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Liberale Werte - Die Meinungsfreiheit schert sich einen Dreck um Jan Böhmermann

Meinungsfreiheit ist kein elitäres Recht von Journalisten oder Möchtegern-Satirikern wie Jan Böhmermann. Sie meint zuallererst die Freiheit des Empfängers, selbst zu entscheiden, was er hören, sehen oder lesen will. Dieses Bürgerrecht von Inhalten abhängig zu machen, ist blanke Entmündigung

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Ganz ehrlich, ich habe Jan Böhmermann bislang nicht als besonders witzigen, kritischen oder tiefgründig-politischen Entertainer wahrgenommen. Seine Sendung habe ich noch nie ganz gesehen, und ich habe es auch jetzt nicht vor. Die aktuellen Diskussionen suggerieren zwar, man müsse, um mitreden zu können, das von Böhmermann vorgetragene und vom ZDF wieder kassierte „Schmähgedicht“ über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan auswendig aufsagen und genau die Beschimpfungen herausfiltern können, die unter der Gürtellinie waren.

Doch genau das muss man eben nicht. Die Idee der Meinungsfreiheit wird nicht an den Inhalten festgemacht. Sie interessiert sich nicht für die Meinungen selbst, auch nicht für die eines Herrn Böhmermann, sie setzt sie nur frei.

[video:Die Böhmermann-Sendung im Original]

Es gibt keinen qualitativen Meinungseignungstest, denn Meinungsfreiheit muss ja gerade für Meinungen gelten, die einem nicht gefallen. Das Recht auf die eigene Meinung öffentlich zu verteidigen, ist keine Heldentat und hat auch mit dem Eintreten für Meinungsfreiheit nichts zu tun. Herr Erdogan ist der glühendste Verteidiger seiner Meinungsfreiheit. Spannend wird es erst bei Ansichten, die man selbst verabscheut. „Ich verdamme, was Du sagst, aber ich werde mein Leben dafür geben, Dass Du es weiterhin sagen darfst“, lautet das dem französischen Aufklärer Voltaire zugeschriebene Zitat, das den Kern der Meinungsfreiheit umschreibt.

Meinungsfreiheit kennt kein „Aber“


Diese fundamentale Beschreibung der Idee der Meinungsfreiheit kommt ohne das Wörtchen „Aber“ aus. Es gibt bei Meinungsfreiheit auch kein „Aber“, und keine Einschränkung.

Meinungsfreiheit bedeutet, dass man alles sagen darf, was man denkt. Es ist nicht davon die Rede, dass Meinungsäußerungen keine Konsequenzen haben und man diese nicht tragen müsse. Das muss man sehr wohl, und das kann auch unangenehm sein. Diese Verpflichtung entspringt aus dem Recht auf Meinungsfreiheit. Wenn man der Meinungsfreiheit Grenzen setzt, begrenzt man auch die Pflicht, den Umgang mit der eigenen Meinung zu verantworten. Man hält eine bestimmte Meinung dann für „unverantwortlich“, meint aber eigentlich nicht die Meinung selbst, sondern den Meinenden, dem man nicht zutraut, mit seiner Meinungsfreiheit sinnvoll umzugehen.

Begrenzt man die Meinungsfreiheit, bezieht man dies immer nur auf die Freiheit der anderen, der „Unverantwortlichen“. In Wirklichkeit macht man so die eigene Meinung zum Dreh- und Angelpunkt und zieht Kreise um sie herum. Deswegen ereifern sich Menschen auch so sehr, wenn sie den Eindruck haben, bei Meinungsäußerungen werde eine „Grenze überschritten“. Je weiter ein Standpunkt vom eigenen entfernt ist, desto weniger verantwortbar erscheint er. Liberalere Menschen ziehen den Kreis ein bisschen weiter, weniger liberale ziehen ihn enger. Es scheint, als sei Toleranz eine Frage des persönlichen Geschmacks und des eigenen Aushaltens – was eine fatale Fehleinschätzung ist.

Freiheit des Empfängers


Deshalb führen auch die Auseinandersetzungen darüber, ob Böhmermanns Gedicht nun noch Satire oder schon Schmähkritik ist, in die völlig falsche Richtung. Denn wieder wird die Meinungsfreiheit von der inhaltlichen Qualität einer Meinung abhängig gemacht. Man versucht dann krampfhaft, Maßstäbe zur Einstufung von Aussagen zu entwickeln. Diese Versuche treiben die seltsamsten Blüten: Es wird dann heftig diskutiert, bis wohin eine Meinung „legal“ ist und ab wann nicht, ab welchem Punkt man eine Äußerung nicht mehr Meinung, sondern Schmähkritik oder Sonstiges nennt, was man wem sagen darf und in welcher Position jemand sein muss, um sich bestimmte Aussagen nicht mehr anhören zu müssen usw. Wer sich auf diese verschwurbelten Debatten einlässt, kann nur noch versuchen, einen möglichst hohen Preis für die Meinungsfreiheit auszuhandeln – denn dass er sie verkauft, steht bereits fest.

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt in dieser Debatte, der kaum beachtet wird – dabei ist er der eigentlich Entscheidende: In den öffentlichen Auseinandersetzungen über die Grenzen der Meinungsfreiheit konzentriert man sich immer auf die Freiheit des Redners, Schreibers oder Senders. Die Meinungsfreiheit erscheint dann wie ein Spielplatz für Intellektuelle, den man eigentlich nicht wirklich braucht. Tatsächlich geht es bei der Meinungsfreiheit aber nicht zuerst um die Freiheit des Senders, sondern eigentlich um die Freiheit des Empfängers, darum, dass jeder selbst entscheiden kann, was er hören, sehen oder lesen will. Ich will als Zuschauer selbst darüber entscheiden, ob ich Jan Böhmermann ein Stück meiner Lebenszeit opfern möchte oder nicht. Ich brauche dafür keinen Vorkoster, ich entscheide das selbst.

Auch um Minderheitenschutz geht es nicht


Eine Begrenzung der Meinungsfreiheit wird uns gerne verkauft als Schutz von Minderheiten oder Minderjährigen – oder wie beim ZDF als Instrument der „inhaltlichen Qualitätssicherung“. Und immer, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit kritisiert werden, kommen diese Argumente zu ihrem großen Auftritt: Dann geht es plötzlich um die gefährliche und verletzende Macht des freien Wortes, die es einzudämmen gilt. Das heißt, mein Wahlrecht als Publikum wird gerade in den Situationen beschnitten, in denen es auf meine eigene freie Wahl ankäme. Zensur bedeutet also, dass man verhindert, dass sich Menschen selbst entscheiden. Dies ist in Wirklichkeit die größte Verletzung und Gefährdung: Die Beschneidung der Meinungsfreiheit ist ein Angriff auf die Freiheit des Publikum, also auf die Freiheit aller Menschen.

An dieser Stelle des Gesprächs wird dann gerne die leicht zynische Frage gestellt, ob Meinungsfreiheit also heiße, dass man alles sagen dürfe. Manchmal entlarven sich bestimmte Fragestellungen von selbst, und man muss nicht in jede Falle hineintappen. Freiheit definiert sich nicht über das, was erlaubt ist: Jeder Mensch, der Positivlisten vorgelegt bekäme, in denen haarklein alles benannt wird, was legal ist, würde diese als Zeugnisse der Unfreiheit und der Bevormundung ablehnen, egal, wie lang die Listen sind. Meinungsfreiheit definiert sich nicht über Worte, die man äußern darf.

Viel sinnvoller ist es, Freiheit negativ zu fassen: Freiheit bedeutet, etwas nicht tun zu müssen, das man nicht will. Übertragen auf die Meinungsfreiheit bedeutet das: Ich muss Jan Böhmermanns Sendung nicht ansehen. Ich kann mich anders entscheiden. Aber ich will meine Meinung auch ändern können. Das ist Meinungsfreiheit.

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