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Thermomix - Er will doch nur spielen

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Der Sozialpsychologe Harald Welzer bezeichnet uns als „sedierte Gesellschaft fantasiefreier Konsumzombies“. Der Thermomix passt hervorragend in diese Welt. Was er anpackt, gelingt. So gut und so bequem, dass immer mehr Deutsche viel Geld für ein Küchengerät ausgeben

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Ich bin umzingelt von Thermomixern. Schon nach unserem Einzug vor zwei Jahren kam eine Nachbarin vorbei, die sich mit Willkommensgrüßen den Weg in meine Küche erschlich und dort mit einem Verkaufsgespräch loslegte über diese Koch-Häcksel-Wieg-Pürier-Maschine für schlappe 1.000 Euro.

Auf dem Weg zur Kita steckte mir gerade eine Mitmutter selbstpürierte Gemüsepaste im Probierglas zu und dann, am vergangenen Sonntag, gab mir ein Besuch bei den hochverehrten Nachbarn den Rest: Wo alte Eichen sich im Herbstwind wiegen, seit Jahrhunderten der Backstein bröckelt und im Flur ein Telefon mit verknoteter Strippe von der Technikfremde in diesem Haus zeugt, hatte ich als letztes eine Küchenmaschine erwartet. Dann aber stand dort neben der Emaillekanne voll selbstgemolkener Milch und dem dampfendem Kaffee ein Marmorkuchen. Gemixt, geknetet und zusammengerührt vom nagelneuen Thermomix.

Warum bloß graust mir so vor diesen Küchenhelfern, ob sie nun Thermomix, Kitchenaid oder Cooking Chef heißen? Sie wollen doch nur helfen. Was macht sie so unsympathisch, dass es mir peinlicher wäre, eine solche Maschine anzuschaffen als die Tatsache zu beichten, dass ich einst die Platte Abenteuerland von PUR mitsingen konnte?

Thermomix als Infantilisierungsprogramm
 

Es ist doch so: Der Thermomix ist der Feind des Chaos, des Unplanbaren. Was er anpackt, gelingt. Er ist nicht gut für Überraschungen. Harald Welzer ist Sozialpsychologe und Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Das SZ-Magazin hat gerade einen Aufsatz von ihm veröffentlicht, in dem Welzer eine „sedierte Gesellschaft fantasiefreier Konsumzombies“ beschreibt, die sehr viel Energie in die Lösung trivialer Probleme stecke, während sich ihr visionärer Horizont bedenklich verkürze. Je gemütlicher diese Menschen ihr Leben einrichten, desto gefährlicher wirkt die Zukunft auf sie. Soweit ist es gekommen. Unser Primärziel ist es, Bestehendes zu bewahren. Experimente dagegen gelten als gefährliches Grauen. 

Eine Bildergalerie mit Tchiboprodukten geisterte vor einigen Wochen durchs Netz und ließ belustigte User staunen über einen Butterstempel, eine Eincremehilfe, einen Bananenschneider, eine Backform mit Aussparung für das Probierstückchen, einen mitzählenden Flaschenöffner und einen Teebeutel-Auspresser. Alles Prototypen für Welzers These von einem „Infantilisierungsprogramm“, das die ach so zivilisierte Welt glauben machen wolle, ihre Probleme würden durch diese sogenannten Innovationen gelöst.  Währenddessen aber blieben wahre Probleme wie die zunehmende soziale Ungleichheit unangepackt.

Das war einmal anders. Vor einigen Jahrzehnten habe unser Kosmos „nur aus Zukunft“ bestanden. Die Verhaltenspsychologie tüftelte an neuen Gesellschaftsformen, die akademische Jugend träumte von einer freien Gesellschaft. Heute aber, so Welzer, sei nicht einmal mehr die durch Klimawandel, Finanzmarktkapitalismus und steigende Flüchtlingszahlen gebeutelte Gegenwart vorstellbar. Tatsächlich enthüllt gerade die jetzige Flüchtlingsdebatte ein überbordendes Gefühl der Angst. Der Terror hat leichtes Spiel in einer solch furchterfüllten Welt. Was uns aber gerade jetzt gut täte, wäre ein Mehr an Mut, Zuversicht und auch Neugierde.

Schuld an unserer Ideenfaulheit sind nach Welzer fehlende Zukunftsbilder. Der Kauf eines Thermomix macht dagegen nicht kreativer.

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