- Der Schatz im Keller
Eine kostbare Bibliothek nennt der Zürcher Kunsthändler und Verleger Walter Feilchenfeldt sein Eigen. Die Werke seiner Patenonkel Erich Maria Remarque und Oskar Kokoschka sind unter anderem darin vertreten. Doch den wahren Schatz, eine Reihe Geschäftsbücher, verbirgt er im Keller
In Zürich zeigt man gerne, was man hat. Aber man zeigt es definitiv nicht jedem. Insofern passt das Haus von Walter Feilchenfeldt in einer ruhigen Straße im Stadtzentrum perfekt ins Bild. Denn das Erste, was einem daran auffällt, ist, dass nichts auffällt. Sogar das Klingelschild ist nicht leicht zu finden. Immerhin gibt es eine Klingel.
Dabei hätte auch ein etwas pompöserer Empfang nicht weiter überrascht, schließlich gehören die Feilchenfeldts nun schon seit fast einem Jahrhundert zum europäischen Kunsthandelsadel. Doch mit der Diskretion ist es ein bisschen wie mit einer Schwangerschaft: Halb diskret geht nicht. „Ich wurde einmal gefragt, was meine größte Tat als Kunsthändler gewesen sei“, sagt Walter Feilchenfeldt, nachdem uns eine misstrauische Haushälterin die Tür geöffnet hat. „Meine Antwort war: nicht darüber zu reden.“
Und das war noch nie anders. 1919 trat sein Vater, Walter Feilchenfeldt der Ältere, in Berlin in den Kunstsalon Paul Cassirer ein. Vier Jahre später wurde er Partner und übernahm nach Cassirers Tod 1926 die Leitung der Firma. Zu den Künstlern, die sie damals verkauften, gehörten Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Henri de Toulouse-Lautrec, Max Liebermann und Max Beckmann, um nur einige zu nennen.
Als die Mehrheit der Deutschen 1933 Hitler wählte, zog Walter Feilchenfeldts jüdischstämmiger Vater, hellsichtig wie er war, mit seiner Frau, der Fotografin Marianne Breslauer, über Amsterdam, London und Ascona nach Zürich – in jenes solide gebaute und auch ansonsten bestens gesicherte Haus, in dem wir jetzt ihren Sohn besuchen.
Gerade 73 Jahre alt geworden, wirkt Walter Feilchenfeldt gut und gerne zehn Jahre jünger, als er uns federnden Schrittes durch die Räume geleitet. In der Bibliothek im Erdgeschoss stehen die Künstlermonografien, geordnet von A bis Z. Wer auf dem Niveau Kunsthandel betreibt, wie Walter Feilchenfeldt es tut, steht mit einem Bein immer in der Wissenschaft. Und so hat er sich über die Jahre zu einem der weltweit führenden Experten in der Bestimmung von echten van Goghs und Cézannes entwickelt. Er ist nicht nur Ko-A0utor der eminent wichtigen Bestandskataloge und hat große Ausstellungen in Tübingen und Basel kuratiert. Sondern er besitzt darüber hinaus auch praktisch jedes Buch, das jemals zu den beiden Malern erschienen ist. Das macht in der Summe jeweils sieben prall gefüllte Regalfächer.
Anschließend führt er uns in sein Büro und deutet auf eine Reihe mit rund 20 Aktenordnern. „Das sind die falschen Cézannes, die mir vorgelegt wurden. Die meisten kommen zwei- bis dreimal zu mir.“ Sie alle werden fein säuberlich abgeheftet und mit Foto und dem Anschreiben des letzten Einlieferers archiviert. Das Gleiche gilt für den einen einsamen Ordner im Fach darüber. „Das sind die echten“, sagt Walter Feilchenfeldt, dessen in 50 Jahren geschultes Auge nicht selten über Millionenwerte entscheidet.
Perlen der Sammlung: Handschriftliche Bücher von unschätzbarem Wert
Kein Zweifel, das hier ist die alte Schule. Feilchenfeldt ist keiner der „Spezialisten“, die für ihre (auch öfter mal falschen) Expertisen hohe Honorare fordern. Wenn er Gemälde beurteilt, stellt er den Einsendern dafür keine Rechnung. „Ich lasse mir höchstens einmal eine Reise bezahlen, wenn es nötig ist. Für mich gilt, ein Bild ist echt oder unecht, völlig unabhängig davon, ob ich finanzielle Interessen damit verbinde.“
Erst kürzlich wurde ihm wieder ein Werk präsentiert, das auf den ersten Blick authentisch erschien, eine unfertige Version von Cézannes „Badenden“, kaum größer als ein DIN-A4-Blatt. Also fuhr er nach Mulhouse, bat seine langjährigen Vertrauten Jayne Warman und David Nash aus den USA hinzu – und kam zu dem Schluss, dass seine ursprüngliche Einschätzung stimmen musste.
Den Deal machte dann allerdings ein Auktionshaus. „Die Besitzer verlangten eine zu hohe Garantiesumme“, sagt Feilchenfeldt, und wenn er dies bedauert, dann lässt er es sich wenigstens nicht anmerken. „Das Gemälde ging für zwei Millionen Euro weg. Und ich hatte die Genugtuung, dass der Markt offenbar geneigt war, sich meiner Meinung anzuschließen.“
Die Cézanne-Abteilung ist freilich nur das Präludium zu Feilchenfeldts einzigartiger Kunstbibliothek. Um den wahren Schatz seiner Büchersammlung zu zeigen, bittet er uns in den Keller. Dort lagern in Depotschränken nicht nur die vollständigen Cassirer-Kataloge der Ausstellungen ab 1898, sondern auch jene Kladden, die normalerweise kein Fremder zu sehen bekommt.
Es sind die handschriftlich geführten Bücher mit Cassirers Ankäufen und Verkäufen inklusive der Namen der Kunden sowie der gezahlten und erzielten Preise – eine historische Quelle von höchstem Wert, für die sich, sagt Feilchenfeldt, nicht nur Forscher interessieren, „sondern auch die Anwälte“. Gerade heute, da die Herkunft von Kunst eine so große Rolle spielt, können eine Provenienz und die damit verbundenen Rückgabeforderungen zum Politikum werden.
Walter Feilchenfeldt ist sich darüber nur zu deutlich im Klaren. Und deswegen dienen ihm diese Konvolute als Grundlage für das zweite Standbein, das er sich in den vergangenen Jahren zugelegt hat. Quasi als logische Konsequenz seiner wissenschaftlichen Arbeit ist der „Dealer Collector“ (so der Titel eines Feilchenfeldt-Porträts von Larry Rivers, das in seinem Esszimmer hängt) in den Zürcher Nimbus-Verlag eingestiegen. Dort publiziert er neben der Biografie seiner Mutter Marianne Feilchenfeldt, geborene Breslauer, unter anderen seine aufwendig editierten Cassirer-Bücher.
Zwei Bände sind bereits erschienen, drei weitere sollen noch folgen. Darin finden sich chronologisch geordnet alle Ausstellungen des Kunstsalons, mit Bildbeispielen und zeitgenössischen Rezensionen. Wenn man diese Bücher durchblättert, tut sich vor dem inneren Auge ein Panorama auf, welches von geistigem Gewinn und dessen Verlust erzählt. Und so wird man hier im beschaulichen Zürich wieder einmal schmerzhaft daran erinnert, wie unglaublich grotesk das Ausmaß der kulturellen Selbstamputation Deutschlands im Dritten Reich doch gewesen ist.
Er selber würde das so direkt nie formulieren, dazu ist Walter Feilchenfeldt zu sehr Gentleman. Aber in die Heimatstadt seiner Eltern zurückzukehren, das kommt für ihn nicht infrage. „Ich persönlich möchte mit deutschen Behörden nie mehr zu tun haben. Aber ich reise gern als Besucher nach Deutschland, das muss reichen.“
Eines seiner nächsten Projekte wird ihn nach Osnabrück führen, in die Geburtsstadt seines Patenonkels Erich Maria Remarque (sein anderer Pate war Oskar Kokoschka), dessen Gesamtwerk natürlich auch in seiner Bibliothek einen Ehrenplatz innehat. Am dortigen Museum wird Feilchenfeldt versuchen, die Kunstsammlung des Schriftstellers zu rekonstruieren. „Ich mache das zu Ehren meines Vaters“, sagt er. „Remarque gehörte zu unseren guten Kunden. Die Sammlung war sein Werk.“ Auf die Ausstellung darf man gespannt sein. Nicht ausgeschlossen, dass auch ein, zwei Cézannes darunter sind.
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