- Der Informationskampf zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten
Die Medienkolumne: Wer im Rechtsstreit um die Tagesschau-App objektiv informiert werden wollte, guckte in die Röhre: Zeitungen und Sender berichteten verzerrt. Was aber, wenn Print- und Rundfunkmedien immer mehr zusammenarbeiten? Was heißt das für die öffentlich-rechtliche Kontrolle?
Wenn Medien Nachrichten in eigener Sache veröffentlichen, wenn sie selbst also der Gegenstand ihrer Meldungen sind, dann sollte das Publikum äußerst misstrauisch werden. Dafür gibt es jetzt sogar einen wissenschaftlichen Beleg. Martin Meuthen und Helene Pawlitzki haben das anhand der Tagesschau-App bewiesen – jenes handlichen ARD-Informationskanals also, das bereits eine Million Menschen auf ihr Handy heruntergeladen haben.
Diese App ist nicht nur höchst umstritten und Tageszeitungen ein Dorn im Auge, mehr noch: Sie ist das wohl beste Beispiel dafür, dass bei Medienthemen Journalismus auch in den Lobbyismus-Bereich umschlagen kann. Denn ausgewogene Berichte hätte es zu diesem Thema „kaum“ gegeben, schreiben Meuthen und Pawlitzki in dem Fachmagazin message.
Gegen die Tagesschau-App hatten die Zeitungsverlegern 2011 geklagt. In erster Instanz wurde die App für unzulässig, in zweiter für zulässig erklärt. Die Klage ist nun vor dem Bundesgerichtshof anhängig, im Frühjahr 2015 soll verhandelt werden.
PR in eigener Sache
Die Studienautoren attestieren in diesem Rechtsstreit sowohl Print- als auch Rundfunkmedien eine „selbstreferentielle Berichterstattung“ und einen„Mangel an Objektivität“. Sie fanden „besonders einseitige Berichterstattung“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und „anfänglich ziemlich aggressive Schreibe“ in Springers Welt. Am schlechtesten schnitt das WDR-Magazin „Töne, Texte, Bilder“ in der Erhebung ab – es habe „fast ausschließlich opportune Gesprächspartner aus dem Senderverbund“ präsentiert. Der WDR hatte in jener Zeit den ARD-Vorsitz inne und warb somit maßgeblich für die Tagesschau-App.
Das, was da über den Sender lief, kann man also mit gutem Gewissen als parteiisch bezeichnen. Es war PR in eigener Sache. Ein Dammbruch.
Eine positive Ausnahme in dieser Erhebung sei die „Süddeutsche Zeitung“ gewesen: Sie klagte selbst gegen die App, beurteilte aber redaktionell in immerhin vier Fällen das Vorgehen der Verleger als negativ. Damit sei das Blatt „eindeutig gegen den Trend“ gegangen, den man von einem klagenden Verlag erwarten würde, schrieben Meuthen und Pawlitzki.
Das war 2012. Seit Jahresbeginn unterhalten die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR ein gemeinsames Investigativressort. Und das journalistisch sehr erfolgreich, wie die Recherchen im Geheimdienstbereich, in der Islamismus-Szene oder über weltweite Steueroasen beweisen.
Massiver Sparkurs beim WDR
Seitdem aber vermisst man in der SZ ein wenig die gleiche Bissigkeit, wenn es um die Kritik und Kontrolle dieser öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, insbesondere des WDR, geht.
Der WDR will ab 2016 jährlich rund 100 Millionen Euro einsparen und dafür rund 500 von 4500 Planstellen abbauen. Die Süddeutsche Zeitung aber lobte WDR-Intendant Tom Buhrow zur einjährigen Amtszeit: Er habe die Situation „besser moderiert als so manche Ausgabe der Tagesthemen“. Der Sparkurs sei eine „Chance zur Erneuerung“ und biete „die Möglichkeit, alte Strukturen aufzubrechen“.
Solche Sätze schreiben Unternehmensberater, wenn sie die Abwicklung von Abteilungen umschreiben möchten. Die Rheinische Post vermeldete dieser Tage, dass auch bei den Honoraren der rund 15.000 freien WDR-Journalisten rund 10 Prozent gekürzt werden soll. Die Freien würden eine Klage vorbereiten. Was da in Deutschlands größtem Sender gerade passiert: Nichts davon erfährt der SZ-Leser. Ja, die Zeitung hat immerhin den Ranking-Skandal im WDR erwähnt – aber die Manipulationen hatte der Sender ohnehin von sich aus eingeräumt und entsprechend kommuniziert.
Nur noch Lobestexte auf öffentlich-rechtlichen Anstalten?
Hinter den Kulissen des WDR tobt derzeit ein massiver Streit: Der Urheber des Beitrags „Nervengift im Flugzeug“ in der Reihe „Die Story“, Investigativjournalist Tim van Beveren, ist nicht mehr als Autor seines Films benannt. Unabhängig davon geht der Anwalt eines verstorbenen, im Film gezeigten Piloten gegen den WDR vor. Er warf dem Sender vor, das Publikum betrogen zu haben und reichte Programmbeschwerde ein. Der Sender wies die Vorwürfe zurück. Gegen den „WDR-Faktencheck“ wiederum geht der Filmautor van Beveren selbst vor. Er enthalte falsche Tatsachenbehauptungen über seine Person.
Ein quälender Rechtsstreit, der an der verbündeten SZ vorbei geht. Dort befasst man sich lieber mit dem „Tatort“ oder der Wiederauflage von „Geld oder Liebe“ im WDR.
Die Süddeutsche Zeitung hat auch keine Kritik an der öffentlich-rechtlichen Ukraine-Berichterstattung geübt oder dazu Zuschauervertreter – etwa von der „Ständigen Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien“ – befragt. Dass der WDR ein Panzer-Bild fälschlicherweise dem Ukraine-Konflikt zugeordnet hat, hatte schließlich zuerst der Tagesspiegel an die breite Öffentlichkeit gebracht.
Wenn wir schon Medien nicht trauen können, wenn sie über Probleme ihres eigenen Verlags oder Senders berichten – wie wird es dann sein, wenn private Medien zunehmend auf die Zulieferung von öffentlich-rechtlichen Inhalten angewiesen sein werden? Was hat das für Auswirkungen auf die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Wer passt dann auf, dass unsere Rundfunkbeiträge nicht veruntreut werden?
Es ist gut, wenn die Wissenschaft diese Fragen einmal prüft – und weiterhin ein Auge darauf hat.
Hinweis: Die Autorin trat als Kritikerin des NDR-WDR-SZ-Recherchepools bei der Verdi-Tagung „Mitbestimmung und Transparenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ auf. Mittschnitt der Debatte hier.
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