- Etwas weniger Besserwisserei, bitte!
Die Zeitungen sind Meister nur der eigenen Apokalypse. Ein Plädoyer für einen konstruktiven Journalismus
Nun wird alles gut: Von Plakatwänden und Anzeigenseiten, im Kino, im Fernsehen, im Radio wird uns bald die Botschaft beglücken, dass ohne Zeitungen zwar nicht alles schlecht, aber vieles schlimmer wäre. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger – die Arbeitgeberseite also – hat eine breite „Gattungskampagne“ angekündigt. Die wirtschaftlich angeschlagene Branche soll offenbar in den Rang einer bedrohten Art erhoben werden, für die man um Mitleid und Unterstützung heischt. Gehört die Zeitung aber wirklich in eine Reihe mit Luchs, Fischotter, Fieberklee?
Schon spotten die lieben Kollegen des Online-Informationsdienstes turi2. Dort ist ein Plakat zu sehen mit dem gewiss frei erfundenen Motto: „Zeitungen machen schlau, sind wichtig für die Demokratie und schreiben immer die Wahrheit! Bitte abonnieren!“ Implizit denken tatsächlich viele Vertreter der Branche so. Sie halten es für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ihr demokratiepolitisch bedeutsames Produkt im schnöden Konkurrenzkampf der Medien derzeit schlechte Karten hat. Ausgerechnet unmittelbar vor Einführung der Haushaltsmediengebühr, mit der die öffentlich-rechtlichen Sender einer weitgehend sorgenfreien, von den Unbilden des Marktes und den Untiefen der Evaluation einigermaßen unbeleckten Zukunft entgegen segeln, ortet die Bundesagentur für Arbeit die größte Entlassungswelle in der Zeitungsbranche seit 1949. Ach ja, entfährt es da den Gebeutelten, beim Fernsehen müsste man sein und nicht bei der „Oberhessischen Presse“, der „Dithmarscher Landeszeitung“ oder gar der insolventen „Frankfurter Rundschau“. Selbst „Spiegel“ und „FAZ“ werden sparen wollen müssen, dito die „Rheinische Post“ und die „Saarbrücker Zeitung“ und die „Berliner Zeitung“ und der „Berliner Kurier“, und, und, und…
Dennoch besteht zu Krokodilstränen kein Anlass. Davon abgesehen, dass jede Entlassung traurig ist und keinem Arbeitnehmer gleich welcher Branche dieses Schicksal zu wünschen ist, keiner Familie, keiner Region, keinem Berufseinsteiger und keinem Senior: Zeitungsjournalisten sind Meister der eigenen Apokalypse, vernarrt in das Untergehen, als habe sie ein Thomas Bernhard ersonnen. Immer und immer wieder führen sie das Stück von der eigenen Bedeutsamkeit auf, bis der letzte Betrachter im letzten Hinterzimmer gegangen sein wird, wo der Putz schon bröckelt und ein eisiger Wind durch die Ritzen pfeift. Noch mit letzter Luft stricken sie am Mythos: „Unter uns gesagt, ich bin ein Klassiker.“
Die Demokratie wird nicht untergehen, wenn es in Deutschland weniger Zeitungen gibt. War es um unsere demokratische Kultur wirklich so viel besser bestellt, als die Zeitungen sich noch blähten im Wind ihrer Unverzichtbarkeit, in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts? Der Stumpfsinn wird nicht rascher sich verbreiten, wenn es in Deutschland weniger Zeitungen gibt. Hat die in der Tat wunderbar vielfältige Zeitungslandschaft der neunziger und nuller Jahre, deren dankbares Kind auch ich bin, den Aufstieg des telemedialen Allotrias, diese konzertierte Aktion zur Austreibung des Geistes, auch nur um eine Sekunde verlangsamt? Die Lüge wird nicht allgegenwärtig, wenn es in Deutschland weniger Zeitungen gibt. Sind nicht heute schon manche Blogger und Netzaktivisten ebensolche gewieften Rechercheure wie die Investigationsprofis in den redaktionellen Großmanufakturen, die es auch auf lange Zeit glücklicherweise noch geben wird?
Was sind denn, bei Lichte betrachtet, Zeitungen überhaupt, diese Zwittergebilde aus Papier, Druckerschwärze und Gedanke? Die knappste Formel hat unlängst in der „FAZ“ der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Friedrich geprägt: Die Zeitung sei ein „periodisch, zu einem bestimmten Termin erscheinendes und gestaltetes Text-Bild-Paket“ mit einem festen Redaktionsschluss. Eben dieser garantiert sowohl Verlässlichkeit, Erwartbarkeit als auch die Verderblichkeit der Ware. Früher hieß es, in die Zeitung von gestern könne man heute den Fisch einwickeln. Das lässt sich mittlerweile problemlos auch mit der aktuellen Ausgabe erledigen.
Ergo kann die Chance der Zeitung nur darin bestehen, einen Hintergrund und eine Haltung zu liefern, die nicht so rasch veralten. Sie muss aufschreiben, wie es früher hieß, was „über den Tag hinaus“ von Belang ist – Geschichten mit origineller Perspektive, Zusammenhänge kaum bekannter Art. Sie muss stärker als bisher den durch die neuen Medien angewachsenen Hunger des Lesers nach Information und Analyse berücksichtigen, staatskritisch, ökonomiekritisch, selbstkritisch. Der größte Fehler, den die Zeitung machen könnte, wäre – neben der Mitleidstour oder dem Ruf nach staatlicher Subvention – das forcierte Übliche, wäre ein Fortfahren im Kampagnenjournalismus und im paternalistischen Welterklären, Zurechtweisen, Dozieren vom Katheder der selbstzugesprochenen Autorität.
Eine Demokratie braucht Demokraten und keine Sturmgeschütze. Eine Republik der Bildungsfernen braucht mehr Wissende und weniger Besserwisser.
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