- Die Wollust des Niederkniens
Er hat lange gebraucht, um sich aus diesem Labyrinth zu befreien: Frühe Schriften zeigen den rumänischen Schriftsteller E.M. Cioran als flammenden Bewunderer des deutschen Nationalsozialismus
Dies ist das
faschistischste Buch seit langem. Dass es zumindest stellenweise
brillant ist, ist das Irritierende. Sein Autor ist E.M. Cioran,
jener 1995 in Paris verstorbenen «Nietzsche unserer Tage» (Susan
Sontag), der am 8. April 100 Jahre alt geworden wäre. «Über
Deutschland» heißt jenes befremdliche Komplementärstück zum zuletzt
erschienenen Band «Über Frankreich». Bislang nur teilweise
bekannte Frühschriften dieses großen, aus Rumänien stammenden
Aphoristikers und Essayisten kann man hier entdecken. Von dessen
Pathos der Skepsis und des Verneinens, das den seit 1937 in Paris
lebenden Autor späterhin berühmt machte, ist hier noch nicht viel
zu spüren. Vielmehr offenbaren die 25 erstmals auf Deutsch
erschienenen Essays des jungen Rumänen vor allem einen
vitalistischen Vernichtungswillen und unverhohlene Begeisterung für
den Nationalsozialismus.
«Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mir größere
Sympathie einflößte als Hitler», so beginnt der 22-Jährige im Juli
1934 seinen hymnischen Artikel für die rumänische Zeitschrift
«Vremea»: «Die Führer-Mystik in Deutschland ist völlig
gerechtfertigt.» Kurz und bündig: «Das Verdienst Hitlers besteht
darin, einer Nation den kritischen Verstand geraubt zu haben.»
Seinem Deuter offensichtlich auch. Wie kam es dazu?
Von November 1933 bis Juli 1935 lebte Cioran als Student in
Deutschland und berichtete darüber in rumänischen Zeitschriften.
Dass Cioran damals der nationalfaschistischen und antisemitischen
«Eisernen Garde» zuneigte – und womöglich sogar Mitglied war, wie
der Herausgeber und Übersetzer Ferdinand Leopold andeutet –, ist
bekannt. Diese Geheimbündler-Truppe versuchte den Umsturz in
Rumänien durch Attentate und zugleich auf legalem Wege
herbeizuführen. So erklärt sich der atavistische Erlösungsrausch,
den Cioran später als den «schlimmsten Wahn seiner Jugend»
bezeichnete. Damals sehnte er wie viele die gewaltsame Erneuerung
einer als schlaff-liberal empfundenen Gegenwart herbei. In ersten
altklug zusammengebrauten «Wir und Hegel»-Artikeln hatte bereits
der
20-jährige Bukarester Philosophiestudent Deutschland im
Visier.
Vor Ort entfaltet sich Ciorans Größenwahn dann zum pathetischen
Delirium. Zeitgenössische Kultur-Klischees werden oft reproduziert;
er bewundert das Naziregime, das «drei Viertel der anerkannten
Werte brutal beseitigt, rasend verneint und dabei vor Enthusiasmus
pulst». Cioran freut sich über das Ende der Demokratie und
das endlich angebrochene «Zeitalter des
Irrationalismus».
Verrückter als alle Welt
Ein eruptiver Höhepunkt ist das unscheinbar als
Großstadtflaniererei zwischen Benjamin und Kracauer daherkommende
Stück «Berliner Aspekte»: «Ich verspüre eine Wollust», bekennt
darin der junge Mann, «zu beobachten, wie in Deutschland alle Welt
dasselbe sagt, unabhängig von Bildung, Gesellschaftsschicht und
Beruf.» Die «Tragödie einiger Einzelner» habe den Staat nicht zu
interessieren. Wenige Tage später bekennt er «Abscheu vor dem
Menschen»: «der Tod einiger Nullen» will ihn nicht beeindrucken; es
sei gut, wenn man die «Menge von Schwachsinnigen» minimiere. So
weit, so widerlich.
Jugendsünden sind diese Tiraden sicherlich. Ihre Faszinationskraft
allerdings wird nicht verhehlen können, wer sich der Zumutung einer
genauen Lektüre aussetzt. Denn zum einen haben diese Texte
Klassikerpotential, wenn die Anfälligkeit von Intellektuellen für
den Nationalsozialismus belegt werden soll. Zum anderen entwickelt
sich Ciorans Stil: Alsbald tauchen glasklare Formulierungen auf,
der Rhythmus wird sicherer, die rhetorischen Mittel virtuoser – der
22-Jährige zeigt erstaunliche Begabungen. Trotz aller Begeisterung
für den «Schrei nach Diktatur» bleibt er Beobachter, mit
weitreichenden Einsichten: So vergleicht er die Terrorlust des
Jahres 1933 mit der Lenins 1917 in Russland oder entdeckt bei «den
Intellektuellen unserer Zeit eine sonderbare Unterwerfungswut, eine
Notwendigkeit
der Verblendung, eine Wollust des Niederkniens»; darin wurzele die
heftige Leidenschaft für die Rechte oder Linke. «Der Diktator hat
die Seele eines messianischen Henkers, von Blut und Himmel
befleckt»: So falsch diese Hitler-Diagnose ist, wird man einem
solchen Satz ästhetische Meisterschaft nicht absprechen können.
Cioran ahnt zudem Vernichtungskämpfe: «Und wer weiß, ob die
Lebenskraft dieses Volkes uns künftig nicht teuer zu stehen
kommt.»
Erst Jahre später in Paris wird Cioran zivilisiert werden und nach
dem Krieg zu jenem Autor mutieren, dem die spätere
Nobelpreisträgerin Herta Müller 1995 den Nachruf in der «taz»
schreibt. «Meine krankhafte Bewunderung für Deutschland» hätte sein
Leben vergiftet, so der schuldbewusste Cioran einmal: «Ich war
dreiundzwanzig und verrückter als alle Welt.» In seinen frühen
Schriften macht sich ein Junggenie auf den Weg, das sich zunächst
schrecklich verrennt. Umso bewundernswerter ist Ciorans mühselige
Selbstbefreiung aus diesem ideologischen Labyrinth.
E.M. Cioran
Über Deutschland
Aus dem Rumänischen von Ferdinand Leopold.
Suhrkamp, Berlin 2011. 232 S., 17, 90 €
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