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WDR/Ingmar Cario

Liebe Diktatoren: - So nageln Sie Ihren Interviewer an die Wand

Wie übersteht man als ausländischer Despot ein Interview im deutschen Fernsehen? Ganz einfach: Indem man 14 Regeln befolgt

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Liebe Diktatoren,

kennen Sie das: Morgens wartet der Staatssender auf Ihre Berichte, der Generalstab auf Ihren Befehl zum Waffenankauf, und noch bis zum Frühstück muss ein Oppositioneller weggesperrt sein? Dann sind Sie vielleicht schon bald der nächste Kandidat auf der Liste öffentlich-rechtlicher Fernsehsender in Deutschland. Die haben nämlich ein neues Trend-Format entwickelt: das Diktatoren-Interview.

Ein Auftritt vor Millionen-Publikum hat seinen Reiz. Sie können sich als kooperativ und kritikfähig verkaufen – oder Ihren Wirtschaftsstandort anpreisen. Ins Scheinwerferlicht der westlichen Welt gezerrt zu werden, hat aber auch seine Risiken: wenn zum Beispiel Fragen nach Menschenrechten gestellt werden.

Damit im Interview auch ja Sie das Oberwasser behalten, brauchen Sie sich nur an die folgenden Grundregeln zu halten:

1. Eine gute Vorbereitung ist der halbe Sieg

Beharren Sie darauf, das Interview in Ihrem Land zu führen. Hier sind Sie der Zampano, hier können Sie jede Bewegung Ihres Gegenüber, das bestenfalls noch vom Jetlag ermüdet ist, beobachten lassen – und es so zusätzlich unter Druck setzen. Verhindern Sie, dass Ihnen echte Experten oder gar der zuständige Korrespondent für Ihr Land die Fragen stellen. Verlangen Sie den Chefredakteur! Der wird nicht nur geschmeichelt sein, sondern auch völlig unvorbereitet.

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2. Am besten sind Printinterviews

Lassen Sie sich die Fragen vorher schriftlich geben. Noch besser sind Zeitungsinterviews. Die können Sie nicht nur akribisch vorbereiten, sondern auch hinterher noch von A bis Z zu Ihren Gunsten manipulieren: „Autorisierung“ nennt man das in Deutschland – Ihnen wahrscheinlich besser bekannt als „Zensur“. Sogar ehemalige B-Promis schaffen es, deutsche Printmenschen, die von dieser Regel ausscheren, an den Pranger zu stellen. Um sich davon zu überzeugen, brauchen Sie nur den Fall Spiegel versus Ex-Piratengeschäftsführerin Marina Weisband zu googlen.

3. Lassen Sie Ihre Kader für sich arbeiten

Nur keine Scheu – Sie sitzen am längeren Hebel! Sie haben alle Parteisoldaten, Sekretäre, Speichellecker, ach was, einen ganzen Machtapparat, den Sie für sich arbeiten lassen können! Vor Ihrem deutschen Interviewer brauchen Sie sich nicht zu fürchten: Er muss allabendlich Nachrichten wegmoderieren; und sein Sender kippt die Ressourcen lieber in den Fußball als in Recherchen. Deswegen: Lassen Sie sich imposante Aktenmappen herbeibringen, gern auch mitten in der Sendung. Überrollen Sie Ihr Gegenüber mit Zahlen, Fakten, Scheinstatistiken!

Seite 2: Bluffen und palavern Sie!

4. Vergessen Sie den Dolmetscher nicht

Auch wenn Sie Deutsch sprechen, verzichten Sie nicht auf den Interpreten! Wahre Wortakrobatik kann man nur in der Muttersprache vollführen. Günstiger Nebeneffekt: Während der Journalist darauf angewiesen ist, dass der Dolmetscher Ihre Antworten übersetzt, haben Sie doppelt so viel Zeit zum Nachdenken.

5. Bluffen Sie

Verstecken Sie Ihr Wissen; hinterlassen Sie den Eindruck, Sie seien völlig unvorbereitet. Stiften Sie Verwirrung, indem Sie den Journalist gleich zu Beginn fragen: „Wie heißen Sie eigentlich?“ Später können Sie dann Ihre Joker ziehen.

6. Stellen Sie ein Autoritätsgefälle her

Lassen Sie sich konsequent mit „Herr Präsident“ anreden. Schauen Sie Ihrem Gegenüber nicht in die Augen, wenn es redet. Studieren Sie staatsmännisch Ihre Unterlagen, während es an seinen Karteikärtchen klammert.

7. Geben Sie Bumerang-Antworten

Machen Sie klar, dass Sie sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten verbitten. Kommt der Fragensteller mit dem Vorwurf, die Behörden Ihres Landes würden die Bevölkerung einschüchtern, drehen Sie in Ihrer Antwort einfach den Spieß um: „Ich glaube, Sie schüchtern die deutsche Öffentlichkeit ein.“

8. Palavern Sie

Sprechen Sie in Bandwurmsätzen, bei denen nicht mal der Dolmetscher hinterherkommt. Sagen Sie Sätze wie „Ich schaue über den Horizont hinaus…“. Lügen Sie; niemand wird Sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Wenn der Interviewer Sie mit einer neuen Frage zu unterbrechen versucht, setzen Sie Ihre vorherigen Ausführungen fort. So schinden Sie wertvolle Sendezeit.

9. Kommunizieren Sie nonverbal

Ihr Interviewer lächelt und nickt nur? Bestens! Nutzen Sie die Chancen der Körpersprache voll gegen ihn aus: Setzen Sie sich bräsig und breitbeinig in den Sessel, schwingen Sie kraftvoll Ihre Arme, lachen Sie hämisch. Seien Sie Diktator! Und im nächsten Intervall berühren Sie Ihr Gegenüber. Das schüchtert es zusätzlich ein, ist aber ein Signal ans Publikum: Hier sitzt ein Mann des Volkes. Schauen Sie in die Kamera. Menscheln Sie!

10. Übernehmen Sie die Gesprächsführung

Haben Sie das Gefühl, es könnten trotz Ihrer vorbereitenden Personalmaßnahmen kritische Fragen kommen? Dann kommen Sie denen zuvor! Machen Sie es wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad, der Claus Kleber bei der Israel-Frage in die Defensive drängte: „Warum drohen die Zionisten? Legen etwa die Zionisten ihre nuklearen Anlagen offen?“ Ausnahmsweise dürfen Sie auch von einem gefallenen Demokraten abkupfern: Als ZDF-Journalistin Bettina Schausten vom damaligen noch-Bundespräsidenten Christian Wulff wissen wollte, warum er seinen Freunden für eine Übernachtung nicht einfach 150 Euro zahle, fragte er zurück: „Machen Sie das bei Ihren Freunden so?“ Die Interviewerin antwortete tatsächlich mit „Ja“.

Seite 3: Lernen Sie von den Profis

11. Lernen Sie von den Profis

Wenn der Moderator sich nicht auf Gegenfragen einlässt, kopieren Sie den Katja-Riemann-Trick: Verschaffen Sie sich Zeit mit Sätzen wie „Die Frage verstehe ich nicht“, „Was war jetzt die Frage?“. Oder, am besten, ihre Reaktion auf NDR-Moderator Hinnerk Baumgarten: „Haben Sie diese Frage jetzt ganz im Ernst gestellt?“ Ein guter Nachahmer war Wladimir Putin, der (den Dolmetscher-Tipp berücksichtigend) auf eine Frage von Jörg Schönenborn nach der russischen Demokratie fragte: „Ich glaube, das lag vielleicht an der Übersetzung, würden Sie es bitte nochmals sagen?“

Vollführen Sie weitere schauspielerische Kniffe: Schmollen Sie, wenn man Sie auf Ihre Vergangenheit anspricht, werfen Sie Ihren Kopf in den Nacken, und weigern Sie sich, sich für Ihr Verhalten zu entschuldigen. Die große Kunst: mehr als dreißig Minuten lang nichts sagen. Das klägliche Interview wird man am Ende nicht Ihnen, sondern dem Journalisten anlasten.

12. Führen Sie ein Meta-Gespräch

Thematisieren Sie die Umstände des Interviews. Zum Beispiel können Sie sich – auch hier dient Riemann als Vorbild – darüber beschweren, dass das Scheinwerferlicht zu hell ist. Verleihen Sie Ihrer Freude Ausdruck, dass dieses Interview überhaupt stattfindet.

13. Demonstrieren Sie moralische Überlegenheit

Führen Sie aus, warum Ihr Land scheinbar demokratischer (Putin: Gouverneure in der Föderation würden direkt, deutsche Ministerpräsidenten aber nur über die Landtage gewählt) – und der Westen repressiver ist (Ahmadinejad: in Großbritannien würden Occupy-Demonstrantinnen „über den Asphalt geschleift“). Lassen Sie sich Komplimente entlocken, zum Beispiel zu Ihrer paradiesischen Steuerpolitik. Und wenn der Journalist Ihnen beipflichtet, wie schön solch niedrige Sätze auch in Deutschland wären, ermuntern Sie ihn, dafür zu kämpfen! Damit machen Sie ihn nicht nur zu Ihrem Komplizen, auch Ihr Interview haben Sie fast schon in der Tasche.

14. Schmeicheln Sie den Deutschen

Stellen Sie eine Verbindung zu den Zuschauern her: Wenn das Thema auf Ihre Menschenrechtspolitik kommt, zitieren Sie urdeutsche Werte – etwa: „Ordnung muss sein.“ Sagen Sie, warum Deutschland Ihr Handelspartner Nummer eins ist, sprechen Sie von „unseren deutschen Freunden“. Zum Abschluss krönen Sie Ihr Interview mit einem Lob auf dieses Land: „Wir mögen Deutschland sehr.“

Und schon sollten Sie mindestens für die nächsten zwei Staatsbesuche Ihre Ruhe haben.

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