- Die Paranoiker verfolgen mich
Wie sich ein Militärhistoriker als Cheerleader der Männer gegen die ewig privilegierten Frauen qualifiziert
Das Böse ist immer und überall. Vor allem in weiblicher Gestalt. Egoistisch, arbeitsscheu, ausbeuterisch, feige und dabei noch ewig wehleidig – keines der Argumente, mit denen das weibliche Geschlecht periodisch versehen wurde, fehlt in diesem 500-Seiten-Werk Martin van Crevelds. Eine wahre Sisyphos-Arbeit, welchen Helden der Autor denn auch immer wieder bemüht, um das schwere Los des Mannes «immer und überall» zu beschreiben. Eine Enzyklopädie, die in dieser Form vielleicht nur von einem Militärhistoriker zu leisten war.
Die Paranoia ist eine Denkart, die «immer und überall» Verschwörungen sieht. Bisher beschränkten sich solche Verschwörungstheorien auf kleine Gruppen oder Minderheiten: die CIA, die Kommunistische Partei oder «die Juden». Hier haben wir es nun mit einer Verschwörungstheorie zu tun, bei der sich die Hälfte der Menschheit gegen die andere verbündet hat – was deutschen Feuilleton-Lesern als Thema der vergangenen Wochen bekannt vorkommen dürfte. Gut, dass tapfere Soldaten wie Martin van Creveld den Kampf mit diesem Ungeheuer nicht scheuen. Alles habe er gelesen, sagt er, alles, was je zum Thema Feminismus und Geschlechterordnung geschrieben worden sei. Aber nirgendwo habe er seine unerhörte These – laut derer die Frauen «immer und überall» das privilegierte Geschlecht seien – gefunden.
Frauen zetteln Kriege an Dennoch scheint dem forschen Forscher manches entgangen zu sein, etwa das schon vor achtzig Jahren erschienene Werk von Eberhard Ehrhard, «Die Frauenemanzipation und ihre erotischen Grundlagen». Auch dieses Buch ist enzyklopädisch und ebenfalls in Deutschland erschienen (für Van Crevelds Werk, wenngleich auf Englisch geschrieben, fand sich weder in den USA noch in England ein Verleger, wohl aber in Deutschland). Und wie schon der Autor vor achtzig Jahren, richtet auch Van Creveld seinen Blick auf den Zusammenhang von Weib und Krieg.
Während Ehrhard nachzuweisen versuchte, dass die Kriege «immer und überall» von Frauen angezettelt wurden, belehrt uns der moderne Militärhistoriker («Frauen und Krieg», «Die Zukunft des Krieges», «Kampfkraft»), dass die Kriege geführt werden, um Frauen vor Vergewaltigung zu schützen. «Wenn es die Gefahr von Vergewaltigung als ein Mittel, Männer zum Kampf anzustacheln, nicht schon gegeben hätte, hätte man sie ernden müssen.» Eine interessante neue Lesart der Kriegsvergewaltigungen. Und während Ehrhard schreibt, dass Frauen – da sie menstruieren – Lust am vergossenen Blut der Kriege empnden, heißt es bei Van Creveld, dass Frauen mit der Enthüllung ihrer Brüste Stimmung auf Krieg machen. Das habe schon für die Amazonen gegolten und wiederhole sich heute bei den martialischen Frauen der Computerspiele und Filme wie Barbarella, Xena oder Barbed Wire. An ihnen erkenne man, «dass die Kombination von blutigem Kampf und großzügigem Dekolleté heute noch genauso fasziniert wie im alten Griechenland».
Laut diesem Buch haben Männer zwar «immer und überall» die Erndungen und Entdeckungen gemacht – «von Euklids Mathematik bis zur Geburtszange» –, doch Frauen haben von den Neuerungen protiert.
Beispiel: Erst als die Hebammen durch männliche Geburtshelfer ersetzt wurden, sei die Müttersterblichkeit gesunken (Tatsache ist, dass erst mit den Geburtskliniken das Kindbetteber zu einer verbreiteten Gefahr wurde).
Vom Privileg der Krüppelfüßchen Beispiel: Männer dienen freiwillig als Versuchskaninchen für die Medikamententests der Pharma-Industrie, während der weibliche Körper verschont bleibt (Tatsache ist, dass die Hormonschwankungen im weiblichen Körper die gezielte Erprobung von Medikamenten sehr viel kostspieliger machen und deshalb, nebenbei, alle Medikamente nur auf ihre Nützlichkeit für den männlichen Organismus getestet werden.)
Besonderes Lob erhält die chinesische Medizin, «die der weiblichen Gesundheit die vergleichsweise größte Aufmerksamkeit schenkte». Zweifellos hatte der Autor vor allem die chinesische Orthopädie im Auge.
Frauen werden in jeder Hinsicht bevorzugt: ob auf dem Arbeitsmarkt oder in der Ehe («Frauen sind immer schon von Männern ernährt worden, und eine Gesellschaft, in der dies nicht der Fall ist, muss erst noch erfunden werden»); im Wohlfahrtsstaat wie vor dem Gesetz. Während Frauen für ihre Vergehen milde oder gar nicht bestraft werden und einige Frauengefängnisse wie «Country Clubs» aussehen, werden Männer «immer und überall» hart bestraft und wird in den Männergefängnissen Zwangsarbeit geleistet. Sogar in der Sexualität haben es die Frauen besser: «Beim Sex, wie bei so vielen anderen Dingen, darf eine Frau sich entspannen und warten, was kommt.»
Solche Bilder haben eine lange Vorgeschichte. Sie reichen von der aristotelischen Vorstellung über die Zeugung der Geschlechter bis zu Otto Weiningers Werk «Geschlecht und Charakter». Jan Assmann hat geschrieben, dass sich das abendländische Denken durch einen «fließenden Kanon» auszeichnet: Jeder Kanon baut auf dem vorhergehenden auf und aktualisiert diesen. Offenbar gibt es auch einen Kanon der Geschlechterklischees.
Und wie bei allen Vorgängern bauen auch hier biologische und psychologische Klischees aufeinander auf. Schlage «der weibliche Organismus bei seiner Entwicklung den Weg des geringsten Widerstands ein» – das träge Ei wird vom flinken Spermatozoon befruchtet –, so lasse die Gesellschaft die Töchter auch «psychologisch den Weg des geringsten Widerstands gehen». Werden die Söhne zur Aktivität gedrängt, so schützt man die Töchter «vor allen Gefahren», die mit dem «Auf-Bäume-Steigen, Schaukeln oder Fahrradfahren» einhergehen. Diese Bevorzugung gilt auch für die in manchen Kulturen praktizierten Initiationsriten. Während ein Junge die Schmerzen der Beschneidung tapfer zu ertragen habe, bitte eine Mutter «aus Liebe zu ihrer Tochter die weise Frau des Dorfes, an ihrer Tochter das zu tun, was auch an ihr getan worden ist» – Klitoridektomie oder Inbulation –, und sie richte «damit weniger Schaden an als eine andere, die ständig vor Männern warnt».
Auch das bei Geschlechtertheoretikern so beliebte Insekt der Gottesanbeterin, bei der das Weibchen das Männchen nach erfolgter Kopulation verspeist, muss bei Van Creveld zur Beschreibung des männlichen Schicksals herhalten. Neu ist freilich, dass diese «Ausbeutung» in Verbindung gebracht wird mit der modernen Biotechnologie, die heute mit der Befruchtung eines Eis durch die DNA eines anderen experimentiert. Diese Experimente werden, wie Van Creveld richtig konstatiert, vorwiegend von männlichen Wissenschaftlern durchgeführt und könnten eines Tages zum gänzlichen Verzicht auf den männlichen Samen führen: «Es ist, als ob die Männer sich immer, wenn sie versuchen, den Frauen zu helfen, noch überflüssiger machen.»
Wenn Männer aus Liebe sterben Beim Lesen dieses Buches el mir die Geschichte ein, die mir ein Psychiater erzählte: Er fuhr mit einem befreundeten Psychiater durch S˜ao Paulo; während der Fahrt habe der andere immer nervös in den Rückspiegel geschaut. Gefragt, warum er das tut, habe der geantwortet: Los paranoicos me persiguen, die Paranoiker verfolgen mich. In der Tat, Paranoia ist ansteckend. Aber bei der Lektüre dieses Buchs wird die Gefahr der Ansteckung dadurch gemildert, dass man an manchen Stellen lauthals lachen muss. Etwa, wenn die Benachteiligung der Männer dadurch bewiesen wird, dass bei amazon.com fünfmal so viele Titel zu den Suchbegriffen «Frauen» und «Gymnastik» wie zu den Suchbegriffen «Männer» und «Gymnastik» angeboten werden.
Manchmal bleibt einem aber auch das Lachen im Halse stecken. So etwa, wenn – trotz der hohen Opfer unter der Zivilbevölkerung in den modernen Kriegen – auf der letzten Seite des Buchs zu lesen ist: «Vielleicht ist der wirkliche Grund, weshalb Frauen nie an einem Krieg teilgenommen haben, der, dass wir aus Liebe zu ihnen lieber sterben, als zusehen, wie sie sterben.»
Bleibt nur anzumerken, dass dieses «Forschungsprojekt» von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert wurde. Offenbar war man dort der Ansicht, dass die militärwissenschaftlichen Publikationen des Autors diesen für eine Forschung über das «bevorzugte Geschlecht» bestens qualizieren.
Martin van Creveld Das bevorzugte Geschlecht Aus dem Englischen von Karin Laue und Ursula Pesch. Gerling Akademie Verlag, München 2003. 500 S., 29,60 €
Die Paranoia ist eine Denkart, die «immer und überall» Verschwörungen sieht. Bisher beschränkten sich solche Verschwörungstheorien auf kleine Gruppen oder Minderheiten: die CIA, die Kommunistische Partei oder «die Juden». Hier haben wir es nun mit einer Verschwörungstheorie zu tun, bei der sich die Hälfte der Menschheit gegen die andere verbündet hat – was deutschen Feuilleton-Lesern als Thema der vergangenen Wochen bekannt vorkommen dürfte. Gut, dass tapfere Soldaten wie Martin van Creveld den Kampf mit diesem Ungeheuer nicht scheuen. Alles habe er gelesen, sagt er, alles, was je zum Thema Feminismus und Geschlechterordnung geschrieben worden sei. Aber nirgendwo habe er seine unerhörte These – laut derer die Frauen «immer und überall» das privilegierte Geschlecht seien – gefunden.
Frauen zetteln Kriege an Dennoch scheint dem forschen Forscher manches entgangen zu sein, etwa das schon vor achtzig Jahren erschienene Werk von Eberhard Ehrhard, «Die Frauenemanzipation und ihre erotischen Grundlagen». Auch dieses Buch ist enzyklopädisch und ebenfalls in Deutschland erschienen (für Van Crevelds Werk, wenngleich auf Englisch geschrieben, fand sich weder in den USA noch in England ein Verleger, wohl aber in Deutschland). Und wie schon der Autor vor achtzig Jahren, richtet auch Van Creveld seinen Blick auf den Zusammenhang von Weib und Krieg.
Während Ehrhard nachzuweisen versuchte, dass die Kriege «immer und überall» von Frauen angezettelt wurden, belehrt uns der moderne Militärhistoriker («Frauen und Krieg», «Die Zukunft des Krieges», «Kampfkraft»), dass die Kriege geführt werden, um Frauen vor Vergewaltigung zu schützen. «Wenn es die Gefahr von Vergewaltigung als ein Mittel, Männer zum Kampf anzustacheln, nicht schon gegeben hätte, hätte man sie ernden müssen.» Eine interessante neue Lesart der Kriegsvergewaltigungen. Und während Ehrhard schreibt, dass Frauen – da sie menstruieren – Lust am vergossenen Blut der Kriege empnden, heißt es bei Van Creveld, dass Frauen mit der Enthüllung ihrer Brüste Stimmung auf Krieg machen. Das habe schon für die Amazonen gegolten und wiederhole sich heute bei den martialischen Frauen der Computerspiele und Filme wie Barbarella, Xena oder Barbed Wire. An ihnen erkenne man, «dass die Kombination von blutigem Kampf und großzügigem Dekolleté heute noch genauso fasziniert wie im alten Griechenland».
Laut diesem Buch haben Männer zwar «immer und überall» die Erndungen und Entdeckungen gemacht – «von Euklids Mathematik bis zur Geburtszange» –, doch Frauen haben von den Neuerungen protiert.
Beispiel: Erst als die Hebammen durch männliche Geburtshelfer ersetzt wurden, sei die Müttersterblichkeit gesunken (Tatsache ist, dass erst mit den Geburtskliniken das Kindbetteber zu einer verbreiteten Gefahr wurde).
Vom Privileg der Krüppelfüßchen Beispiel: Männer dienen freiwillig als Versuchskaninchen für die Medikamententests der Pharma-Industrie, während der weibliche Körper verschont bleibt (Tatsache ist, dass die Hormonschwankungen im weiblichen Körper die gezielte Erprobung von Medikamenten sehr viel kostspieliger machen und deshalb, nebenbei, alle Medikamente nur auf ihre Nützlichkeit für den männlichen Organismus getestet werden.)
Besonderes Lob erhält die chinesische Medizin, «die der weiblichen Gesundheit die vergleichsweise größte Aufmerksamkeit schenkte». Zweifellos hatte der Autor vor allem die chinesische Orthopädie im Auge.
Frauen werden in jeder Hinsicht bevorzugt: ob auf dem Arbeitsmarkt oder in der Ehe («Frauen sind immer schon von Männern ernährt worden, und eine Gesellschaft, in der dies nicht der Fall ist, muss erst noch erfunden werden»); im Wohlfahrtsstaat wie vor dem Gesetz. Während Frauen für ihre Vergehen milde oder gar nicht bestraft werden und einige Frauengefängnisse wie «Country Clubs» aussehen, werden Männer «immer und überall» hart bestraft und wird in den Männergefängnissen Zwangsarbeit geleistet. Sogar in der Sexualität haben es die Frauen besser: «Beim Sex, wie bei so vielen anderen Dingen, darf eine Frau sich entspannen und warten, was kommt.»
Solche Bilder haben eine lange Vorgeschichte. Sie reichen von der aristotelischen Vorstellung über die Zeugung der Geschlechter bis zu Otto Weiningers Werk «Geschlecht und Charakter». Jan Assmann hat geschrieben, dass sich das abendländische Denken durch einen «fließenden Kanon» auszeichnet: Jeder Kanon baut auf dem vorhergehenden auf und aktualisiert diesen. Offenbar gibt es auch einen Kanon der Geschlechterklischees.
Und wie bei allen Vorgängern bauen auch hier biologische und psychologische Klischees aufeinander auf. Schlage «der weibliche Organismus bei seiner Entwicklung den Weg des geringsten Widerstands ein» – das träge Ei wird vom flinken Spermatozoon befruchtet –, so lasse die Gesellschaft die Töchter auch «psychologisch den Weg des geringsten Widerstands gehen». Werden die Söhne zur Aktivität gedrängt, so schützt man die Töchter «vor allen Gefahren», die mit dem «Auf-Bäume-Steigen, Schaukeln oder Fahrradfahren» einhergehen. Diese Bevorzugung gilt auch für die in manchen Kulturen praktizierten Initiationsriten. Während ein Junge die Schmerzen der Beschneidung tapfer zu ertragen habe, bitte eine Mutter «aus Liebe zu ihrer Tochter die weise Frau des Dorfes, an ihrer Tochter das zu tun, was auch an ihr getan worden ist» – Klitoridektomie oder Inbulation –, und sie richte «damit weniger Schaden an als eine andere, die ständig vor Männern warnt».
Auch das bei Geschlechtertheoretikern so beliebte Insekt der Gottesanbeterin, bei der das Weibchen das Männchen nach erfolgter Kopulation verspeist, muss bei Van Creveld zur Beschreibung des männlichen Schicksals herhalten. Neu ist freilich, dass diese «Ausbeutung» in Verbindung gebracht wird mit der modernen Biotechnologie, die heute mit der Befruchtung eines Eis durch die DNA eines anderen experimentiert. Diese Experimente werden, wie Van Creveld richtig konstatiert, vorwiegend von männlichen Wissenschaftlern durchgeführt und könnten eines Tages zum gänzlichen Verzicht auf den männlichen Samen führen: «Es ist, als ob die Männer sich immer, wenn sie versuchen, den Frauen zu helfen, noch überflüssiger machen.»
Wenn Männer aus Liebe sterben Beim Lesen dieses Buches el mir die Geschichte ein, die mir ein Psychiater erzählte: Er fuhr mit einem befreundeten Psychiater durch S˜ao Paulo; während der Fahrt habe der andere immer nervös in den Rückspiegel geschaut. Gefragt, warum er das tut, habe der geantwortet: Los paranoicos me persiguen, die Paranoiker verfolgen mich. In der Tat, Paranoia ist ansteckend. Aber bei der Lektüre dieses Buchs wird die Gefahr der Ansteckung dadurch gemildert, dass man an manchen Stellen lauthals lachen muss. Etwa, wenn die Benachteiligung der Männer dadurch bewiesen wird, dass bei amazon.com fünfmal so viele Titel zu den Suchbegriffen «Frauen» und «Gymnastik» wie zu den Suchbegriffen «Männer» und «Gymnastik» angeboten werden.
Manchmal bleibt einem aber auch das Lachen im Halse stecken. So etwa, wenn – trotz der hohen Opfer unter der Zivilbevölkerung in den modernen Kriegen – auf der letzten Seite des Buchs zu lesen ist: «Vielleicht ist der wirkliche Grund, weshalb Frauen nie an einem Krieg teilgenommen haben, der, dass wir aus Liebe zu ihnen lieber sterben, als zusehen, wie sie sterben.»
Bleibt nur anzumerken, dass dieses «Forschungsprojekt» von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert wurde. Offenbar war man dort der Ansicht, dass die militärwissenschaftlichen Publikationen des Autors diesen für eine Forschung über das «bevorzugte Geschlecht» bestens qualizieren.
Martin van Creveld Das bevorzugte Geschlecht Aus dem Englischen von Karin Laue und Ursula Pesch. Gerling Akademie Verlag, München 2003. 500 S., 29,60 €
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