- Exklusivität des Geschmacks
Die Zukunft der Boutique-Hotels basiert nicht auf Geld, sondern auf Geschmack – womit die Branche zu ihren Wurzeln zurückkehrt
Wer Anfang der Achtziger Jahre auf der Suche nach einem Hotel war, in dem man trotz weißem Armani-Anzug mit überdimensionierten Schulterpolstern nicht sofort als Lude abgestempelt wird, betrieb reine Zeitverschwendung. Wer ein Hotel suchte, in dem einem als Kellnerinnen jobbende Models zwar immer die falschen Drinks bringen, in ihren knappen schwarzen Uniformen aber so richtig gut aussehen, war aufgeschmissen. Wer ein Hotel suchte, dessen Design den popkulturellen Augenblick atmete, konnte das vergessen.
Das galt auch für Manhattan. Unter dem Einfluss eines aus dem Ruder laufenden Nachtlebens war New York City Ende der siebziger Jahre immer libertärer und progressiver geworden, was sich allerdings nicht in der Hotelindustrie der Stadt niedergeschlagen hatte. Dass es dort tatsächlich kein einziges Hotel gab, das auf ihn anregend wirkte, wurde dem späteren Hotelmagier Ian Schrager schon 1979 klar – ein Jahr, in dem er viel Zeit zum Nachdenken hatte: Mit seinem Partner Steve Rubell saß er damals eine Freiheitsstrafe wegen Steuerhinterziehung ab, nachdem die Polizei im Studio 54, dem Nachtclub der beiden, ganze Müllsäcke voller Bargeld entdeckt hatte.
[gallery:Der Charme der Boutique-Hotels]
Studio 54, das keine drei Jahre existierte, ist wohl immer noch der berühmteste Nachtclub in der Geschichte der Menschheit. Über der Tanzfläche hing sinnigerweise eine Skulptur vom Mann im Mond, der jedes Mal, wenn er sich seinen mechanischen Kokslöffel an die Nase führte, in grellem Neonlicht erstrahlte. Ebenso penibel, wie Rubell an der Tür den Gästemix kuratierte, steuerte Schrager drinnen mithilfe von Architekten, Künstlern, Floristen und Lichtdesignern die Atmosphäre. Zwar feierte sich eine Brigade aus Celebrities Nacht für Nacht die Falten ins Gesicht, aber der legendäre Status des Clubs ist auch darauf zurückzuführen, dass sich noch nie zuvor jemand so viel Mühe mit dem Interieur gegeben hatte.
Das erste Hotel des Paares, das „Morgans“, verfolgte dann auch denselben Ansatz. Schrager und Rubell brachten Design in eine Branche, die in dieser Hinsicht weitgehend brachlag. Und das mit wenig Kapital – denn es war nicht so, dass Investoren den designaffinen Knastbrüdern die Türen einrannten. Bei der Immobilie handelte es sich um ein heruntergekommenes Männerwohnheim in unattraktiver Lage. Und „das Budget war lächerlich“, erinnert sich Morgans-Designerin Andrée Putman, die die beiden im Studio 54 über Yves Saint Laurent kennengelernt hatte. „Für die Bäder beispielsweise mussten wir die billigsten Kacheln nehmen, und die gab es, neben Pink, nur in Schwarz und Weiß.“
So kam jener heute ikonische Schachbrett-Look eher zufällig zustande, der sich als visueller Leitfaden durch das gesamte Interieur zieht: von den Bettüberwürfen über die Teppichleisten bis hin zu den Robert-Mapplethorpe-Fotografien. Es entstand eine schummrige Oase von karger Eleganz, in der Putman neben Nichtfarben nur Beige und Grau tolerierte – und in deren Lobby sich neben Models, Malern und Dealern von Anfang an auch wieder etliche Prominente amüsierten. „Auf Celebrities kann man natürlich kein seriöses Geschäft aufbauen“, sinnierte Schrager später einmal, „aber sie können auch nicht schaden.“
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Die Revolution der globalen Hotelindustrie hatte begonnen. Schrager und Rubell verkauften nicht eine Übernachtung, sondern eine Auszeit vom Alltag, eine überspitzte Form kompromissloser Gegenwart. „Es war klar, dass wir nicht nur in einer spezialisierten Nische agierten“, so Schrager, „das Mainstreampotenzial war sichtbar. Aber wir machten etwas Neues und Originelles, indem wir ein Erlebnis entwarfen – und nicht nur einen Platz zum Schlafen.“
Nach dem Aids-Tod Rubells folgte eine Serie von acht Hotels unter der Ägide von Schrager und Philippe Starck, deren Designsprache, ein strenger und mit surrealistischem Humor aufgelockerter Minimalismus, ihren Höhepunkt 2000 im Londoner „Sanderson Hotel“ fand. Für die Branche war dieser Stil so prägend, dass heute weltweit in nahezu jeder größeren Stadt eines Industrie- oder Schwellenlandes ein Hotel zu finden ist, das ihn auf oberflächliche Weise nachplappert: weißer Lack, Plexiglas, Edelstahl, buntes Licht und undichte Duschen mitten in winzigen Zimmern. Nicht zu vergessen: der Techno in der Lobby, die dubiose Sushi-Tapas-Fusionsküche, die schwarzen Samurai-Uniformen und asymmetrischen Frisuren des eingebildeten, aber miserabel ausgebildeten Servicepersonals.
Die Lawine an derivativem Design, die er losgetreten hat, lässt Schrager heute erschaudern: „Ich fühle mich langsam, als hätten wir Frankensteins Monster erschaffen.“ Für ihn ist das Design eher eine sekundäre Komponente, die erst durch ihre kulturelle Verankerung eine Daseinsberechtigung erfährt: „Es ist wie bei einem Film. Zuerst brauchen wir das Drehbuch, die Spezialeffekte kommen später. Wenn wir uns also mit Designern und Architekten treffen, dann reden wir nicht über Farben, sondern über den gesellschaftlichen Kontext. Wie gut verstehen wir das Unbewusste unserer Kunden? Worauf werden sie reagieren? Was fehlt ihnen?“
[gallery:Exklusiver Geschmack – Der Charme der Boutique-Hotels]
Allerdings war Schrager auch relativ schnell ernst zu nehmende Konkurrenz erwachsen – in Form einer Handvoll gleichermaßen besessener Perfektionisten, die an ihre Hotelprojekte wie an Gesamtkunstwerke herangehen. Adrian Zecha von „Amanresorts“ beispielsweise, dessen paradiesähnliche Entspannungsoasen das genaue Gegenteil eines Nightlife-lastigen Schrager-Hotels darstellen, nämlich den idealen Ort zum meditativen Auskatern. Oder André Balazs, der als Wiedergänger Schragers gilt und mit dem Chateau Marmont 1990 einen legendären Sündenpfuhl des alten Hollywood übernahm und behutsam modernisierte.
Das Besondere an den Hotels von Balazs besteht darin, dass er sie auf ihre lokale Verankerung zurückführt: „Es sollte keinerlei Unklarheit darüber herrschen, ob man in London oder New York ist, in Soho oder an der Wall Street. Schon immer haben wir nicht nur darüber nachgedacht, in welcher Stadt und in welchem Viertel sich unsere Hotels befinden, sondern sogar, in welchem Gebäude.“ Eine deutlichere Absage an generisches Design lässt sich kaum formulieren.
Schragers eigene Antwort auf die Flut an Design-Generika kam 2006 in Form einer radikalen Abkehr vom Minimalismus, die sich im heute schon klassischen „Gramercy Park Hotel“ manifestierte, für dessen Gestaltung er keinen Designer, sondern den Maler und Regisseur Julian Schnabel engagierte. Vom Schachbrettmuster einiger Böden und Teilen der Bäder abgesehen, gibt es im ganzen Hotel keine einzige weiße Fläche. Stattdessen gelang Schnabel mit einer Palette aus staubigem Pink, mattem Taubenblau und besänftigendem Jade ein bravouröser Spagat zwischen Exzentrik und Eleganz.
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In der Opulenz aus Stuck, Farbe, Bronze, Holz und Samt lassen sich einige Vorläufer erahnen – das Pariser Hotel „Costes“ beispielsweise, oder auch das Londoner „Blakes“ von Anouska Hempel. Das Traditionelle des Interieurs scheint optisch auf eine mondän-verruchte Vergangenheit zu verweisen, auf die achtziger Jahre, die ja auch Julian Schnabel hervorgebracht haben, und auf die Aktien- und Kunstmarktboomphase, in der man sich 2006 befand.
Dass nach der Wirtschaftskrise von 2008 eher Bedarf an Übernachtungsmöglichkeiten in anderen Kategorien bestand, ist keine Überraschung. Als innovativster Bereich der Hotelbranche gilt heute deshalb jener „cheap chic“, dem Schrager bereits im Jahr 2000 mit seinem New Yorker „Hudson Hotel“ ein Denkmal setzte. Die kreative Führerschaft in diesem verfeinerten Budget-Segment lag in den Nullerjahren bei Balazs mit seiner Marke „The Standard“. Heute liegt sie bei den „Ace Hotels“ des ehemaligen Partypromoters und Turnschuhdesigners Alex Calderwood, die ihre Hipness nicht aus Celebrities und Nightlife beziehen, sondern eher aus der zeitgenössischen Sphäre von Social Media, Rockmusik und Grafikdesign.
In den Zimmern des New Yorker „Ace“-Flaggschiffs findet man Plattenspieler, Vinyl und Wände, die mit historischen Ausgaben der New York Times tapeziert sind. Diese zeitgenössische Nostalgie verbindet Calderwood spöttisch mit Elementen des aktuellen Brooklyner Hipstergestus’, etwa der Edel-Trailerpark-Gastronomie. In der Lobby, die die Atmosphäre einer historischen Bahnhofshalle hat, gibt es einen Coffeeshop und eine Bar. Zwischen den Säulen, Bibliothekstischen und Sofas sind ausgestopfte Biber und Waschbären aufgestellt. Der Snack aus knuspriger Schweineschwarte lässt sich dort mit einem Dosenbier der Redneck-Marke „Porkslap“ hinunterspülen.
[gallery:Exklusiver Geschmack – Der Charme der Boutique-Hotels]
Allerdings fallen die „Standard“-Hotels inzwischen genauso wenig in die Budget-Kategorie wie jene der Marke „Ace“. Insbesondere im Falle von Balazs, der sein nächstes „Standard“ angeblich in Berlin eröffnen wird, könnte man diese Entwicklung als „Miu-Miu-Effekt“ bezeichnen: Miu Miu, von Prada als günstigere Zweitmarke eingeführt, war schon nach ein paar Jahren auf dem einstigen Preisniveau der Prada-Kollektion angekommen, die ihrerseits eine Kategorie höhergerückt war. Eine ähnliche Inflation ist auch im Falle des Berliner „Soho House“ zu beobachten, dessen Zimmerpreise sich vom moderaten Niveau der Eröffnungszeit in Regionen begeben haben, die das Haus trotz Krawattenverbots eher für Frankfurter Banker interessant machen.
Der Tatsache, dass Status im heutigen Berlin, wie Anfang der achtziger Jahre in New York, nur wenig mit Geld zu tun hat, trägt derzeit eher das „Michelberger“ mit seinem geschmackssicher improvisierten WG-Stil Rechnung, gelegen in einem Fabrikgebäude neben der Oberbaumbrücke. Wenn dieses Hotel ein Berliner wäre, dann wäre es der unrasierte Typ von nebenan, der in der Musikbranche arbeitet und sich am Sonntagnachmittag die Zeitungen in einem alten Paisley-Morgenmantel holt. „Die Stadt wirkt wie ein Magnet auf viele Menschen“, so definieren die Michelberger-Macher den Berliner Augenblick, „weil sie ihnen die Freiheit lässt, in Ruhe ihre Nische zu finden, ohne von kommerziellen Überlegungen behelligt zu werden.“
Das untere Ende des Budget-Spektrums dagegen besetzt in Deutschland die rapide wachsende „Motel One“-Kette, deren Produkt einen erfreulichen neuen Basisstandard darstellt. Dabei ist dessen für seine Preiskategorie erstaunliche Attraktivität nicht etwa auf das mittelmäßige, aber nicht weiter anstößige Design zurückzuführen, sondern darauf, was man in den „Motel One“-Häusern eben nicht vorfindet: die deprimierende Vertreter-Tristesse, wie sie in Ketten dieser Kategorie – Übernachtungen ab 49 Euro – sonst üblich ist.
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„Motel One“ passt hervorragend in das Schema der Konzentration geschmacksbürgerlichen Konsumverhaltens auf entweder ganz einfach oder ganz edel: T-Shirts von H&M, aber Schuhe von Tod’s, Flüge mit Easyjet, aber ein Trolley von Bottega Veneta – eine Melange aus High-End-Luxus und sehr günstigen, perfektionierten Standard-Massenprodukten. Mit dieser Entwicklung ist derzeit auch Ian Schrager befasst, der den klassischen Drei- bis Vier-Sterne-Boutique-Hotel-Bereich als „völlig überfüllt“ bezeichnet: „Die wirklichen Chancen liegen heute oberhalb und unterhalb dieser Kategorie.“ Folglich plant Schrager einerseits eine diskrete Kollektion von kleinen Superluxus-Stadthotels, die mit den klassischen Grand-Hotels konkurrieren sollen. Andererseits hat er im Oktober mit dem „Public“ in Chicago das erste Hotel einer neuen Budget-Kette eröffnet.
Mit dem „Public“, das Schrager ohne Designer einfach selbst entworfen hat, möchte er seine Art von kuratierter Hotelerfahrung kompromisslos zugänglich machen, „ganz ähnlich, wie Andy Warhol das mit Kunst gemacht hat“. In der Lobby und den Zimmern zeigt sich ein gereifter, schlichter Chic, benutzerfreundlich und komfortabel. Und so steht auch sein neuestes Projekt für eine Rückkehr zu den Anfängen – zu jener durchmischten, demokratischen Exklusivität des „Morgans“ nämlich, „die nicht auf Reichtum, sondern auf Sensibilität und Stil basierte“.
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Besondere Aufmerksamkeit hat Schrager dem Service gewidmet, der auf das Wesentliche reduziert wurde – denn wer braucht heute bitte noch ein Business Center? Sein Service-Konzept vergleicht er mit dem Einkaufserlebnis im Apple-Store: „Da bekommt man genau das, was man dort braucht, und sonst nichts.“ Schrager gesteht, dass er von Trader Joe’s besessen ist, dem amerikanischen Edel-Aldi: „Dort kaufen Reiche und Arme gleichermaßen ein. Es gefällt mir, dass sie einen spezifischen Blickwinkel haben und keine große Auswahl.“
Noch besser in die Gegenwart passt – auch als schönes Zeichen gegen die viel diskutierte Spaltung der Gesellschaft – das immer populärer werdende Konzept einer starken Spreizung verschiedener Zimmerkategorien unter einem Dach, wie sie etwa das „Lloyd Hotel“ in Amsterdam bereits seit 2004 praktiziert. Dort kann sich der Investmentbanker an einer jungen und kreativen Barszene erfreuen, in die man ihn anderswo gar nicht hineinließe und aus der er sich bei Bedarf in seine riesige Fünf-Sterne-Suite zurückziehen kann, während die prekäre, aber bezaubernde Tänzerin sich nach einer langen Nacht in die bequeme Koje ihres charmanten, aber winzigen Kämmerchens legt.
Auf die Spitze getrieben hat dieses Prinzip der Hotelier Claus Sendlinger mit seinem Pop-Up-Resort am Strand von Tulum in Mexiko: Im „Papaya Playa“ hatte man die Auswahl zwischen einer kleinen Hütte im Palmenwald für 40 Dollar die Nacht – oder einer großzügigen Casita auf einem Felsen mit spektakulärer Meerblickterrasse. Anfang Mai schloss er die Anlage einfach nach nur fünf Monaten und lässt sie während der Sommermonate als improvisiertes Resort auf Mykonos wieder auferstehen.Dort kann man nun ohne schlechtes Gewissen (man unterstützt ja den bankrotten Bündnispartner) auf der Bruchlinie der Europäischen Union Party machen. Und dass auch dieses Resort bald wieder verschwindet, hat den Vorteil, dass es gut altern wird – verklärt, in der Erinnerung.
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