- Ein nerviges Fest der Fantasielosigkeit
An Halloween ziehen plärrende, schreiende und maskierte Kinder von Haus zu Haus und belästigen friedliche Bürger. Es ist der Tag, an dem kleine Kinder von der harten Rute des Kapitalismus gezüchtigt werden
Der gemeine Deutsche gibt sich gerne amerikakritisch und antikapitalistisch. Eigentlich. Denn in Amerika wohnten nur Banausen, die die Welt mit McDonalds-Filialen und neuerdings auch mit Lauschangriffen überziehen. Und Kapitalismus sei sowieso eine böse Erfindung, die den Ellenbogen und das Portmonee an die Stelle von Herz und Vernunft gesetzt habe. Eigentlich. An einem Tag im Jahr aber lässt der gemeine Deutsche es so richtig kapitalistisch krachen und verwandelt sich in einen lupenreinen Amerikaner: an Halloween.
Die Gruselmode zählt zu den dümmsten Importen, die je den Großen Teich überwunden hat. An Halloween werden kleine Kinder von der harten Rute des Kapitalismus gezüchtigt. Sie ziehen plärrend, schreiend, nervend von Haus zu Haus und belästigen, aufwendig verkleidet, friedliche Bürger mit der dümmsten aller Drohungen: „Süßes oder Saures!“ Unmengen von Süßigkeiten wollen sich die Knaben und Mädchen erschnorren, indem sie Ungemach androhen. Wer nach dieser tumben Devise keine Kariesbomben herausrückt – und zwar subito -, den wünschen sie zum Teufel. Manchmal verkleben sie Briefkästen oder zerdrücken Zahnpastatuben.
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Was soll man auch von Kindern anderes erwarten, deren Eltern zeitgleich ihr Haus halloweenartig herrichten? Die mit Grabsteinen, Plastikspinnen und geschändeten Kürbisköpfen den Vorgarten und die Fassade entstellen? Die abends in präpubertäre Phasen zurückfallen, wenn sie sich teuer zu Geistern und Gespenstern und Sensenmännern und Zombies und Vampiren verpuppen, um an Halloween-Parties teilzunehmen und sich dort tüchtig das Hirn aus der Birne zu trinken? Zuverlässig bringt der Halloween-Blödsinn die hässlichen Seiten eines Menschen zutage: seine Verschwendungssucht, seine Fantasielosigkeit – er tanzt nach der Pfeife der Großindustrie –, seine Schadenfreude, seine Plumpheit, seine Indezenz, seinen Grobianismus, seinen wachsweichen Opportunismus.
Halloween zeigt die vorauseilende Bereitschaft des einzelnen, sich in eine konsumierende Masse zu verwandeln. Das Fest für willenlose Endverbraucher ist die perfekte Einübung in eine konformistische Angestelltenexistenz, die sich ihre Ekstasen von der Industrie vorsagen lässt. Ein ganzes Land lallt und zuckt sich ins menschliche Nirwana. Die Kleinen sollen an Halloween lernen, wie es um dieses Land bestellt ist: Untote sehen dich an. Mach Schluss mit deiner Individualität. Werde wie alle.
Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Einerseits wollte die Ramsch- und Schundindustrie „irgendwo im Kalender zwischen den Sommer-Grillpartys und dem ersten Advent noch ein Verkaufs-Event mit allem möglichen Schnickschnack etablieren“ (Margot Käßmann). Andererseits ist das punktgenau am Reformationstag platzierte Spektakel der Auftakt zum klassischen Totengedenken an Allerseelen und Allerheiligen. Christenbrauch ist es gewesen, derer zu gedenken, die gegangen sind. Welch schöne Sitte!
Einmal im Jahr sollen zumindest gedanklich die Toten im Mittelpunkt stehen, nicht die lautstark um die eigene leere Mitte kreisende Gegenwart. Das aber will sich eine auf eben diese Leere so stolze Jetztzeit nicht bieten lassen: dass ein einziges Mal nicht sie das letzte Wort hat, sondern die ganz unverwechselbare Seele der Verstorbenen. Also lärmt die Gegenwart und macht Radau und färbt sich ganz besonders grell. Abgerechnet aber wird zum Schluss. Und Leich‘ bleibt Leich‘, da helfen keine Bonbons, keine Schminke.
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