- Altmaiers widersinniges Weitermarschieren
Menschen wollen konsistent erscheinen, deswegen gehen sie lieber schnurstracks in den Abgrund, als die Lage neu zu überdenken. Ebenso Bundesumweltminister Peter Altmaier: Hat er sich auf dem Weg zur Energiewende verrannt?
Die Energiewende in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf. Frei nach Erich Honecker, dem großen Staatsratsvorsitzenden der DDR, lautet so inzwischen der Marschbefehl des neuen Bundesumweltministers Peter Altmaier. Da unterscheidet er sich übrigens kaum von seinem Vorgänger Norbert Röttgen, für den „die größte wirtschaftspolitische Herausforderung seit dem Wiederaufbau“ (Altmaier) ungefähr der Dimension des eigenen Egos entsprach. Auf den ersten Blick könnten die beiden Herren unterschiedlicher kaum sein; tatsächlich steht der stets jovial-gemütlich wirkende Peter Altmaier in wohltuendem Kontrast zum schneidig-selbstverliebten Superstaatsmann aus Meckenheim, der sich trotz seiner Pleite in NRW immer noch für den besseren Bundeskanzler halten mag. Aber man sollte sich da nicht täuschen lassen – auch nicht von Altmaiers saarländischem Zungenschlag, der (mit Ausnahme des gebürtigen Neunkircheners Honecker) irgendwie volkstümlich und auf sympathische Weise unpreußisch klingt.
[gallery:Die Kosten der Energiewende]
Denn von dialektischer Färbung abgesehen, sind die jüngsten Einlassungen des Bundesumweltministers geradezu mustergültiger Apparatschik-Sprech: Als „irreversibel“ bezeichnete Peter Altmaier die Energiewende jüngst bei der Präsentation eines „Zehn-Punkte-Programms“ zur Umweltpolitik – gerade so, als handle es sich um eine physikalische Notwendigkeit, und nicht um ein von Menschen gemachtes Gesetz. „Irreversibel“, also unumkehrbar, bedeutet ja in diesem Fall nichts anderes als ein Festhalten am Atomausstieg auch für den Fall, dass neu hinzugewonnene Erkenntnisse Zweifel am gesamten Projekt aufkommen lassen würden. Solches Handeln wider besseres Wissen wäre aber eine ausgemachte Dummheit, um nicht zu sagen: gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung. Wie kommt Peter Altmaier, der dem Vernehmen nach ja ein kluger Kopf sein soll, zu derlei Behauptungen?
Ein Blick in Rolf Dobellis Dauerbestseller „Die Kunst des klaren Denkens“ hilft da möglicherweise weiter, genauer gesagt, in das Kapitel „The Sunk Cost Fallacy“. Die sogenannten versunkenen Kosten sind ein Bild aus der Spieltheorie, mit dem irrationale Momente menschlichen Verhaltens erklärt werden können. Aktienbesitzer kennen das vielleicht aus eigener Erfahrung: Je tiefer ein Wertpapier unter den Einstandspreis sinkt, desto geringer ist die Bereitschaft, sich von ihm zu trennen – und zwar unabhängig von der prognostizierten Kursentwicklung. Das ist ähnlich wie bei einer unglücklichen Ehe: Die Trennung fällt umso schwerer, je länger die Beziehung währt. Denn die Partner haben ja bereits so viele Emotionen in sie investiert. Das Motiv für objektiv widersinniges Weitermarschieren auf dem einmal eingeschlagenen Weg besteht in Dobellis Worten darin: „Menschen streben danach, konsistent zu erscheinen. Mit Konsistenz signalisieren wir Glaubwürdigkeit. Widersprüche sind uns ein Gräuel. Entscheiden wir, ein Projekt in der Mitte abzubrechen, generieren wir einen Widerspruch: Wir geben zu, früher anders gedacht zu haben als heute.“
Zuzugeben, früher anders gedacht zu haben als heute – mit diesem Satz ist das Modernisierungsprogramm der CDU ziemlich präzise auf den Punkt gebracht: Die Partei Peter Altmaiers hat unter Angela Merkels Führung während der vergangenen zehn Jahre unter Ächzen und Stöhnen viele „versunkene Kosten“ abgeschrieben und alte Positionen geräumt – von der Ausländerpolitik über Kindererziehung bis hin zur Homo-Ehe; bei der Atompolitik ist ihr sogar das denkwürdige Kunststück einer doppelten Kehrtwende gelungen. Wer kann es dem Bundesumweltminister da schon verdenken, wenn er jetzt endlich ganz besonders konsistent erscheinen will – und „irreversibel“ nennt, was in einer Demokratie selbstverständlich auch wieder rückgängig gemacht werden kann?
Rolf Dobellis Buch trägt übrigens den Untertitel „52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen“. Minister Altmaier sollte sich das zu Herzen nehmen.
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