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klick.klick.klick - Es gibt keinen #Echtzeitjournalismus

Das Netz macht es möglich: Nachrichten werden immer schneller und drehen sich immer mehr um sich selbst. Doch Echtzeit ist vergeudete Zeit

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Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Nein. Angela Merkel hat kein Neuland betreten. Sie hat es gesagt. Es folgten: Spott, Hohn, #hashtag-Pirouetten und internetgemäße Fäkalstürme. Doch der Skandal ist nicht Merkels rudimentäres Verständnis vom Netz – was doch irgendwie sympathisch ist. Der eigentliche Nachrichtenwert ist, dass sie überhaupt etwas gesagt hat. Etwas, das zumindest Reibung erzeugt. Etwas, das sie zumindest für den Bruchteil eines Momentes kenntlich macht; diese unkenntliche und risikoscheue Machtpolitikerin an der Spitze unserer Republik, die vor allem eines scheut: zu polarisieren.

Doch der Hashtag ist gesetzt, die „Debatte“ gewinnt an netztypischer Dynamik. Die Kritik entlädt sich allerdings an Merkels offenkundiger Unkenntnis das Netz betreffend – was wiederum vermutlich mehr über die Empörten sagt, als über besagte Kanzlerin, gegen die sich die Empörung richtet. Bereits kurz nach ihrer Aussage war das Schlagwort mit einem #hashtag versehen, um den Motten jenes Licht zu geben, das sie dann auch zielgerichtet anfliegen können. In Echtzeit – quasi.

Und auch viele Journalisten flogen mit. Der Neuland-Fall zeigt die ganze Bigotterie des Echtzeitwahns. Der Versuch, unmittelbar, schnell und möglichst filterlos das Geschehen für Dritte verfügbar und mundgerecht zu machen. Ein Trend, der auch längst im Journalismus angekommen ist.  „Der Echtzeitjournalismus hat uns geistig auf den Wilhelminismus zurückgeworfen“, kritisierte jüngst FAZ-Journalist Edo Reents  und erntet den passgenauen Hashtag: #Echtzeitjournalismus.

Absurder geht es kaum:  Da beschreibt jemand in klugen Worten den Wahnsinn unserer Zeit und wird sofort und in Echtzeit Teil des Wahnsinns.

Dabei gibt es ihn schlicht nicht: Den sogenannten Echtzeitjournalismus. Echtzeit und Journalismus bilden ein Gegensatzpaar, einen Widerspruch in sich. Sie passen in etwa so zusammen wie Twitter und Tiefe, Freiheit und Sozialismus oder Hoeneß und Bescheidenheit.

In der Datenverarbeitung meint „Echtzeit“ die tatsächliche Zeit im Unterschied zu einer simulierten oder rekonstruierten Zeit. Und hier liegt das Problem:  Es ist nicht die Aufgabe des Journalismus tatsächliche Zeit abzubilden, sondern zu rekonstruieren,  Nachrichten, Fakten in ein argumentatives Verhältnis zu setzen, zu gewichten und zu priorisieren.

Sogenannte Live-Ticker, die bei der Fußballberichterstattung immerhin noch ihren Zweck erfüllen, führen in der politischen Berichterstattung zur filterlosen Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten. (Und sind mitunter auch an der Grenze zur Pietätlosigkeit – siehe Ticker zur Flut oder sonstigen Katastrophen.) Echtzeit suggeriert dabei eine Nähe, eine Unmittelbarkeit, die sich allzu oft in Beiläufigem erschöpft. Mehr noch: „Der Echtzeit-Journalismus wirkt auf die Demokratie verheerend, weil er immer weniger Raum und Zeit dafür lässt, die Dinge zu sortieren, Abstand zu ihnen zu gewinnen und sie zu werten“, beklagt Edo Reents .

Der Abstand fehlt, die Distanz als Grundvoraussetzung einer jeden guten Analyse. Zeit als fundamentaler Bestandteil intellektueller Arbeit. Im Echtzeitjournalismus entstehen letztlich Zeilen, die kein Dazwischen mehr haben. Stattdessen wird alles niedergeschrieben, Zwischentöne unerwünscht. Raum und Platz für eigenes Denken – dafür fehlt die Zeit. Und mal ehrlich: Dass Nicht-zu-Ende-Denken führt letztlich zum größtmöglichen Zeitverlust.

Echtzeit, Gleichzeitigkeit, Live-Geschehen sind die Modeworte im Journalismus, die immer nur eine Annäherung beschreiben. Dahinter stehen Aktualitätswahn, Druck und Auflagenmaximierung.  So wird in „Echtzeit“ getickert und in Echtzeit zurückgepöbelt. Hauptsache der Schein von Aktualität ist gewahrt.

Das Tempo von Onlineportalen führt die tatsächliche Geschwindigkeit von Ereignissen mittlerweile ad absurdum. Diese Diskrepanz führt dazu , dass im Medien-System Nachrichten aus sich selbst heraus produziert werden, weil die Realität viel unspektakulärer und langatmiger ist. Das Internet bietet dann das bestmögliche Biotop. Hier treffen dann die produzierten News auf entsprechend krawallgelaunte Rezipienten.

Weil die Politik das weiß, werden die Häppchen, die einen eigentlichen Nachrichtenwert haben immer weniger und die Zerstückelung immer ausgereifter: Auf immer weniger tatsächliche Nachrichten folgen immer mehr „Echtzeitnews“. Die Folge: Wir schauen scheinbar immer genauer hin, um letztlich immer weniger zu sehen. So entsteht ein System, dass sich selber speist. Und an dessen Ende Skandälchen stehen, die die Empörung allenfalls im Titel tragen.

Und die Medien stürzen sich, weil sie stürzen müssen. Die Währung heißt klick, bezahlt wird viel zu oft mit dem Verstand. Da helfen dann meist auch keine Nehmt-Euch-Zeit-Appelle. Der Journalismus steckt in einer Identitätskrise, weil ihn die vermeintliche Transparenz- und Gleichzeitigkeitsgesellschaft in genau jene führt. Das führt im Alltag soweit, dass sich Journalisten rechtfertigen müssen, warum sie kein Twitterprofil betreiben.

Der russische Schriftsteller Michail Alexandrowitsch Scholochow beschrieb einst die Schnelligkeit als eine „Fähigkeit, die notwendig ist, um Flöhe zu fangen, aber nicht, um Bücher zu schreiben.“ Selbiges ließe sich über den Qualitätsjournalismus sagen. Kurzum: Wir sollten weniger Flöhe jagen.

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