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Psychologie - Uli Hoeneß und das psychopathische Moment

Der Psychologe Kevin Dutton beschreibt in seinem neuen Buch die Psychopathen unserer Gegenwart und fragt, was wir von ihnen lernen können. Einiges davon trifft auf Uli Hoeneß zu

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Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Als der Säbelzahntiger noch über die Steppe schlich, retteten den Menschen Panik und Fluchtreflex davor, gefressen zu werden. Wer achtsam den Urwald durchstrich, der erhöhte für sich und seine Sippschaft die Überlebenschancen. Heute sitzen wir im gepolsterten BMW, der Autopilot lenkt, bei einem Auffahrunfall verpufft das Adrenalin ungenutzt in den Venen. Angststörungen gelten als verbreitet, sie gehören zu den Zivilisationskrankheiten. Es gewinnt der Mutige, der Selbstdarsteller, der Furchtlose.

Kevin Dutton, Psychologieprofessor an der britischen Oxford-Universität, hat sich mit den Prototypen dieser Angstfreiheit  beschäftigt, mit Psychopathen. Durch seine Studien kam er zu dem Schluss, dass viele erfolgreiche Menschen über psychopathische Merkmale verfügen. Neu ist, dass er sie nicht verurteilt, sondern fragt, was wir von ihnen lernen können. Natürlich gibt es den mordenden Hannibal-Lecter-Typen, der einen Körper zerteilen kann, als wäre es der Kohlkopf fürs Dinner. Was aber viel interessanter ist: Dutton beschreibt Psychopathen, die der Gesellschaft „durch ihre Kaltblütigkeit und Entschlossenheit dienen, sie schützen und bereichern“.

Furcht und Trauer, also Angst und Depression, gehören zu den fünf grundlegenden Gefühlen von Menschen. Daneben gibt es noch Ärger, Freude und Ekel. Nach Dutton sind Furcht und Trauer in allen Kulturen präsent – jeder von uns erlebt sie irgendwann – bis auf eine Gruppe von Menschen: Psychopathen.

Der echte Psychopath agiert kalt, skrupellos, emotionslos und kurzsichtig eigennützig. Besonders unter Druck zeigt er wenig Empathie. Der Chirurg etwa ist laut Dutton geradezu ein Musterbeispiel dafür, dass sich „ein psychopathisches Talent als vorteilhaft“ erweisen könne. Und auch auf dem Börsenparkett fühlt sich der Psychopath pudelwohl. Wer als Normalo eine halbe Million verzockt hat, erbricht sich danach auf der Geschäftstoilette. Der psychopathisch veranlagte Anleger dagegen spaziert pfeifend nach Hause und schmiert sich eine Butterbemme.

In der vergangenen Woche staunte das ganze Land über den Erfolgsmanager Uli Hoeneß. In den Talkshows der Republik zerbrachen sie sich die Köpfe darüber, wie „uns Uli“ ein solches Doppelleben hatte führen können. Im Jahr 2000 soll der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus Hoeneß 20 Millionen Mark auf ein Schweizer Konto überwiesen haben – zum Spielen – unter anderem an der Börse. Hässliches Detail, das die Süddeutsche Zeitung recherchiert: In diese Zeit fällt auch die Verlängerung des Ausrüstervertrages zwischen dem FC Bayern und Adidas um weitere sieben Jahre. Etwa drei Millionen Euro soll Hoeneß dem Staat an Steuern geschuldet haben. Die seien wohl mittlerweile zurückgezahlt.

Als „rational kaum zu erklären“ sei die Sache mit der Steuerhinterziehung, schreiben erschütterte Journalisten. Habe Hoeneß doch jedes Jahr zwei Millionen Euro an soziale Einrichtungen gespendet, wie seine Freunde berichten. Alle seine Vortragshonorare und Werbeeinnahmen würden gespendet. Und nun das.

Seite 2: Die sieben Grundprinzipien der Psychopathie

Mit normalen Erklärungen ist das Phänomen Hoeneß nicht zu fassen. Und ich möchte jetzt nicht behaupten, dass der Bayernmanager ein Psychopath ist. Auch wenn die Anwälte von Herrn Hoeneß sicher gerade besseres zu tun haben, als arme Kolumnistinnen zu verklagen. Es könnte aber doch sein, dass ein paar psychopathische Merkmale nach Kevin Dutton im Spiel sind.

Er nennt sie die sieben „Siegermerkmale“ oder auch die „Grundprinzipien der Psychopathie“, nach denen Erfolgsmenschen wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, Apple-Gründer Steve Jobs, aber auch Terroristen funktionieren: Skrupellosigkeit, Charme, Fokussierung, Mentale Härte, Furchtlosigkeit, Achtsamkeit und Handeln.

Schon Aristoteles erkannte vor knapp zweieinhalbtausend Jahren, dass es kein Genie ohne einen Hauch von Wahnsinn gebe. Ein gutes halbes Jahrtausend später hat Dutton einen weiteren Psychopathen ausgemacht: Den heiligen Paulus, der als Saulus von Tarsus den Tod unzähliger Christen billigte, beschreibt Dutton als einen Mann, dem eigener Leib und eigenes Leben kaum einen Pfifferling wert schienen. Der Vertraute Jesus‘ brachte drei Schiffbrüche, sechs Jahre Gefängnis und etliche Peitschenhieben hinter sich. Dann, nach einer Steinigung in der Stadt Lystra, erhob sich der tot geglaubte Apostel, nachdem ihn seine Peiniger vor die Stadttore geschleppt hatten, vom Boden – und trat den Rückweg in die Stadt an. Er dachte nicht an Flucht.

Uli Hoeneß ist in den Tagen, an denen die ganze Republik über seine Person lästerte, ins Stadion gegangen. Er hat unter den Augen von Millionen Zuschauern auf der Tribüne des FC Bayern das Spiel gegen Barcelona verfolgt. Ganz ohne Angst.

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