
- Im Anfang war der Mord
Der Kriminalpsychiater Hans Ludwig Kröber über die Gefahren flächendeckender Kitas, sein neues Buch „Mord“, die Vernichtungskraft des Bösen und seine Weigerung den Kindermörder Magnus Gäfgen zu Begutachten
Professor Kröber, im Vorwort zu Ihrem
Buch „Mord“ behaupten sie „keineswegs jeder“ Mensch könne einen
Mord begehen. Ist das wirklich wahr?
Wenn man es eng nimmt und Totschlag - besonders reaktive
Aggressivität - ausklammert, würde ich sagen das stimmt. Es gibt,
glaube ich, viele Menschen die gezwungen werden können, andere zu
töten. Aber andere eben nicht. Jan Philipp Reemtsma hat zur
Neueröffnung der Wehrmachtsausstellung einen Vortrag über den
freien Willen gehalten. Dabei hat er drei Wehrmachtsoffiziere und
ihre Reaktion auf den Tötungsbefehl an der Ostfront verglichen.
Einer hat sofort und willig mitgemordet, der Zweite hat gezögert
aber am Ende kapituliert, der Dritte hat ihn konsequent verweigert.
Ich glaube, dass wir bei der ganzen Diskussion um Prägung und
Zufälle den Eigenanteil der Täter oft unterschätzen. Wir haben die
Fähigkeit, die Welt selbst zu gestalten, und wir haben eher zu viel
Freiheit, als zu wenig. Auch dafür, uns selbst unter Druck dem
Morden zu verweigern.
Warum überschreiten so viele Menschen dann trotzdem die
Grenze zum Mord?
Es sind unter geordneten Bedingungen sehr wenige, einer von eine
Million Menschen pro Jahr. Dass es so selten ist, führt zu der
Frage, warum dieser es dann doch tut. Wir forensischen Psychiater
versuchen oft das Unheimliche, Irritierende und Unerklärliche an
solchen Taten mit psychologischen Erklärungen einzufangen. Das wird
dann meist auf ein paar Grundfaktoren abgebucht: Impulsivität,
Narzissmus, Dominanz, sexuelles Begehren und so weiter. Aber das
greift sehr kurz, und kann immer nur einen Teil erklären. Es bleibt
am Ende sehr viel übrig, was einen äußerst nachdenklich macht.
Den Eindruck hat man auch beim Lesen ihres Buches. Dort
schildern Sie neun Kriminalfälle - vom Kidnapper, der eine Frau
wochenlang als Sex-Sklavin hält, über eine Frau, die einen
Auftragsmord für ihren Freund bestellt, bis hin zur Geschichte
eines Kindermörders - , liefern aber keine Deutungen und
Interpretationen des Geschehenen mit. Warum nicht?
Deuten muss ich in meinen Gutachten schon genug. Gerichte
wollen oft nicht mehr als eine simple, schwarz-weiße Bewertung.
Deswegen war es für mich sehr befreiend, einmal keine Gutachten zu
schreiben, sondern die Geschichte erzählen zu dürfen; es sind ja
spannende, sonderbare Geschichten. Aber tatsächlich wollte ich mit
meinem Buch auch sagen: So einfach, wie man es sich gern macht mit
dem Leben eines Täters, ist es nicht, und wenn man sich nur durch
die Klischees hangelt, bleibt das Meiste rätselhaft. Früher, in den
deutungswütigen 70er und 80er Jahren, war es noch schlimmer. Da
wusste man immer genau, warum Täter etwas getan hatten, und welche
seelischen Verletzungen dabei eine Rolle gespielt haben. Bei
Eberhard Schorsch, einem der Heroen der forensischen Psychiatrie,
war es regelhaft das fragile männliche Selbstbewusstsein, mein
Vorgänger Wilfried Rasch gab die Schuld gern den Müttern, und die
abschließende Lösung fand der Gerichtsreporter Gerhard Mauz.
Wobei auch in Ihrem Buch verdächtig viele Mütter eine
Rolle spielen...
Naja, in vier der neun Geschichten tauchen bedeutsame Mütter auf.
Aber auch dort ereignet sich ein Zusammenspiel mit dem Eigenwillen
des Täters und den lebensgeschichtlichen Zufällen. Gerade bei den
dissozialen Straftätern spielen aus meiner Sicht abwesende Väter
und ihr fehlendes Vorbild eine viel wichtigere Rolle. Was die
Ausschaltung der Mütter anbetrifft, schickt sich Deutschland ja
demnächst an, ein Massenexperiment durchzuführen, wenn die Kinder
alle schon mit einem Jahr in die Kita müssen und dann von
ehemaligen Hartz-4 Empfängern in die Mehrsprachigkeit eingeführt
werden...
Sie sind ein Kita-Skeptiker?
Ehrlich gesagt, ich finde die ganze Diskussion entsetzlich. Die
Idee ist doch knallhart darauf ausgerichtet, Frauen so schnell und
pausenlos wie möglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Es
gibt keine andere vernünftige Begründung. Dass man auf diese Weise
einjährige Kinder aus bildungsfernen Schichten frühzeitig in den
Bildungsprozess einbezieht – das halte ich wirklich für Schrott.
Inzwischen belegen empirische Untersuchungen, dass die fitten
Kinder die frühe Fremdbetreuung mit wechselnden Personen gut
überstehen, während gerade die anfälligen, entwicklungsbehinderten
Kinder dort gleich wieder vernachlässigt werden, weil sie den
Erzieherinnen keinen Spaß machen und nichts zurückgeben. Und wenn
man erklärt, man müsse türkischen Müttern ihre Kinder möglichst
bald wegnehmen, ist das nicht schlichter Rassismus?
Seite 2: „Die Morde waren sein Lebenselexier“
Das besorgt Sie als Kriminalpsychiater?
Naja, für uns ist das insofern ein sehr reales Problem, als wir es
relativ viel mit ehemaligen Heimkindern zu tun bekommen. Bei denen
war es schon Zuhause chaotisch, meist alleinerziehende Mütter mit
wechselnden Partnern, was schon schwierig genug ist, aber in Heimen
geht das Kind dann unter in der Anonymität, es verliert seinen
Namen und seine Individualität. Es kann sich eigentlich nur Respekt
und Aufmerksamkeit verschaffen, in dem es sich durchschlägt und den
dicken Larry macht. Oft genug endet das in Kriminalität. Und ich
kann mir nicht vorstellen, dass das in den Kitas ganz anders ist.
Wenn man sich mal anschaut, was da wirklich los ist, stellt man
fest, wie überidealisiert das immer beschrieben wird. Kleinkinder
benötigen nicht viele Beziehungen, sondern enge und gute.
Beschäftigen Sie sich durch Ihre Arbeit eigentlich mit
der Frage nach Gut und Böse?
Normalerweise gehört das nicht zu meinem Beruf. Aber die Frage
drängt sich manchmal schon auf. Es gibt immer wieder Taten, die
selbst mich noch entsetzen. Wie dieser Fall im Westerwald, wo ein
Försterhaus überfallen wurde, und die Einbrecher alle vier Bewohner
umgebracht haben, einen 10jährigen Jungen vor den Augen seines
Vaters. Das hat mich zutiefst erschüttert, das übersteigt für mich
Psychologie und Juristerei und ist ein moralischer Skandal.
Also eine böse Tat?
Eine böse Tat.
Trennen Sie denn zwischen Tat und Täter? Oder saßen Sie
schon einmal vor einem Menschen, von dem Sie sagen mussten: Der ist
böse?
Die meisten lassen das ja nicht so raus. Aber bei der Begutachtung
komme ich hinter die Fassaden, und bei manchen Menschen ist es dort
eben so stockfinster und auf Zerstörung ausgerichtet, dass es mir
schon mal kalt den Rücken runter läuft. In Bayern gab es einen
Mann, der bei seinen Banküberfällen völlig grundlos fünf Menschen
ermordet hat. Der saß seit Jahrzehnten im Gefängnis, wirkte
äußerlich kalt und förmlich. Aber sobald er über seine Taten
sprach, blühte er auf, war voller Energie und berichtete, als wäre
es gestern geschehen. Diese Morde waren sein Lebenselexier. Diese
Vernichtungskraft ist mir – das kann ich nicht anders sagen –
zutiefst unheimlich.
Können solche Begegnungen einem altgedienten
Kriminalpsychiater wie Ihnen noch wirkliche Angst
machen?
Es ist sehr selten, aber in bestimmten Situationen durchaus. Bei
der Begegnung mit Menschen, die derartig von einer starken
Vernichtungsbereitschaft ausgefüllt sind, als wären Kleidung und
Haut nur noch die Hülle dafür. Die kaum verhüllte, offensive Absage
an unsere moralischen Kriterien, die es bei sehr wenigen Tätern
gibt, kann einem Angst machen. Das wird nicht besser, wenn
man als Gutachter in manchen Haftanstalten mit den Leuten alleine
in eine Zelle gesperrt wird. Zusammen mit einem wegen Mordes
verurteilten Muskelmann, der immer noch voller Rachefantasien war,
und mir vorwarf, ich würde ihm mit meiner Einschätzung die Schlinge
um den Hals legen. Ich musste an ihm vorbei zur Tür, dann 30 Meter
durch einen leeren Gang und hoffen, dass sich schnell irgendwo ein
Beamter finden lässt, der uns die Türe aufschließt. Der Mann hätte
in der Zwischenzeit alles Mögliche mit mir anstellen können,
niemand hätte es gehört. Man versucht in solchen Momenten natürlich
keine Angst zu zeigen, weil man den nicht auf dumme Gedanken
bringen will. Aber das klappt nicht immer.
Erkennen Sie inzwischen eigentlich Mörder? Gibt es
irgendetwas, was Ihnen nach all Ihrer Erfahrung sagt: Mit diesem
Menschen würde ich meine Frau, mein Kind nicht alleine
lassen?
So nicht. Aber Camus hat einmal gesagt: Mit dreißig ist jeder für
sein Gesicht verantwortlich. Ich finde schon, dass man manchen
Tätern nach einigen Jahren ansieht, dass sie schlimme Sachen hinter
sich haben und auch schuldig geworden sind. Das ist jetzt eine sehr
gewagte These und gilt natürlich nicht für alle, sonst wären wir
fein raus. Aber die Verrohung und der Verlust an Selbstachtung, die
meist mit solchen Taten einhergehen, zeichnen ein Gesicht häufig
doch. Man sieht: Da ist etwas kaputt gegangen. Vielleicht ist es
die Enttäuschung darüber, dass das Leben nie wieder richtig
hinkommen kann.
Seite 3: „Die Menschheitsgeschichte beginnt mit dem Brudermord“
Gibt es Menschen, die sie gar nicht erst begutachten
würden?
Im Sommer kam eine Anfrage, ob ich Magnus Gäfgen, den Mörder des
kleinen Jakob von Metzler, zur weiteren Vollzugsgestaltung
begutachten könne. Das habe ich abgelehnt, weil ich da von
vornherein befangen war. Nicht wegen seiner Tat, die ist schlimm
genug, sondern wegen seines selbstgefälligen öffentlichen Umgangs
damit, wegen seiner Haltung. Diesen völligen Mangel an
Beeindruckung durch das, was er da gemacht hat, das finde ich
schamlos. Und dazu dieses sentimentale Selbstmitleid. Ich bin
moralisch wirklich abgehärtet, aber das stößt selbst mich ab.
Wird in Deutschland mit Mördern und Gewalttätern richtig
umgegangen?
Im Großen und Ganzen eigentlich ja. Auch die therapeutischen
Angebote sind richtig und wichtig. Aber das kann qualitativ
durchaus noch besser werden. Die Therapie hinter Gittern unterliegt
besonderen Problemen. Es gibt, anders als in Freiheit, ein
ungeheures Machtgefälle zwischen Therapeuten und Therapierten. Der
Therapierte ist stark von der Beurteilung des Therapeuten abhängig.
Und es gibt eine gefährliche Tendenz, die Therapie als eine Art
Purgatorium durchzuführen, und dem Gefangenen immer wieder seine
Nachteile, Schwächen und Taten unter die Nase zu reiben, damit er
endlich begreift, was für ein schlimmer Finger er ist. Wenn der
ehemalige Täter ein straftatfreies Leben führen soll, muss er aber
vor allem seine Stärken entdecken und ein prosoziales
Selbstbewusstsein entwickeln.
Entdecken Sie in den Mordfällen Ihrer Berufslaufbahn so
etwas wie Symptome unserer Zeit? Gibt es Morde, die typisch für das
21te Jahrhundert sind?
Vielleicht gibt es einen gewissen Wandel in der Art, wie
Gewalttätigkeit bei jungen Männern trainiert und ausgelebt wird.
Früher wurde vielleicht noch mehr dadurch abgefangen, dass man sie
in Uniformen steckte, so dass sie ihr Gewaltpotential in Ordnung
und bis zum Überdruss abreagieren konnten. Aber im Prinzip bleibt
die Gewalttätigkeit dieselbe, und schon immer haben sich die
Nachbardörfer auf der Kirmes geprügelt. Und auch die Amokläufer
gibt es schon seit 1913, als der Hauptlehrer Ernst August Wagner 17
Menschen in Degerloch bei Stuttgart umbrachte. Bei den Liebesmorden
würde ich sagen, dass wir heute auf kleineren Töpfen kochen als
früher noch. Überhaupt, dieser bedauernswerte Rückgang der Duelle
(lacht). Das würde ja doch die Parteienlandschaft sehr auflockern,
wenn die im Tiergarten wieder aufeinander schießen würden. Mord,
jedenfalls gab es bei uns seit dem ersten Tag. Die
Menschheitsgeschichte beginnt immerhin gleich nach Etappe eins, dem
Apfel im Paradies, mit dem Brudermord von Kain an Abel. Das ist
einer der beiden Stammväter der Menschheit: Ein Mörder.
Professor Kröber, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Hans-Ludwig Kröber: Mord Geschichten aus der Wirklichkeit. Rowohlt Verlag; 256 Seiten; 18,95 Euro.
Das Interview führte Constantin Magnis
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