- Gottschalks Abschied. Ende der Wurschtigkeit
Nach 24 Jahren verabschiedet sich am Samstag Thomas Gottschalk als Moderator von „Wetten, dass ...“ Mit ihm geht der letzte Mohikaner der TV-Unterhaltung, der die ganze Familie vor dem Bildschirm vereinte. Aber das dicke Ende kommt erst noch
„Die Wurschtigkeit ist weg.“ Es sind nur vier Worte, ein Seufzer mehr, der ihm herausrutschte, als er sich vor drei Jahren die Frage stellte, wie es weitergehen soll mit „Wetten, dass ...“ und mit ihm, dem Thommy, dem Mann, der der Samstagabendunterhaltung in den achtziger Jahren den Muff aus den Talaren geschüttelt hat.
Die Wurschtigkeit, das ist diese unbekümmerte, aber nie mario-bartheske Nonchalance, mit der er sich jedem seiner Gäste näherte, egal, ob er Bill Clinton oder Bully Herbig hieß, ob er seinen Hollywood-Blockbuster oder die x-te Baggerwette verkaufen wollte, ob er 8 oder 88 Jahre alt war. Dieses Wort beschreibt treffend, wie sich Thomas Gottschalk selber sieht und wie er auch von seinen Fans gesehen wurde. [gallery:Es war einmal bei „Wetten, dass...?“: Gottschalk und seine Politiker]
Keiner weiß, wann er sie verlor, diese Wurschtigkeit, aber es ist schon eine Weile her, lange, bevor ein 23-jähriger Hobby-Stuntman namens Samuel Koch in der Sendung vom 4. Dezember 2010 auf Stahlfedern über ein Auto sprang und dabei stürzte.
Es war der Albtraum eines Moderators, der GAU für die Samstagabendunterhaltung – und am Ende auch der Todesstoß für „Wetten, dass ...“ Samuel Koch verletzte sich so schwer, dass er für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt bleiben wird.
Thomas Gottschalk hat in dieser Situation das einzig Richtige getan: Er hat die Sendung abgebrochen. Man weiß, dass er Samuel hinterher in der Klinik besucht und mit dessen Familie das Vaterunser für ihn gebetet hat. Man kann nur erahnen, was dabei in seinem Kopf vorging. Zwei Monate später verkündete er nach 24 Jahren seinen Abschied als Moderator von „Wetten, dass ...“.
Die Wurschtigkeit, sie war ihm ja schon vor geraumer Zeit abhanden gekommen. Jetzt war das auch für die Zuschauer nicht mehr zu übersehen.
Die Reihen vor dem Fernseher, sie hatten sich immer weiter gelichtet. 2011 war der Tiefpunkt erreicht. Die Show rutschte unter die magische Zehn-Millionen-Marke. Hollywoodstars plus Wetten plus Gottschalk, multipliziert mit dem Nostalgiefaktor, dieses Kalkül ging immer weniger auf.
Schuld daran waren die neuen Medien. Wen es selber ins Rampenlicht zog, der wettete nicht mehr auf das ZDF. Er schlug sich mit Stefan Raab bei ProSieben oder bewarb sich gleich bei RTL und Papa Bohlen, als „Supertalent.“
Den neuesten Klatsch aus Hollywood erfuhr man schneller und zuverlässiger im Internet, bei Klatschportalen wie tmz.com. Und mit dem Nostalgie-Faktor war das auch so eine Sache.
Wenn man sich das Fernsehen wie eine Wohnung vorstellte, dann war „Wetten, dass ...“ die Cordkurve. Die Zeit war nicht spurlos an ihr vorbeigegangen, hier ein Rotweinfleck, dort ein Brandloch. Doch irgendwie traute man sich nicht, sie zu entsorgen. Man wusste einfach nicht, wohin damit. Auf den Sperrmüll? Oder doch lieber ins Museum?
Dass sich die Show trotzdem als Aushängeschild eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders behaupten konnte, der sich immer tiefer in einen wahnwitzigen Quoten-Kampf mit der privaten Konkurrenz verstrickte, verdankte sie in erster Linie ihrem Moderator.
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Thomas Gottschalk. Geboren am 18. Mai 1950 in Bamberg und in Kulmbach aufgewachsen. Ministrant in der Stadtpfarrkirche, Abitur am humanistischen Gymnasium, abgeschlossenes Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte.
Freie Mitarbeit beim Jugendradio des Bayrischen Rundfunks (Bayern 3). Moderator der Hörfunksendung „Pop nach acht“. So fing sie an.[gallery:Gottschalk und seine Politiker]
Eine Karriere, wie sie nur in den geheizten Stuben einer mit Gebühren gepäppelten Rundfunkanstalt möglich war. Hier fiel der große Blonde mit der großen Klappe aus dem Rahmen.
Der junge Gottschalk nahm sich selber nicht ernster als das Medium, das er bediente. Das war sein Erfolgsrezept. Er war er selber. Spontan. Schlagfertig. Und ohne Ehrfurcht vor Autoritäten. Das verband ihn mit seinem Vorbild, Hans-Joachim Kulenkampff, dem Grandseigneur der Samstagabendunterhaltung. Im Gegensatz zu ihm kam der junge Gottschalk jedoch ohne Showtreppe aus. Er stand nicht über den Zuschauern, er war einer von ihnen. So mischte er erst das Radio und dann das Fernsehen auf.
„Das hatte nichts mehr zu tun mit dem Verlautbarungsrundfunk, den papierenen Sätze, die man sonst vorgelesen bekam“, erinnert sich sein Kollege Günther Jauch, ein Freund aus Radio-Tagen. „Das war live und spontan und sehr unterhaltsam.“
Man sollte sich diese Worte vergegenwärtigen, wenn man sich die letzten Ausgaben von „Wetten, dass ...“ anschaut. Da thront König Goldlocke staatstragend wie ein Monarch auf dem weißen Sofa – der letzte Mohikaner der Samstagabendunterhaltung.
Seine Outfits nährten gelegentlich den Verdacht, er habe sie sich aus dem verstaubten Kostümfundus eines Provinztheaters geliehen. In den achtziger Jahren unterstrichen sie sein Image als Bohémien. Heute wirkt er darin wie die Karikatur eines Zirkusdirektors.
Wer wollte, konnte schon seit einiger Zeit hören, wie an seinem Thron gesägt wurde. 2009 hat ihm das ZDF mit Michelle Hunziker eine ebenso hübsche wie tief dekolletierte Kollegin zur Seite gestellt. Die Assistentin als Altenpflegerin?
So sahen es TV-Kritiker. Tatsächlich sprang die 34-Jährige immer dann ein, wenn Thommy die Namen seiner Gäste verwechselte oder wenn mit seinen Komplimenten unter die Gürtellinie zielte. Man nennt das betreutes Moderieren.
Dieses Bild spiegelt die ganze Tragik des TV-Entertainers Thomas Gottschalk wider. Er war jetzt 61 und Opa. Doch er gefiel sich noch immer in der Rolle des Sonnyboys, der Sängerinnen ins Bustier griff, um einen Gitarren-Pick hervorzuangeln.
Man tritt ihm nicht zu nahe, wenn man sagt, er habe den Zeitpunkt für einen Absprung verpasst, um in Würde vor der Kamera zu altern. 1992 hat er dazu Gelegenheit gehabt. Da lockte ihn der damalige RTL-Chef Helmut Thoma mit einer eigenen Late Night ins Privatfernsehen.
Das Format floppte – wie fast alles, was der ewige Optimist und Amerikaner im Herzen mit Zweitwohnsitz in Malibu neben „Wetten, dass ...“ begann.
Die Zeit war über ihn hinweggegangen. Raider hieß jetzt Twix, aber Gottschalk gab immer noch den Gottschalk. Dabei regierte er sein Reich schon lange nicht mehr konkurrenzlos.
Das Privatfernsehen hatte eine neue Generation von Hoppla-hier-komme-ich-Moderatoren hervorgebracht. Sie heißen Stefan Raab oder Joko & Klaas. Und sie sind nicht nur genauso unangepasst und schlagfertig wie er, sie erreichen auch ein deutlich jüngeres Klientel, das „Wetten, dass ...“ nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern kennt oder als besonders effektives Sedativum.
Beim ZDF verfolgte man diesen Trend mit Argwohn. Bis zu dem tragischen Unfall am 4. Dezember 2010 hätte das keiner offen ausgesprochen, doch in dem Maße, wie die Quote bröckelte, wuchs auch der Druck auf den Moderator.
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Das war der Moment, da die Wurschtigkeit verloren ging. Schon 2008 räumte Gottschalk in einem Interview mit der Zeit ein, er habe eine „innere Umschaltpanik“ entwickelt.
Er wusste ja, wie die Zuschauer ticken. Sie sind ungeduldiger geworden. Sie zappen sich zu Super-Dieter, sobald ein Wettkandidat nicht in die Strümpfe kommt oder aus dem Smalltalk auf dem Sofa die letzte Luft entweicht.[gallery:Gottschalk und seine Politiker]
Das ist vorbei. Seit er im Februar seinen Abschied auf Raten verkündet hat, ist der Druck weg. Vor der Kamera agierte Thommy wieder wie Thommy - und nicht wie ein Thommy-Darsteller.
Er versuchte jetzt nicht mehr zu verhehlen, dass er sich dem Medium entfremdet hat, das ihn groß gemacht hat. „Damals waren Leute wie ich Einzelkämpfer“, hat er vor der letzten „Wetten, dass ...“-Sendung gesagt. „Heute hast Du den Eindruck: Sie sind alle gleich fröhlich und gut aufgelegt. Die Tonalität ist überall die gleiche. Aber deswegen ist‘s eigentlich wurscht, wer‘s macht.“
Die Moderation von „Wetten, dass ...“ hat er damit freilich nicht genannt. Die Samstagabend-Show ist tot, mit Gottschalk ging der letzte Mohikaner. Das ZDF wäre gut beraten gewesen, das Format zu beerdigen.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass der scheidende Monarch als Gewinner aus dem unwürdigen Gezerre um seinen Nachfolger als Gewinner hervorgegangen ist. So zimmert das ZDF an seiner Legende, während er mit seinen Gedanken schon bei der Konkurrenz war.
Welcher Teufel ritt ihn, als er das Angebot der ARD annahm, viermal die Woche eine halbe Stunde lang vor der „Tagesschau“ über all das zu plaudern und zu twittern und zu skypen, was zu bunt für die seriösen Nachrichten ist?
Was macht die ARD-Bosse so zuversichtlich, dass ihm ausgerechnet auf diesem schwierigen Sendeplatz gelingen könnte, was schon in der Prime Time am Samstagabend im ZDF nicht funktioniert hat? Wie soll er hier das Kunststück schaffen, das Publikum zu verjüngen?
Das Erste wird diese „Tagesshow“ aus einem kleinen Studio in Berlin senden, ohne Publikum. Ein Showmaster ohne Gäste, das ist aber wie ein Auto ohne Rad. Thomas Gottschalk weiß das, aber es ist ihm egal.
Es heißt, er wolle auf seine alten Tage nach good old Germany zurückkehren, er suche schon ein neues Domizil in Potsdam, dort, wo sein alter Freund Günther Jauch wohnt.
Es darf bezweifelt werden, dass er in seiner neuen Rolle noch einmal versuchen wird, das Fernsehen neu zu erfinden. Er hat alles erreicht, was ein Moderator erreichen kann. Er muss sich nichts mehr beweisen. Der Rest ist wurscht.
ZDF, Wetten, dass ..., 3. Dezember, 20.15 Uhr.
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