- Flüchtlinge brauchen Geduld, nicht noch mehr Teddys
Kolumne: Stadt, Land, Flucht. In Deutschland ist die Willkommenseuphorie groß. Flüchtlinge kommen vor lauter Kleider- und Teddyspenden kaum zur Ruhe. Die eigentliche Herausforderung besteht jedoch darin, den neuen Mitbewohnern Zeit und Raum zu lassen, ein normales Leben hier aufzubauen
Wir haben jetzt unsere eigene Flüchtlingsfamilie im Dorf. Damit finden endlich all die Hilfsambitionen ein Ventil, hat sich doch ein immenses schlechtes Gewissen angestaut bei all den Nachrichten, die der Nation allabendlich ins Wohnzimmer geschleudert werden. Und hier auf dem Land scheint alles noch viel intensiver. In der Stadt überbieten sich die freiwilligen Helfer in einem wohl organisierten Rausch. Es werden Brote geschmiert und Kleider sortiert, manche holen sich gar ihre eigene Flüchtlingsfamilie nach Hause. Jeder wird gebraucht. Unsere Häuseransammlung dagegen wirkt wie abgeschnitten von den Dramen, die Deutschland gerade verändern. Unsere Welt, die Wiesen, Wälder und Wege sehen aus wie immer.
In dieser dörflichen Idylle werden nun vier Menschen überschüttet mit Lampen, T-Shirts, leuchtenden Teddybären und Müslischüsseln. Spender geben sich die Klinke in die Hand. Was diese Familie noch braucht, frage ich hoffnungsvoll und bekomme von denen, die den überbordenden Geschenkefluss koordiniert haben, die ernüchternde Antwort: „Ruhe. Um anzukommen.“
Unser Herschenken ist nur der erste Schritt. Ein einfacher Schritt. Die Zukunft wird diffiziler. Wenn wir gemeinsam leben wollen, dürfen wir den Moment nicht verpassen, an dem die Flüchtlinge keine mehr sind, sondern einfach nur noch Mitschüler, Kollegen und Nachbarn. Der Akt des Schenkens ist nicht nur die Grundlage der friedlichen Zivilisation, die „Grammatik, nach der unsere Gesellschaft funktioniert“, wie es Frank Schulz-Nieswandt, Professor für Sozialpolitik in Köln, formuliert. Geschenke können degradieren, sie erzeugen Druck beim Nehmenden und geben dem Schenkenden Macht und Einfluss. Sie ermöglichen dem Geber eine nicht gekannte Bühne zur Selbstdarstellung.
Wir haben das erlebt, als das Fernsehen ein Flüchtlingsevent veranstaltete, das aus dem Ruder lief nach dem Motto: „Tue Gutes und mache eine TV-Gala daraus“ (Arno Frank). Oder beim Versuch der Bildzeitung, mit den Fußballvereinen ein gemeinsames Zeichen zu setzen, das in einen Wettkampf ausartete darum, wer sich am werbewirksamsten von dem Schundblatt distanziert, sodass die Flüchtlingsfrage am Ende zu einem politischen Spielball im Strafraum wurde.
Begegnung auf Augenhöhe
Wenn es unseren neuen Dorfbewohnern an Symbolischem und Materiellem nicht mehr fehlt, dann ist es an der Zeit, sich in ein normales Leben einzufinden. Der Schritt vom hilflosen Flüchtling zum gleichberechtigten Einwohner auf Augenhöhe ist die nächste Herausforderung, der wir alle uns stellen müssen. Die Frage ist, ob wir auch diese so bravourös meistern, wie es unsere Willkommenszeremonien mit all den Suppenküchen, Dolmetschern und klatschenden Massen an den Hauptbahnhöfen erhoffen lassen.
Es ist ein euphorisiertes Deutschland, das sich gerade zeigt: „Emotional und eiskalt“ konstatiert Jan Böhmermann. Eine Nation, getrieben von ihrem schlechten Gewissen und einem übermächtigen Verantwortungsgefühl für das Leid der Welt. Und typisch deutsch-pragmatisch nutzt die Gesellschaft des Überflusses die Gelegenheit und verteilt all die Dinge, die sie nicht mehr braucht.
Wenn aber die Zeit des ersten Hilfsrauschs vorbei ist, wird es darum gehen, gemeinsam zu leben. Nun bin ich zum ersten Mal unseren neuen Mitbewohnern begegnet. Beim nachmittäglichen Kindertanz sah ich in freundlich aufgeschlossene, in dankbare Gesichter. Aber mehr als das konnten wir nicht teilen, stand doch die fehlende gemeinsame Sprache als unüberwindbare Mauer zwischen uns. Und mir wurde klar, dass kein Willkommensgeschenk noch so groß sein kann wie die Zeit und Geduld, die wir aufbringen müssen, bis sie richtig angekommen sind bei uns im Dorf. Und dass das sehr lange dauern wird.
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