- „Ein Leben als Versager hätte ich nicht ausgehalten“
Seit über 25 Jahren bereist der Reporter und Schriftsteller Andreas Altmann die Welt, kommende Woche erscheint sein neues Buch „Dies beschissen schöne Leben”. Im Interview spricht Altmann über Bücherklau, Narzissmus und den Wunsch, bisexuell zu sein
Herr Altmann, wann haben Sie zuletzt ein Buch geklaut?
Das war bei meiner letzten Lesetour. Ich stand schon an der Kasse, aber die Kassiererin konnte den Strichcode nicht ablesen und bat mich, ein anderes Exemplar zu holen. Ich bin zwar noch rüstig – aber die Zeit habe ich nicht. Da habe ich es eben mitgenommen.
Sie haben es eingesteckt?
Vorher habe ich noch nachgeschaut, ob eine Metallsonde drin war.
In Ihrem neuen Buch „Dies beschissen schöne Leben“ berichten Sie von jahrelangem Bücherklau. Wie ist es dazu gekommen?
Weil ich kein Geld hatte. Das ist keine Rechtfertigung – aber vielleicht eine Erklärung. Außerdem habe ich nur die großen Buchhändler beklaut.
Hat der Diebstahl einen besonderen Reiz?
Ja, klar! Weil: Was mache ich, wenn sie mich erwischen? Denken Sie mal an die Schlagzeilen: „Autor Altmann beim Klauen erwischt!“ Großartig!
Der Reiz des Verbotenen?
Natürlich. Wie sagte Billy Wilder: Volksschullehrerinnen sind nicht fotogen; böse Menschen schon.
Fürs Bücherklauen hatten Sie einen speziellen Mantel mit eingenähten Taschen.
Ein Mantel und ein dickes Harris Tweed Sakko. Beide hatten vier spezial erweiterte Inntaschen. Der Mantel war ein Nazimantel, so ein schwarzer, ganz schwerer. Den haben die Bücher nicht ausgebeult.
Raffiniert!
Das kommt alles noch vom Briefmarkenklauen in meiner Jugend. Da habe ich das entdeckt, diesen Thrill, diese Freude. Eigentlich wollen wir das doch alle. Die meisten trauen sich bloß nicht.
Ziehen Sie die geklauten Bücher den gekauften vor?
Nein, das hat sich immer so ergeben. Was mir der Markt angeboten hat, das habe ich genommen. Ich wüsste heute auch nicht mehr bei jedem einzelnen Buch, ob ich es geklaut habe oder nicht.
Als erfolgreicher Schriftsteller stehen Sie heute auf der anderen Seite.
Ja, heute sind alle Buchhändlerinnen meine Freundinnen.
Dieser Tage beginnt Ihre Lesetour mit „Dies beschissen schöne Leben“. Könnten Sie es einem Leser nachsehen, wenn er Ihr Buch bei einer Lesung klaute?
Ich habe neulich einem zugeschaut! Als Ex-Klauer hat man dafür ein Auge. Wenn einer noch nicht ganz Profi ist, macht er ein paar Bewegungen, die man nicht machen sollte. Ich habe gleich gesehen, dass der Typ im Begriff war, eine Missetat zu begehen. Nach erfolgreich begangener Tat wollte ich zu ihm gehen und mich bedanken.
Und?
Er hat es dann doch gekauft.
Woran haben Sie ihn erkannt?
Er hat anscheinend überlegt, ob es in seine Tasche passen könnte. Er war so wie ich am Anfang. Hat sich umgeschaut. Das sollte man nicht machen.
Sind Sie beim Bücherklauen jemals erwischt worden?
Nicht ein einziges Mal.
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Das spricht für Ihr kriminelles Talent.
Profis wissen einfach, wann sie aufhören müssen. Amateure nicht. Das habe ich in Casinos gelernt.
Wenn Sie Ihre Arbeit als Reporter beschreiben, verwenden Sie häufig Wörter, mit denen man auch das Diebeshandwerk beschreiben könnte: Da ist von „Beutezügen“ die Rede; Sie „verführen“ Menschen dazu, Ihnen ihre Geschichten zu erzählen. Ist der Reporter ein Geschichten-Dieb?
Klar, manche Menschen sagen: Ich stehle die Geschichten, ich nehme sie den Menschen weg, ich gebe ihnen dafür nichts, nur meine Aufmerksamkeit.
Ich meinte das durchaus positiv. An einer Stelle beschreiben Sie einen langen Recherchetag und schließen mit dem schönen Satz: „Wie schwer beladene Goldgräber schlichen wir davon.“ Der Reporter ist auch einer, der sucht, sammelt, ordnet.
Ja, das kennen Sie ja auch! Sie wollen auch Leute treffen, die etwas zu sagen haben! Banker riechen Geld, Nutten riechen Freier und ich rieche Stories. Ich kann nichts anderes.
In Ihrem Buch …
… das Sie hoffentlich nur in Begleitung eines Erwachsenen gelesen haben!
… beschreiben Sie allerhand Grenzüberschreitungen – Betrug, Drogen, Impotenz, eine Abtreibung …
… Homo-Sex …
… obwohl Sie gar nicht homosexuell sind.
Ich wollte bi werden. Was für eine Auswahl hätte ich dann gehabt! Hat leider nicht geklappt.
Das Buch trägt den Untertitel „Geschichten eines Davongekommenen“. Damit schließt es an ihr vorletztes Buch „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ an, in dem Sie ihre unglückliche Kindheit im bayerischen Wallfahrtsort Altötting beschreiben. Der Protagonist der „Scheißjugend“ ist einer, dem das Leben widerfährt, der in weiten Teilen nur reagiert. Der Protagonist im neuen Buch ist dagegen einer, der agiert, der seiner Neugier folgt, der seinen Weg selbst bestimmt.
Ich wollte einfach kein Opfer mehr sein. Sartre hat einmal gesagt: Ich kann weder gehorchen noch befehlen. Das unterschreibe ich. Ich will für das, was ich tue, verantwortlich sein – und nur dafür.
Dazu scheint eine gewisse Unbedingtheit zu kommen.
Wenn Sie als Kind so gedemütigt werden wie ich – es ging ja schon los mit einer Erstickungsattacke nach der Geburt –, dann bauen Sie einen gewaltigen Narzissmus auf. Weil Sie das, was Freud das Urvertrauen nannte, nie bekommen haben. Sie müssen ununterbrochen dafür kämpfen, dass die Welt Sie liebt. Und damit sie das tut, müssen Sie eben etwas Besonderes machen. Jetzt können Sie natürlich sagen: Viele Leute haben diesen Narzissmus, aber nicht viele Leute haben die Kraft, die es braucht, um dann etwas Besonderes zu leisten. Naja, die Kraft habe ich eben auch gehabt. Das ist nicht mein Verdienst. Das ist einfach da. Ein Leben als Versager hätte ich nicht ausgehalten. Ich habe ja großmäulig behauptet, ich hätte mir das Leben genommen, wenn ich es bis 40 zu nichts gebracht hätte.
An einer Stelle schreiben Sie über Menschen, die ihre Träume verloren haben: „Aus Ex-Träumern werden Tote, diese Scheinlebendigen, die uns jeden Tag über den Weg laufen. Eher friedliche Zombies, die nichts mehr befeuert. Keine Vision, kein Taumel, kein Hunger, kein Sehnen nach einem anderen Dasein. Sie sterben jetzt, mitten im Leben, werden sacht und beständig vom Verlangen nach Bravsein und Mittelmaß erledigt.“ Ist das der größte Horror für Sie – keine Träume mehr zu haben?
Furchtbar! Wer kennt sie nicht, die Taxifahrer, die einem erzählen, was sie eigentlich mal machen wollten. Aber ich schreibe das nicht mit erigiertem Zeigefinger. Wenn einer die Kraft nicht gehabt hat, dann ist das eben so. Auch für mich gilt: Wenn Sie mir mein Talent nehmen, dann bleibt nichts.
Sie bereisen seit über 25 Jahren als Reporter und Schriftsteller die Welt. Was treibt Sie an?
Ich bin närrisch verliebt in die Sprache. Außerdem möchte ich meinen Lesern etwas bieten. Immerhin geben sie mir die zwei wertvollsten Dinge, die sie haben: Erstens Knete, zweitens Lebenszeit. Meine Bücher sollen die Leser bereichern und auf intelligente Weise unterhalten.
Was haben Sie eigentlich gegen Alltag?
Kein Thrill. Nichts, das mich erregt. Nichts, wo ich denke: Tolle Geschichte, was für eine Frau, was für ein Mann, was für eine Geste! Es gibt einen sehr guten amerikanischen Schriftsteller, George Saunders. Der hat dazu einen schönen Satz gesagt: Was mich wachhält, ist, dass ich immer offen bin für Schönheit, Grausamkeit, menschliche Dummheit und „unexpected grace“ – unerwartete Anmut.
Sie haben einmal angedeutet, Sie könnten sich gut vorstellen, dauerhaft nach Vietnam oder Kambodscha zu ziehen. Gilt das immer noch?
Ich war gerade in Kambodscha. Aber nur zum Schreiben, in einem Hotel. Da habe ich gedacht: Dieser Wunsch hat abgenommen. Ich bin halt Europäer. Ich mag diese Cafés in Paris, die Kinos, den geistigen Imput... Auf der anderen Seite ist Europa natürlich auch stressig, oft unfreundlich. Wohin mit mir? Keine Ahnung.
„Dies beschissen schöne Leben“ erscheint am 12. März im Piper Verlag.
Das Gespräch führte Christophe Braun.
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