- „Eine neue Sicht auch auf die Sexualität“
Die Kirche sollte endlich in der Moderne ankommen, fordert das kritische Katholikennetzwerk „Wir sind Kirche“. Wie der Rücktritt des Papstes für eine grundlegende Reform genutzt werden könnte, erklärt Magnus Lux, Bundessprecher der Kirchenvolksbewegung
Einen freiwilligen Rücktritt eines Papstes hat es seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben. Insofern ist die mutige Entscheidung Papst Benedikts als historisch zu bezeichnen.
Sein Rücktritt bedeutet eine Entzauberung des Amtsträgers. Johannes Paul II. hatte einen Rücktritt als „Stellvertreter Christi auf Erden“ ausgeschlossen, denn Jesus sei auch nicht vom Kreuz herabgestiegen. Benedikt dagegen zeigt sich als verletzlicher Mensch. Sein Rücktritt bedeutet damit auch eine Entzauberung des Amtes. Ja, ein Papst kann zurücktreten. Das ist ein Abschied vom Feudalsystem, bei dem ein Amt auf Lebenszeit vergeben wird. Ein nächster Schritt könnte sein, die Amtszeit eines Papstes von vornherein zu begrenzen; die Bischöfe müssen ja mit 75 Jahren ihren Rücktritt anbieten.
Die große Frage ist, wer die Nachfolge Benedikts im Petrusamt antreten wird. Manche meinen, die Zeit sei reif für einen Nicht-Europäer. Nur 42 der wahlberechtigten 118 Kardinäle sind Europäer, die meisten Katholikinnen und Katholiken leben auf den südlichen Kontinenten.
Aber es kommt nicht darauf an, aus welchem Erdteil ein Papst stammt, sondern dass er das schwierige Amt auszuüben in der Lage ist. Dazu ist es wohl notwendig, dass die Last auf mehrere Schultern gelegt wird, dass der Papst also teamfähig ist und Verantwortung delegiert, so wie es das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) vorgesehen hat. Er muss auch die Verantwortung der einzelnen Bischöfe und Bischofskonferenzen anerkennen; denn die Bischöfe sind nicht Abteilungsleiter des Papstes, sondern eigenverantwortliche Nachfolger der Apostel. Eine monarchische, absolutistische Kirchenleitung ist nicht zeitgemäß und nicht konzilsgemäß. Die Hierarchie, die heilige Herrschaft, kann sich nicht auf das Neue Testament berufen; denn dort heißt es: „Einer ist euer Meister, ihr alle seid Brüder und Schwestern.“ Es braucht einen Papst, der mutig und waghalsig wie Petrus das Boot verlässt und über das Wasser geht, dem Herrn entgegen.
Den Kardinälen steht also eine schwierige Wahl bevor. „Wer allen vorsteht, soll von allen gewählt werden“, mahnt Papst Leo der Große (5. Jahrhundert) an. Diesen Grundsatz sollten sich die Kardinäle zu Herzen nehmen. Es spricht nichts dagegen, dass sie die Zeit bis zum Konklave nutzen und sich mit den Bischöfen, den Priestern, den Diözesanräten und allen Gläubigen besprechen, welche Anforderungen diese an einen neuen Papst stellen. Dessen Auftrag heißt: „Stärke deine Brüder und Schwestern“, nicht: Beherrsche sie. Es genügt heute nicht mehr, dass der Papst Macht hat, er muss verantwortlich damit umgehen und sie im Dienste der Einheit einsetzen, ein Dienst, der zusammenführt und nicht ausschließt. Es genügt heute nicht mehr, Autorität zu haben, der Papst muss Autorität sein, will er anerkannt und gehört werden.
Das Kirchenvolk, also die Getauften und Gefirmten, die im Glauben feststehen, hat Erwartungen an den neuen Papst.
Als Leiter der Weltkirche muss der Bischof von Rom dafür Sorge tragen, dass die Einheit der Kirche gewahrt wird. Einheit bedeutet aber nicht Einheitlichkeit. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Kirche in den verschiedenen Kulturen müssen anerkannt werden. Nur so kann die Kirche vor Ort den Getauften und Gefirmten Heimat sein. Dazu bedarf es der Anerkennung verschiedener Theologien. Der Papst kann nicht einfach vorgeben, was gedacht werden darf. Die von Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation vorgenommene Verurteilung der südamerikanischen Befreiungstheologie missachtet die Vielfalt der Kulturen und der unterschiedlichen Wege zu Gott.
Seite 2: „Der Papst muss auch Gesprächspartner für alle anderen Religionen sein“
Eine wesentliche Aufgabe des Papstes ist auch die Ökumene. Ein Dialog auf Augenhöhe ist aber nur möglich, wenn anderen Christinnen und Christen der Name „Kirche“, also Gemeinde Jesu Christi, nicht abgesprochen wird, wie das Ratzinger als Kardinal im Jahr 2000 getan hat. Die Kirchen müssen in „versöhnter Verschiedenheit“ das Leben teilen. Wenn sie nicht gemeinsam sprechen, werden sie in der Gesellschaft immer mehr an Wirkkraft verlieren.
Der Papst muss auch Gesprächspartner für alle anderen Religionen sein. Das gemeinsame Gebet aller Religionen in Assisi hat Benedikt abgeschafft. Doch es muss Ansporn aller Religionen sein, sich für den Frieden unter den Menschen einzusetzen.
Der Papst als Garant der Einheit der Kirche darf nicht vorgeblich papst- und kirchentreue Anhänger bevorzugen und den Traditionalisten allen Einfluss in der Kirche gewähren. Er muss ein Ohr für die Reformgruppen haben. Sie sind es, die prophetisch die viel zu große Entfernung der Institution römische Kirche von der befreienden Botschaft des Evangeliums vom Reich Gottes aufzeigen. Dafür ist eine Kurienreform dringend notwendig. Auch sollte der neue Papst die „lex fundamentalis ecclesiae – das Grundgesetz für die Kirche“ wieder aufgreifen, was Paul VI. begonnen, Johannes Paul II. aber in der Schublade hat verschwinden lassen.
Der neue Papst muss dafür Sorge tragen, dass die Kirche in der Moderne ankommt. Das betrifft gerade auch die Ämterfrage. Wenn die Eucharistiefeier Mittelpunkt der Kirche ist, so muss auch sichergestellt werden, dass sie stattfinden kann. Deshalb müssen die Zugangsbedingungen zum priesterlichen Dienst den Erfordernissen angepasst werden.
Das betrifft den Pflichtzölibat ebenso wie die Zulassung der Frauen zu allen kirchlichen Ämtern. Der Volk-Gottes-Gedanke muss die prägende Kraft in der Kirche sein; nur so kann die Spaltung in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Klerikern und Laien überwunden werden. Die Menschenrechte dürfen nicht nur von der Welt eingefordert, sondern müssen in der Kirche gelebt werden. Dazu zählt zum Beispiel eine neue Sichtweise der Sexualität, die auch die Homosexuellen einschließt, dazu gehört auch, den nach Scheidung Wiederverheirateten die Kommunion nicht zu verweigern. Das Kirchenrecht muss dahingehend geändert werden, dass es der Praxis Jesu und modernem Rechtsempfinden entspricht.
Wie soll das alles möglich sein? Entscheidend wird sein, dass der neue Papst das Rad nicht noch weiter zurückdreht, sondern die wegweisenden Ansätze des Zweiten Vatikanischen Konzils weiterentwickelt. Dessen Grundsatz heißt: Kirche geschieht im Dialog.
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