualität von Mo Yans Werken stellt auch international niemand in Frage, der etwas von moderner chinesischer Literatur versteht. Anders gesagt: Es darf, etwa, dem Roman „Das Rote Kornfeld“ nicht vorgeworfen werden, dass ihn auch einige Funktionäre der Kommunistischen Partei schätzen. Genauso wenig wie ihm seine immense Popularität unter chinesischen Lesern angekreidet werden soll. Mo Yan hat schließlich mit seiner Sprachkraft der chinesischen Erzählkunst ein neues Terrain erschlossen. So wie er aus Erinnerungen, brüchigem Archivmaterial, wilden Träumen das Panorama einer historischen Epoche heraufbeschwören kann, hat das in der chinesischen Literaturgeschichte vor ihm noch keiner vorgeführt. Man kann die Begründung der schwedischen Akademie, insbesondere den Begriff „halluzinatorischer Realismus“ vielleicht etwas verschraubt putzig finden, doch das Täppische der Würdigung schmälert keinesfalls das innovatorische Verdienst des Preisträgers
Und wenn, hier schnell noch hinzugefügt, verehrte Zuhörer, wenn sich ein Leser tatsächlich einmal darüber informieren möchte, wie die sogenannte Staatsschreiberei in der Volksrepublik wirklich ausschaut, dann sollte er, sollte sie sich die dortige orthodoxe, die linientreue Literatur einmal ansehen, die Mo Yan mit seinen Werken hinwegfegte. Dagegen liest sich sogar das, was seinerzeit von den SED Bonzen den Schriftstellern in Bitterfeld abverlangt und brav abgeliefert wurde, wie ein Fest der obskuren Lyrik.
Es ist bei Mo Yan zudem eine erzählerische Entwicklung zu verfolgen, die ihn auch in Themenkreise führt, deren Erwähnung der Kommunistischen Partei Chinas alles andere als angenehm ist. Wer etwa, wie Mo Yan, das Problem der öffentlich betriebenen Abtreibungspolitik in seinen Erzählungen aufgreift, der wandert, wie es der amerikanische Sinologe Howard Goldblatt ausdrückte, auf einer sehr, sehr dünnen Linie.
Auf der nächsten Seite: Hatte das Nobelpreiskomitee eine Antwort auf die Auszeichnung Liao Yiwu in Frankfurt im Sinn?
3. Damit sind wir wieder bei der Politik, für die Literaturfreunde vielleicht etwas zu schnell, doch leider notwendig, weil es in der vergangenen Woche gleich um zwei literarische Auszeichnungen an chinesische Autoren ging. In Frankfurt, das machte der Vorsitzende des Börsenvereins in seiner Rede gleich zu Beginn klar, sollte weniger das Literarische als das Bemühen um die Menschlichkeit ausgezeichnet werden. Und dem Autor Liao Yiwu kann nun niemand eine gute Beziehung zur chinesischen Parteiführung vorwerfen.
Man kann sich allerdings die Frage stellen, was genau die Juroren zu ihrem Votum bewegte. In seinem jüngsten Werk über die Geschehnisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, im Juni 2012, bricht Liao eine Lanze für die sogenannten Hooligans, die für ihre Teilnahme am Protest sehr viel schärfer bestraft wurden als etwa die Demonstranten von den Universitäten. Das ist gewiss eine noch unaufgedeckte Wahrheit und Liao stellt sie uns so vor, dass der Gedanke an Literatur gar nicht erst aufkommt. Vielleicht war es diese Strenge, die auch die laudatierende Redakteurin zu ihrer Entscheidung bewegt hatte. Im Kulturteil unserer Tageszeitungen steckt ja mehr sinologischer Sachverstand als gemeinhin vermutet werden darf.
4. Hat übrigens das Nobelpreiskomitee in Stockholm, so fragen sich mehrere deutsche Feuilletonisten, mit seiner Entscheidung für Mo Yan eine Antwort geben wollen auf die Auszeichnung von Liao Yiwu in Frankfurt?
Um die Antwort gleich vorwegzunehmen, hier einen Zusammenhang zu konstruieren, wäre ein Fall von dämlichem Größenwahn. Und zeugt von beklagenswertem Unverständnis der realen Abläufe. Der einzige gute Grund, über diese beiden Auszeichnungen sozusagen in einem einzigen Gedankenakt zu grübeln, läge darin, über die Gewichtung von Politischem und von Literarischem bei der Vergabe von renommierten Buchpreisen nachzudenken. Und dabei vielleicht bei der Hoffnung zu landen, die beiden Bereiche künftig noch getrennter zu bewerten – und auch zu würdigen. Noch viel, viel getrennter.
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