- Der Journalismus ist nicht Ryanair
Die Insolvenz der Frankfurter Rundschau sollte der Branche eine Mahnung sein. Jetzt rächt sich, dass die Verlage seit Jahren auf den Medienwandel nur eine Antwort kannten: Stellenabbau. Dabei heißt Umstrukturierung viel mehr
Es ist eine Frage, die in einer Marktwirtschaft jeden Unternehmer umtreibt: Kann man an einem Produkt massiv sparen und damit trotzdem noch erfolgreich wirtschaften? Kann man also zugleich den Input verringern und den Output steigern?
Ja, man kann. Die Aldis, Kiks und Ryanairs haben gezeigt, dass man mit maximaler Rationalisierung maximale Profitabilität erreichen kann. Das Produkt wird von allen Dienstleistungen abgekoppelt und auf seine Kernfunktion begrenzt, den reinen Transport etwa; wer noch Gepäck mitnehmen will, wird zur Kasse gebeten.
Es ist ein so erfolgreiches Modell, dass spätestens mit Beginn der Medienkrise im Jahr 2003 auch immer mehr Verlagsmanager damit liebäugelten: Warum sollte man nicht auch bei den Zeitungen so rationalisieren können?
Zunächst leiteten Verlage einige Sparmaßnahmen ein, die man mit viel gutem Willen noch als sinnvoll bezeichnen könnte. Vertrieb und Verwaltung wurden kleiner und effizienter, Druckereien nicht nur nachts, sondern nun rund um die Uhr ausgelastet, Print und Online enger verzahnt. Stets betonten die Zeitungshäuser, dass sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung damit trotzdem noch nachkommen würden.
Doch nach und nach wanderten die Kleinanzeigen, jahrzehntelang das wichtigste Rückgrat vieler Regionalzeitungen, ins Internet ab. Die Werbeeinnahmen brachen weg. Die Verlagsindustrie, mit der sich seit jeher gutes Geld verdienen ließ, reagierte in Panik. Sie versuchte erfolgreiche Management-Modelle zu adaptieren – ohne sie richtig zu durchdringen.
Wenn sich Unternehmen in Krisenzeiten sanieren, muss eine Umstrukturierung stets einher gehen mit der Besinnung auf die eigenen Kernkompetenzen. Bei Ryanair ist das der Transport, bei Zeitungen der Journalismus. Das Problem: Die Zeitungen sanierten nicht so, dass der Journalismus gestärkt wurde – sie schwächten ihn vielmehr. Sie kopierten also das Ryanair-Modell, aber leider ganz falsch: Sie wollten mit leeren Taschen ganz hoch fliegen.
Dies ist etwa die Geschichte der Frankfurter Rundschau, dieser einst mondänen linksliberalen Zeitung, die als zweite deutsche Tageszeitung nach dem Zweiten Weltkrieg lizenziert wurde und sich später der Frankfurter Schule eines Adorno oder Horkheimers widmete. Die Ursachen ihres Niedergangs sind freilich vielfältiger. So ging an ihr schon in den 1990er Jahren der gesellschaftliche Wandel vorbei; Journalistikforscher Michael Haller sprach im Hessischen Rundfunk sogar von einem „bisschen Arroganz“ in der Berichterstattung. Später machten die Eignern weitere Fehler: Statt die Inhalte zu stärken, bastelten sie teuer am Format. Sie verkleinerten die FR auf das Tabloid-Format, die Leser und Anzeigenkunden verschreckte. Als weiterer Angriff auf den unabhängigen Journalismus musste der politische Einfluss gelten: Erst gab es eine Nothilfe der hessischen Regierung, dann stieg neben dem Verlag M. DuMont Schauberg und dem Minderheitseigner Karl-Gerold-Stiftung die SPD-Holding DDVG ein.
Die Hoffnung jedoch, sich mit einem Kahlschlag im Kernbereich eines Tendenzbetriebs – den Redaktionen – sanieren zu können, sollte sich als die verheerendste herausstellen. Dem Stellenabbau folgte die Schaffung eines gemeinsamen Redaktionspools aller DuMont-Blätter (Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Kölner Stadt-Anzeiger, Mitteldeutsche Zeitung). Zudem werden zwischen den vier Blättern ganze Seiten ausgetauscht. Alles vergebens: 2012 beliefen sich die Verluste der FR auf 16 Millionen Euro.
Die Rundschau ist aber kein Einzelfall. Anstatt neue Geschäftsmodelle zu ergründen, massiv im Netz zu investieren oder sich vielleicht selbst an profitablen digitalen Anzeigenmärkten zu beteiligen – wie es etwa der Holtzbrinck-Verlag (Die Zeit) mit der Partnervermittlung Parship.de tat – setzten viele Verlagshäuser allein auf den Stellenabbau.
Seite 2: Wie blöd können die Verlage eigentlich sein?
Der Trend betrifft mittlerweile ganz Deutschland: Immer weniger Journalisten müssen immer mehr Aufgaben übernehmen. Gab es im Jahr 2000 noch 15.306 Redakteure bei Tages- und Wochenzeitungen, waren es 2012 nur noch 13.516. In jenem Jahrzehnt aber kamen unzählige neue Onlinemedien hinzu.
Mit Verlaub: Glaubten die Verlage tatsächlich, sie könnten ihren Lesern billigere, schlechter recherchierte Zeitungen anbieten? Hofften sie wirklich, diese würden den publizistischen Einheitsbrei, der nun überall serviert wurde, klaglos schlucken? Wie blöd kann man eigentlich sein?
Am schlimmsten die Westdeutsche Allgemeine (WAZ), größte deutsche Regionalzeitung: Vor drei Jahren kündigte sie an, 300 Stellen abzubauen – um so rund 30 Millionen Euro zu sparen. Es war nicht nur ein Ausdünnen. Es war ein Abmagern. Und zwar vor allem dort, wo die Zeitung heutzutage noch ein Alleinstellungsmerkmal – ja, Monopol – hat: im Lokalen.
Dabei hat eine Zeitung doch gerade hier eine gesellschaftliche Verantwortung: Sie soll die Menschen zueinander bringen, den demokratischen Diskurs pflegen, Gemeinderäten und Bürgermeistern, die sich oft als Provinzfürsten fühlen, genau auf die Finger schauen. Der Lokalteilteil ist noch immer der Teil einer Zeitung, mit dem die Leser ihre Lektüre am liebsten beginnen. Mittlerweile redet man bei der WAZ zwar wieder vollmundig von einer „lokalen Offensive“, von neuen Einstellungen ist aber nichts bekannt. Stattdessen steigen die Erwartungen an die Lokalredakteure, die teilweise bis zum Burnout schuften.
Für den Kahlschlag hat sich übrigens auch die insolvente Nachrichtenagentur dapd entschieden: Hier sollen 100 von 300 Stellen abgebaut werden. Als bedroht gelten auch die Wirtschaftsmedien des Verlagshauses Gruner + Jahr: Financial Times Deutschland, Capital, Impulse und Börse Online. In der nächsten Woche berät der Aufsichtsrat über die Zukunft der Blätter. Auch Springer will weiter fusionieren. Die Redaktionen der Welt, Welt am Sonntag, Berliner Morgenpost sowie das Hamburger Abendblatt wollen noch in diesem Jahr eine Redaktionsgemeinschaft gründen. Gut möglich, dass dann weitere Hiobsbotschaften folgen.
Der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont, Eigner der Frankfurter Rundschau, sagte einmal, dass Zeitungen „keine normalen Unternehmen“ seien. Journalismus zählt vielmehr zu den sogenannten meritorischen Gütern. Das sind Güter wie Bildung oder Altersvorsorge, die von der Privatwirtschaft nicht nachgefragt, aber als gesellschaftlich wünschenswert anerkannt werden. Eine Zeitung ist also auch für Ökonomen mehr als nur die Summe ihrer Buchstaben.
In der Vergangenheit wurde das Wünschenswerte noch problemlos geliefert, weil sich mit Zeitungen viel Geld verdienen ließ. Heute kommen die Verlage ihrer gesellschaftlichen Verantwortung aber immer weniger nach. Das meritorische Gut steht damit zur Disposition.
Deshalb ist es so schwierig, das Rationalisierungsmodell auf die Zeitungen zu übertragen. Den Journalismus abzuschneiden, wäre so, als montiere Ryanair an seinen Flugzeugen aus Kostengründen die gesamten Fahrwerke ab. Was dann rauskommt, ist absehbar – eine Bruchlandung.
Hinweis: In einer früheren Version hieß es "Hier sollen 300 von 100 Stellen abgebaut werden." Das ist ein Tippfehler und wurde korrigiert. Die Redaktion
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