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Flüchtlingsdebatte - Warum naiver Idealismus zynisch ist

Wenn Gutmenschentum auf Hartherzigkeit stößt, sind die Mauern so fest wie an Europas Außengrenzen. Doch auch naiver Idealismus kann zynisch sein. Die Flüchtlingsdebatte bietet vor allem Raum für eines: Heuchelei

Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Verfolgt man die derzeitige Debatte um das Flüchtlingselend in Afrika, so könnte man den Eindruck haben, Deutschland sei ein einziger Hort guter Menschen. Hier thronen sie auf den Hochsitzen der Moral und überbieten sich in Talkshows mit der Forderung, „endlich Verantwortung zu tragen“. Manche sagen sogar klar, was sie damit meinen: Öffnet die Grenzen für die Flüchtlinge dieser Welt. Wir leben schließlich in einem reichen Land, das genug Platz und Zuwanderung dringend nötig hat.

Natürlich darf niemand zusehen, wenn Menschen ertrinken. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein: Wo verläuft die Grenze zwischen humanitärer Verantwortung und nationalem Eigeninteresse? Bei Zehntausend, Hunderttausend oder erst ab einer Million Flüchtlingen, die den ebenso gefährlichen wie teuren Transfer ins gelobte „Paradies Europa“ schaffen?

Nicht Europa hat versagt

Allenfalls ein paar Hartherzige jedoch verweisen derzeit darauf, dass „Deutschland nicht die Probleme Afrikas lösen kann“. Bei „Hart aber fair“, mit der die ARD das mediale Schaulaufen der Hochmoral eingeläutet hat, musste der Schweizer Journalist Roger Köppel importiert werden, um wenigstens eine Stimme der Vernunft aufzubieten. Im eigenen Land traut sich offenbar niemand mehr, auf die Fakten zu verweisen: Nicht die Unterhaltung von Opernhäusern gehört zur ersten Pflicht eines Staates, sondern die Grenzsicherung nach außen und die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit im Innern.

Die Zahl der Flüchtlinge wird weltweit mit rund 45 Millionen angegeben – und daher kann noch so viel Großmut immer nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ sein. Jede Lockerung der Zuwanderungsregeln löst ein neues Beschäftigungsprogramm für Schleuserbanden aus. Zu den Fakten zählt auch, dass die meisten Flüchtlinge aus aller Welt auf dem deutschen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Sie finden allenfalls als illegale Küchenhilfe eine Beschäftigung, damit die deutsche Mittelschicht günstig Essen gehen kann. Schließlich dürfen wir nicht noch mehr soziale Brennpunkte schaffen und so die Aufnahmebereitschaft der heimischen Bevölkerung überstrapazieren.

Deshalb hat zunächst nicht Europa versagt, wenn sich jährlich Zigtausende Afrikaner in marode Boote begeben und viel zu viele diese waghalsige Überfahrt mit dem Leben bezahlen. Versagt haben die Eliten auf dem Schwarzen Kontinent. Denen ist das Schicksal ihrer Mitbürger egal, solange sie sich selbst die Taschen füllen können. Versagt hat die aufgeblähte Entwicklungshilfe-Industrie, die vor Ort mit viel Geld wenig erreicht und oft genug auch noch despotische Potentaten stützt, indem sie ihnen die sozialen Nöte abnimmt. Da lobe ich mir den chinesischen Realismus: Sie sichern sich Rohstoffe und bauen zugleich Straßen und Häfen, die den Afrikanern eine wirkliche Entwicklungschance geben.

Die deutsche Entwicklungshilfe hingegen erstickt die Eigeninitiative. Mit Brunnenbohren und Mülltrennung ist es eben nicht getan. Gleichzeitig wunden wir uns darüber, dass somalische Piraten Frachtschiffe aus aller Welt überfallen, nachdem norwegische oder japanische Fischtrawler die Fischgründe vor dem ostafrikanischen Land geplündert haben. Und die EU exportiert munter subventionierte Lebensmittel nach Afrika und trägt damit dazu bei, dass die lokalen Märkte zusammenbrechen.

Zudem versagt die EU bei der Bekämpfung der Schleuserbanden. Sie sind es, die Menschen mit falschen Versprechen skrupellos auf Seelenverkäufer lotsen und, wenn die Opfer tatsächlich ans Ziel gelangen, in die Kriminalität drängen, um die hohen „Gebühren“ einzutreiben. Jede Öffnung der Grenzsicherung ist für die Menschenhändler eine Einladung, noch mehr Notleidende in den Kontinent zu locken, wo es für Flüchtlingen fast alles kostenlos gibt: Wohnen, Essen, Gesundheit und Taschengeld. Aus afrikanischer Sicht ist der deutsche Wohlfahrtsstaat das Land, wo Milch und Honig fließen.

Zynisch ist nicht, wer auf diese Umstände verweist. Zynisch verhalten sich vielmehr jene, denen die Tränen in den Augen den Blick für die Wirklichkeit vernebeln. Zynisch ist es, den Schleppern weitere Anreize zu liefern und sich dann über den anschwellenden Flüchtlingsstrom zu wundern. Zynisch handelt eine Brüsseler EU-Kommission, die nicht wahrhaben will, welche Lasten Deutschland jetzt schon mit weit über 100 000 Asylbewerbern allein in diesem Jahr trägt und uns dreist auffordert, noch mehr Lasten zu schultern. Zynisch verhalten sich Italiens Politiker, die sich als Opfer gebärden, dafür hohe EU-Zuweisungen einstreichen, um die Flüchtlinge dann schnell nach Deutschland abzuschieben und sich selbst einen schlanken Fuß zu machen.

Zynisch ist es, von den Menschen in den sozialen Brennpunkten mehr Toleranz zu fordern, sich selbst in den gehobenen Wohnlagen jedoch abzuschotten. Auch in Berlin-Dahlem oder München-Grünwald gibt es Platz für Container. Und zynisch ist es schließlich, der hiesigen Bevölkerung „Rassismus“ zu unterstellen, wenn sie nach den Grenzen der Belastbarkeit fragt. Aber mitunter hat man den Eindruck, gerade darauf zielt diese von Heuchelei durchtränkte Debatte: Man verschafft sich das wohlige Gefühl der Überlegenheit, ohne selbst mit den Konsequenzen leben zu müssen.

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