- „Männer wissen immer weniger, wer sie sind“
Männer mit guten Manieren, die in den Mantel helfen, imponieren ihr. Vulgäre Stammtisch-Brüder findet sie armselig. Im Interview spricht Domina Karolina Leppert über ihr Buch „Männermanieren“ sowie über die Grenzen der Political Correctness und ihre Definition von Feminismus
Karolina Leppert wuchs in einer gutbürgerlichen Familie in Bayern auf. Sie arbeitete als Fachverkäuferin und im Marketing. Mit 53 Jahren begann die Wahlberlinerin eine Karriere als Domina. Als ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins „Hydra“ setzt sich die heute 70-Jährige für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein. Gerade erschien ihr Buch „Männermanieren“.
Frau Leppert, sind Sie Domina geworden, weil sie so den Männern notfalls auch mit der Peitsche Manieren beibringen konnten?
Karolina Leppert: Am Anfang wusste ich das noch nicht. Erst mit der Zeit begriff ich, dass es zum Rollenspiel dazu gehört, Umgangsformen einzufordern, wenngleich auf spielerische Art. Das war eine Offenbarung für mich. Zum Beispiel mit Handkuss begrüßt zu werden. Wenn der Kunde das nicht richtig machte, hatte ich einen Grund, ihm eine Ohrfeige zu geben oder mir eine andere Strafe zu überlegen. Das ist doch eigentlich herrlich für eine Frau.
Und im Alltag wollen Sie gern, dass man Ihnen in den Mantel hilft oder, dass der Mann am Tisch aufsteht, wenn die Frau dazukommt?
Ja, ich bin sehr altmodisch. Das Aufstehen am Tisch kommt mir allerdings tatsächlich schon wie ein Relikt aus der Vergangenheit vor. Das machen nur noch wenige Männer. Es ist aber eine schöne Geste.
Warum wollten Sie denn Domina werden?
Ich war einfach neugierig. Damals war ein fester Bestandteil der Erziehung, die Mädchen zu ermahnen, immer auf ihren guten Ruf zu achten. Man hatte sich nach dem zu richten, was sich gehörte. Die moralische Welt, die mir präsentiert wurde, habe ich einfach nicht glauben können. Meiner Generation wurde immer gesagt: „Jungen dürfen sich austoben und Mädchen haben sich zu bewahren.“ Das habe ich angezweifelt. Ich war schon immer eine Querdenkerin.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der zunehmende Konsum von Internetpornos den Umgang der Geschlechter belastet, nicht nur in der Sexbranche. Woran liegt das?
Früher kam man schwerer an Pornos. Es war teuer, es war geheimnisvoll, vielleicht sogar illegal, man musste Hindernisse überwinden. Heute kann jeder Zwölfjährige auf dem Smartphone ständig Pornos anschauen. Die ersten sexuellen Eindrücke erfahren die jungen Männer im Internet, sie bauen daraus eine Erwartungshaltung auf und verwechseln dann bei realen Frauen Fiktion und Wirklichkeit. Hinzukommt die Vulgärsprache, die heute benutzt wird. Sie ist auch Anzeichen für den schleichenden Niedergang der Sitten. Der Respekt bleibt dabei auf der Strecke.
Was macht der Pornokonsum mit den Männern, was beobachten Sie?
Es stumpft ab und die Reizschwelle wird immer höher. Die Männer nehmen sich vor allem bei Sexworkerinnen, wohl weil sie da bezahlen, mehr Freiheiten heraus und lassen die Manieren zu Hause. Männer sollten sich darauf besinnen, dass das Miteinander viel einfacher und schöner ist, wenn man gewisse Manieren berücksichtigt wie Höflichkeit, Sauberkeit, gepflegte Kleidung und Haltung. Männer haben sich einfach nicht weiterentwickelt. Sie wissen immer weniger, wer sie sein sollen. Im Zweifel richten sie sich nach den Stammtischbrüdern, die ihnen sagen: „Zeig der Alten, wo es lang geht, dann bist Du ein richtiger Mann.“ So sind viele Männer, aber nicht alle.
Der moderne deutsche Mann scheint heute verunsicherter denn je, nicht nur in den Reihen von AfD und Pegida. Viele Männer helfen im Haushalt, gehen in Elternzeit, wissen aber nicht mehr, wie Ritterlichkeit geht, sind verunsichert, orientierungslos, unhöflich. Woher kommt diese Identitätskrise?
Das zu erforschen, ist wohl die Aufgabe von Soziologen und Psychologen. Was mir nur auffällt: Je genauer die Frauen wissen, wer sie sind, desto weniger wissen es die Männer. Ihre schlechter werdenden Manieren sind auch die Folge einer fundamentalen Planlosigkeit im Hinblick auf ihre Geschlechterrolle. Aber kann man aus Unsicherheit unhöflich sein? Ich bin überzeugt: Nein. Mit der richtigen Geisteshaltung kann ich eine unsichere Situation mit Höflichkeit sogar besser bewältigen.
Nach den Vorfällen in Köln wurde die Frage laut, warum die Männer den Frauen nicht geholfen haben. Nun erfuhr man von Vergehen an Frauen in Flüchtlingsheimen. Geht die Sicherheit der Frauen auf Kosten der Political Correctness gegenüber Flüchtlingen?
Diese Situation an Silvester kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Über 1000 Anzeigen bei der Polizei – wie kann das geschehen sein, ohne dass es jemand bemerkte? Und wenn deutsche Männer anwesend waren – waren sie blind? Ich würde Männern mit einigermaßen intaktem Verantwortungsbewusstsein unterstellen, dass so archaische Reaktionen, wie Widerwille gegen die Tatbestände und das Bedürfnis zu helfen, einfach und spontan funktionieren.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer berichtete von der Angst einiger Professoren um ihre blonden Töchter, weil sie neben 60 arabischen Männern wohnen mussten. Viele warfen Palmer Hetze gegen Ausländer vor. Geht auch hier die Political Correctness zu weit?
Menschen müssen mit ihren Ängsten ernst genommen werden. Sonst füllen vermeintliche Heilsbringer dieses Vakuum. Aber auch der Vater, der übergroße Angst um seine blonden Töchter hat, sollte sich fragen, ob er da vielleicht etwas Eigenes auf Fremde projiziert. Auch der nette Nachbar ist nicht über jeden Verdacht erhaben. Im Übrigen: Warum erwähnt er eigentlich die blonde Haarfarbe der Töchter?
Erst nach Köln denkt die Regierung ernsthaft über eine Verschärfung des Vergewaltigungsparagraphen nach, wonach auch Fälle als Vergewaltigung gelten sollen, bei denen nicht Gewalt vorliegt, sondern nur angedroht wird. Außerdem soll Grapschen strafbar werden.
Das hört sich erst einmal gut an, jedoch sollten wir daran denken, wie beweisbar dieses Gesetz überhaupt wäre. Mit der Erfahrung der Silvesternacht ist es schwer, das Thema sachbezogen zu diskutieren. Der erste Impuls, aber auch eine große Gefahr ist es, in Aktionismus zu verfallen.
Manieren sind ein Mittel, um die Verschiedenheit der Geschlechter zu verdeutlichen. Gehen mit der wachsenden Emanzipation die Manieren immer mehr flöten, weil man alle Unterschiede ausgleichen will?
Gute Manieren haben nichts mit Geschlechtern zu tun. Die Besinnung darauf zeugt von Respekt und Wertschätzung und macht den Umgang miteinander leichter und das Leben insgesamt schöner. Der Emanzipation der Frauen mit schlechten Manieren zu begegnen, gleicht einer Bestrafung, sozusagen: wenn schon auf Augenhöhe, dann auf Stammtischniveau.
Männer fühlen sich heute fast schuldig, wenn sie einer Frau ein Kompliment machen, und müssen sich Sexismus-Vorwürfe anhören, wenn sie das Essen bezahlen wollen. Finden Sie die Haltung der heutigen Feministinnen richtig?
Ich stelle mir solch eine Situation verfilmt vor – das wäre doch ein tolles Thema für Loriot gewesen. Nein, meine wünschenswerte Form von Emanzipation beinhaltet alles: Ich bin ebenbürtig, agiere auf Augenhöhe und fordere ein, dass der Mann das nicht anzweifelt. Aber ich bin auch Frau und genieße Komplimente und ausgesprochen gute Manieren – vorausgesetzt, sie kommen von Herzen. Wenn mir ein Mann in den Mantel helfen will und ich mir die Arme nicht verrenken muss, dann empfinde ich das doch als aufmerksam und nicht als diskriminierend. Ich muss mein Selbstbewusstsein auch nicht ständig wie eine Fahne vor mir hertragen.
Bei all den Gender-Debatten um eine politisch korrekte Sprache mit Binnen-I und geschlechtsneutralen Wörtern bekommt man den Eindruck, als ob Grüne und Feministinnen den Mann und alles Männliche abschaffen wollen. Wie sehen Sie das?
Schwierig – einerseits zeugt es von einer männlich dominierten Welt, wenn die Sprache nur männlich ist. Andererseits wirkt konsequente Genderisierung für unser Sprachempfinden oft künstlich und pittoresk. Ich finde das zum Teil völlig albern. In Zukunft wird wohl noch viel experimentiert werden müssen.
Polens Kulturminister Piotr Glinski sagte kürzlich in einem Interview: „Die Gender-Ideologie beinhaltet die Auffassung, die kulturelle Bedingtheit gesellschaftlicher Rollen sei schlecht und diskriminierend. Ich sehe es umgekehrt: Die Kultur mildert die menschliche Natur.“
Rollen geben denjenigen, die damit im Reinen sind, ein gutes Gerüst für ihre Gefühlswelt. Aber für diejenigen, die sich in der Rolle nicht wiederfinden, kann das auch ein lebenslanger Leidensdruck sein. Es kommt darauf an, ob wir die Rollen und Geschlechtsunterschiede als Machtmittel zur Unterdrückung der anderen nutzen oder das „Anders-Sein“ als Bereicherung wahrnehmen.
Von der 68er-Generation wurden Manieren als bürgerlich verschrien, sie wollte das „Sie“ abschaffen. Heute ist das Duzen allgegenwärtig. Wie finden Sie das?
Früher siezte man sich erst, dann nannte man sich beim Vornamen und siezte sich trotzdem weiter. Und irgendwann duzte man sich dann. Die Anrede war ein Spiegel der wachsenden Vertrautheit. Wenn ich heute in ein Restaurant gehe und der Ober duzt mich, empfinde ich das als Beleidigung und gehe wieder raus. Das ist ein Mangel an Achtung. Ich kenne aber auch Frauen, die fühlen sich alt, wenn sie mit „Sie“ angeredet werden.
In Romanen der 20er-Jahre siezten sich noch Liebhaber und Paare.
Im französischen Großbürgertum wird dieses Relikt der alten französischen Adelssitten heute noch gepflegt. Das hört sich für unsere Ohren sehr abgehoben an. Mich hat aber schon immer die wachsende Kumpelhaftigkeit zwischen den Geschlechtern gestört. Das „Sie“ hat auch etwas Reizvolles. Ich mag die französischen Liebesgeschichten, in denen sich die Paare siezen und damit eine Distanz schaffen, die sie vor der verhängnisvollen Kumpelhaftigkeit zwischen Männern und Frauen schützt.
Wo sollen denn die heutigen Männer noch Manieren lernen, wenn sie es nicht vom Elternhaus mitbekommen? Und nicht alle gehen zu Dominas wie Ihnen und kommen als Gentlemen wieder heraus.
Die Vorbilder fehlen heute oft. Im Prozess der sogenannten Liberalisierung hat man den Benimmkurs und auch die Tanzstunde in der Schule abgetan als Relikt einer spießigen Vergangenheit. Aber es hatte seinen Sinn. Manieren sind eine kulturelle Errungenschaft. In der Schule sollte so etwas von Beginn an vermittelt werden. Übrigens bezweifle ich, dass meine Kunden als Gentleman herauskommen – es sei denn, sie waren vorher schon einer. Für viele ist es einfach ein Rollenspiel.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Gesellschaft Frauen gegenüber nur vordergründig immer liberaler wird, aber dass sich die Respektlosigkeit durch die Hintertür einschleicht. Wie weit ist die Emanzipation denn überhaupt?
Was ist das eigentliche Ziel der Emanzipation? Das muss wohl jede Frau für sich klären. Frauen, die eine eigene Karriere gemacht haben, ihr eigenes Leben führen, allein in den Urlaub fahren – aber ist das alles? In ihrer Gefühlswelt sind sie immer noch 15 Jahre alt. Simone de Beauvoir sagte, Emanzipation beginnt immer beim Geldbeutel. Das ist zwar richtig, aber nicht alles. Frauen sollten auch den Mut haben, sich einzugestehen: Ich bin zwar eine unabhängige Frau, aber in mir gibt es auch das Bedürfnis nach einem höflichen, galanten Mann, der mir das Gefühl gibt, eine Lady zu sein. Mit dem Kopf leben wir in der heutigen Zeit, mit dem Bauch hat sich seit Großmama wenig geändert. Emanzipation bedeutet deshalb für mich, zu akzeptieren, wie ich bin in all meinen Widersprüchen.
Haben Sie die mentale Emanzipation schon erreicht?
Ich bin glückliche Junggesellin und erfreue mich eines freien und unabhängigen Geistes. Aber ich würde nicht behaupten, dass ich immer innerlich emanzipiert bin. Das ist ein Weg, der nie zu Ende geht. Auch wir Frauen fallen oft wieder in alte Rollenmuster zurück. Die Gleichberechtigung ist in Gefahr, wenn Frauen anfangen, sie als selbstverständlich zu betrachten und aufhören, jeden Tag aufs Neue um sie zu kämpfen.
Und was bringen Sie Ihrer Tochter bei? Geben Sie ihr manchmal Ratschläge?
Wenn sie welche hören will. Aber man sollte immer daran denken: Ein Ratschlag ist auch ein Schlag.
Karolina Leppert, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Claudia Scholz.
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