- Der Schattenkönig der phantastischen Literatur
Walter Moers hat «Käpt’n Blaubär», «Das kleine Arschloch» und den schreibenden Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz erfunden. Sein neuer Roman heißt «Das Labyrinth der Träumenden Bücher». Und darin geht es vor allem um – Literatur
Als Hildegunst von Mythenmetz, der Ich-Erzähler des 2004 erschienenen Romans «Die Stadt der Träumenden Bücher», zum ersten Mal die Stadt Buchhaim besucht, kann sein Auge sich nicht satt sehen an der Vielfalt von Eindrücken in der zamonischen Kulturmetropole: «Es war, als ginge man in einem verschwenderisch illustrierten Buch spazieren, in dem ein künstlerischer Eindruck den nächsten übertrumpfte.» Und jeder, der diesen Satz las – der wohl nicht ganz zufällig direkt unter einer der verschwenderisch zahlreichen Illustrationen des Buchs steht –, wusste in diesem Moment: Da beschwört ein Autor sein eigenes Werk.
So ist es häufig bei Walter Moers, dem großen Unbekannten der phantastischen Literatur. Unbekannt nicht mangels Publikumsinteresse – im Gegenteil. Seit 1999 sein Romandebüt «Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär» herauskam, das uns erstmals in die sagenhafte Welt von «Zamonien» führte, haben sich die Bücher von Moers jeweils hunderttausendfach verkauft und ihren Autor zu einem der populärsten deutschen Schriftsteller werden lassen. Doch Moers lebt unerkannt in Hamburg und den Vereinigten Staaten; es gibt nicht einmal Fotos, von denen man sicher wüsste, dass sie ihn zeigen. Denn schon als der 1957 geborene Moers noch lediglich (wenn man das so sagen darf) einer der erfolgreichsten deutschen Comiczeichner war – seine bekannteste Serie «Das kleine Arschloch» war in den neunziger Jahren kein geringerer Verkaufsrenner als später die «Zamonien»-Romane –, legte er Wert auf sein Inkognito. Und je beliebter seine Schöpfungen wie Käpt’n Blaubär als Puppentrickheld in der «Sendung mit der Maus» oder der grotesk karikierte Hitler aus der 1998 begonnenen Comicserie «Adolf» wurden, desto konsequenter wahrte Moers dieses Inkognito. Interviews werden nur per E-Mail geführt, Preise nimmt er nicht persönlich entgegen, Signierstunden finden nicht statt.
Damit verweigert er sich dem Literaturgeschehen in einem Maße, wie es sonst nur dem amerikanischen Romancier Thomas Pynchon gelungen ist. Doch seine Leistung ist noch höher zu bewerten als die des Amerikaners, denn Moers ist auf diversen Gebieten aktiv: Comics, Romane und Fernsehtrickfilm wurden schon genannt, aber zum «Kleinen Arschloch» und «Käpt’n Blaubär» hat es auch animierte Kinofilme gegeben und zum letzteren Buch sogar ein Musical. Keine der glanzvollen Premieren oder irgendwelche Marketing-Anstrengungen haben Moers je aus seinem Refugium hervorzulocken vermocht.
Was er von sich preisgibt, steht in seinen Büchern. Und es steckt in seinen Zeichnungen, die ein oft unterschätzter Teil dieser Bücher sind. Von Beginn seiner Karriere als Romancier an hat Moers die eigene Prosa illustriert. Nur in «Wilde Reise durch die Nacht» von 2001 ist es anders; da erweist der Zeichner einem großen Kollegen seine Reverenz: Gustave Doré, aus dessen gewaltigem Illustrationswerk Moers 21 Bilder auswählte, um die herum er eine neue Geschichte schrieb. Respektvoller können Künstler miteinander nicht umgehen, als dass der Bewunderer seine ureigene Begabung unterdrückt, um allein das Schaffen des Bewunderten glänzen zu lassen.
Moers ist ein großer und kompromissloser Bewunderer – nicht nur Dorés, sondern auch von Literatur und Musik der verschiedensten Epochen, und seine Bücher legen auf mannigfache Weise Zeugnis davon ab. Die Namen etlicher seiner Figuren erweisen sich als Anagramme großer Künstler. Nehmen wir als Beispiele nur den zamonischen Autor Edo La Efendi, den wir als Daniel Defoe entschlüsseln können, oder den Komponisten Sweng Ohrgeiger, hinter dem sich eine Hommage an George Gershwin verbirgt. Doch die Ehrerweisungen an die großen Vorbilder erschöpfen sich nicht im witzigen Aperçu. Vor allem hat Moers sein eigenes Schreiben an ihnen geschult; kaum jemand erzählt in deutscher Prosa noch mit derart klassischem Duktus. Die Ansiedlung des Geschehens in der imaginären und zeitlosen Welt von «Zamonien» ist deshalb ein Geniestreich, weil sie jede Frage nach der Unzeitgemäßheit einer solchen Sprache ins Leere laufen lässt.
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Gleiches gilt für die Zeichnungen von Moers, die als Roman-Illustrationen in bewusster Abgrenzung zu seinen bunten Comicbildern in Schwarzweiß gehalten sind. Dieses aber ermöglicht durch die große Schraffierungs- und Schattierungskunst des Zeichners ein solches Spektrum an Nuancen, dass man seinen Augen kaum weniger trauen will, als es Hildegunst von Mythenmetz in Buchhaim tat. Moers weiß nur zu genau, dass die Virtuosität seiner Grafik der seiner Prosa zumindest nicht nachsteht.
Obwohl auf den ersten Blick kaum größere ästhetische Kontraste denkbar sind als zwischen der Drastik des «Kleinen Arschlochs» einerseits und dem subtilen Anspielungsreichtum sowie der grafischen Ruhe der Illustrationen aus den Zamonien-Romanen andererseits, eint beide Stile doch eine Präzision des Komischen, die ihresgleichen sucht. Die zeichnerische Phantasie des Walter Moers bietet mehr als nur Phantastik; sie ist vor allem von größtem Witz. Das hat sie mit dem oft satirischen, ja, bisweilen albernden Ton der Geschichten von Moers gemeinsam. So breit das Spektrum der Ausdrucksmittel dieses Zeichners und Schriftstellers auch ist, es dient doch einem einzigen Zweck: der Unterhaltung. Aber einer Unterhaltung im emphatischen Sinne, ohne die wir uns kulturell nicht erhalten können.
Moers ist ein synästhetischer Erzähler, der sich nicht damit zufrieden geben will, uns nur durch Sprache oder Bild zu locken. Deshalb begann er als Comiczeichner, doch erst in der Form des illustrierten Romans, die wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint, hat er die ihm gemäße narrative Methode gefunden. Dass er darüber hinaus als Autor-Persönlichkeit ganz hinter dem Werk zurücktritt – nicht nur durch seine Zurückgezogenheit, sondern auch durch die Verfasserfiktion der jüngeren «Zamonien»-Bücher, die Moers selbst nur noch als Übersetzer für Hildegunst von Mythenmetz ausweisen, dem in Wahrheit alle diese Bücher zu verdanken seien –, das ist ein weiterer Kunstgriff, um die Symbiose von Werk und Lesern ungestört zu bewahren. Das Inkognito von Moers ist keine Marotte, sondern rezeptionsästhetisch zwingend.
Am 24. September dieses Jahres hätte es für ihn wieder einmal einen Anlass gegeben, sich diesbezüglich selbst untreu zu werden. Die Ludwig Galerie im Schloss Oberhausen richtet die erste Retrospektive seines zeichnerischen Werks aus: mit Comics und Illustrationen. Aber es ist klar, dass der Künstler auch bei dieser Eröffnung fehlen musste. Oder war er unerkannt anwesend? Aber wer hätte das merken können? Selbst sein Verleger Wolfgang Ferchl, der den Autor für Eichborn entdeckt hat und ihn dann zu Piper und jetzt zu Knaus mitnahm, hat ihn in den letzten Jahren nur zweimal persönlich getroffen. Moers verweigert sich jeder Vereinnahmung durch seinen Verlag, und das geht so weit, dass es bis zwei Monate vor dem angekündigten Verkaufsstart des neuen Romans «Das Labyrinth der Träumenden Bücher» noch unklar war, ob es überhaupt rechtzeitig ein Manuskript geben würde, das man drucken konnte. Als es dann doch noch eintraf, war die Überraschung groß: Nicht nur, dass Moers erstmals eine Fortsetzung zu einem seiner früheren Werke geschrieben hat – er lieferte auch nur einen ersten Teil ab. «Das Labyrinth der Träumenden Bücher» endet offen, und zwar mit jenem Satz, der vor sieben Jahren den Vorgängerroman eingeleitet hatte: «Hier fängt die Geschichte an.»
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Und weiß Gott, das tut sie. Viel soll noch nicht verraten werden, aber in den 427 Seiten des neuen Buchs (das damit schon als erster Teil fast so umfangreich ist wie «Die Stadt der Träumenden Bücher») nimmt Walter Moers einen immens langen Anlauf, um seinen Helden Hildegunst von Mythenmetz endlich zumindest an den Rand dessen zu bringen, was der Titel des Romans verheißt: jene unterirdische Welt von «Zamonien», wo alles im Zeichen der Bücher steht und die wir aus dem früheren Werk kennen. Dort gibt es die Buchlinge – kleine einäugige Wesen von immenser Belesenheit. Dort gibt es die Jagdgründe der Bücherjäger – jener schwer gerüsteten Abenteurer, die auf der Suche nach bibliophilen Schätzen sind und sich im neuen Roman «Librinauten» nennen lassen. Und dort gab es den Schattenkönig – eine aus Papier geschaffene mythische Heldengestalt, die am Ende von «Die Stadt der Träumenden Bücher» in Flammen aufgegangen war. Aber gibt es ihn vielleicht doch noch?
Das ist die Leitfrage der Fortsetzung, und wer sich erinnert, mit welchem Herzblut Moers vor sieben Jahren diese papierne Figur beschrieben hat, der wird verstehen, warum es dem Schriftsteller so schwer gefallen sein muss, sein neues Buch jetzt schon zu beenden. In Hildegunst von Mythenmetz, dem egomanischen Großschriftsteller, hat sich Moers ein alter ego erschaffen, das in allem sein Gegenteil ist. Aber im Schattenkönig schuf er sich das Idealbild einer in der eigenen Auslöschung freien Persönlichkeit. Wie kann man das nun revidieren, ohne das meisterhafte Pathos des Finales von «Die Stadt der Träumenden Bücher» im Nachhinein zu entwerten?
Wir werden auf die Antwort zu dieser Frage warten müssen, und wie lange, das wird niemand wissen außer Moers selbst, der sich schon für den ersten Teil seiner Fortsetzung vier Jahre Zeit genommen hat – die größte bisherige Pause zwischen zwei «Zamonien»-Bänden. Den Autor, der bislang jeweils immer neue Dinge in Angriff genommen hat, wird es hart angekommen sein, einen alten Stoff fortzuschreiben. Aber da das von Moers, der sich nie um die Erwartungen seines Publikums geschert hat, andererseits überhaupt nicht zu erwarten war, dürfte es für ihn auch wieder einen eigenen Reiz besessen haben. Ob der neue Roman aber im Vergleich mit dem alten Meisterwerk bestehen kann, wird auch erst der zweite Teil zeigen.
Auf der vorletzten Seite des neuen Buchs, nach diesem langen Anlauf, steht jedoch eine Äußerung des Hildegunst von Mythenmetz, die man getrost als Bekenntnis seines Autors Walter Moers lesen darf: «Es waren die Motive, die Gestalten und Schauplätze eines ganzen Buches, die da auf mich herabprasselten! Das war ein Roman, der sich da in meinem Kopf formte!» Moers hat immer gewusst, was er als Autor wollte. Und es war immer das, was wir als Leser wollten.
Walter Moers: Das Labyrinth der Träumenden Bücher. Knaus, München 2011. 600 S. mit über 100 Illustrationen, 24,99 Euro
Dieser Artikel ist auch erschienen in der aktuellen Ausgabe Oktober/November 2011 des Magazins "Literaturen"
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