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Flugzeugkatastrophe - Der menschliche Faktor

Es war offenbar kein technischer Defekt, der zum Absturz führte. Das zeigt: Der Mensch bleibt das größte Risiko der Weltgeschichte. Abgründe hat nur er

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nun hat auch diese Geschichte ihr denkbar schlimmstes Ende gefunden: Der 27-jährige Co-Pilot der in den südfranzösischen Alpen zerschellten Germanwings-Maschine hat das Flugzeug „offensichtlich willentlich zum Absturz gebracht“. So sagte es der Vorstandsvorsitzende der Muttergesellschaft Lufthansa, Carsten Spohr. 150 Menschen leben demnach nicht mehr, weil ein junger Mann sterben und zugleich ihnen den Tod bereiten wollte. Die euphemistische Formel vom „erweiterten Suizid“ verschleiert das Ausmaß dieser Tragödie. Momentan müssen wir davon ausgehen: Es war ein Massenmord, ausgelöst durch einen Selbstmord.

Macht diese Nachricht das Unglück fasslicher? Trägt die neue Überschrift dazu bei, dass wir uns schneller beruhigen? Immerhin, ließe sich sagen, sind derart ruchlose Taten die absolute Ausnahme in der Menschheitsgeschichte. So häufig wird es keinen zweiten Co-Piloten geben, der sich in derart wüste Abgründe hinabwirft, Tod und Verzweiflung hinter sich lassend. Weit eher hätten wir uns alle sorgen müssen, wäre es tatsächlich ein technischer Defekt gewesen, der die Katastrophe auslöste. Dann könnte nämlich jedem „Airbus 320“-Flug und damit uns allen dasselbe Schicksal drohen. So ließe sich argumentieren.

Der Mensch ist das größte Risiko
 

Es verhält sich aber umgekehrt. Nun, da der Fehler eben nicht im System lag, sondern im Menschen, wächst unser Unbehagen wie eine schwärende Wunde. Eine Wunde ist es am Menschengeschlecht, dem wir angehören. Es ist unser aller Wunde, wir werden sie nicht los. Wir können diesmal den Blick nicht abwenden von uns und im gewohnten moralischen Tremolo der Technik gegenübertreten als dem Unnatürlichen, Widermenschlichen, Inkalkulablen, in überlegener Pose. Stattdessen müssen wir auf uns schauen und erkennen, was schaudern macht: Der Mensch ist das größte Risiko der Weltgeschichte. Der Mensch ist unkalkulierbar, prinzipiell nicht zu durchschauen. Technik mag funktionieren oder nicht; Abgründe hat nur der Mensch.

Diese bittere Lektion drohte in Vergessenheit zu geraten. Gerne hört man ihnen zu, den milden Gesängen vom Mensch, der immer auf die richtige Bahn geraten könne. Wir glaubten gerne den großen Erzählungen, der Mensch sei zwar ein Mängelwesen, die Mängel ließen sich aber beheben: durch gutes Zureden und gute Erziehung, durch Demokratie und Psychotherapie, Sozialpolitik und Ingenieurskunst. Dämonen gebe es zwar, diese seien aber allezeit an der Leine zu halten, dank Fürsorge, Vorsorge, Pillen für den Tag, Tabletten für die Nacht. Der Fall des Fluges 4U9525 zeigt: Manche Dämonen stellen sich nur schlafend. Sie halten sich bereit für den Sprung und setzen eines schlimmen Augenblicks dazu an.

Damit ist natürlich keine seelenkundliche Ferndiagnose am Leichnam gegeben. Der Hamburger Psychologe Georg Fiedler weist darauf hin, dass weder eine Depression noch eine Psychose ein solches Handeln vollständig erklärten, „da muss noch mehr dazu kommen.“ Einstweilen ist diese Tragödie eine Lektion in angewandter Dämonologie. Was immer im Einzelnen den Co-Piloten zu seiner Tat getrieben haben mag: Es kam sehr vermutlich aus dem Inneren, nicht von außen, kam aus den Abgründen der Seele. Planvoll handelte er, weil er meinte, so handeln zu müssen. Das gibt es eben auch in unserer Zeit, unserem Westen, diesem Vollkasko-Säkulum: Kräfte zum Bösen, an die keine Gründe hinreichen und vor denen keine Technik zu schützen vermag. „Oh“, ließ Shakespeare seinen Heinrich VI. über sich selbst erstaunen, „oh, ich kann lächeln und beim Lächeln morden.“ Auch diese Fähigkeit zählt zur Conditio Humana, damals, heute, immer.

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