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Brüggemanns Bayreuther Tagebuch - „Eine existenzielle Herausforderung“

Am Donnerstag beginnen in Bayreuth die Richard-Wagner-Festspiele. Für Cicero Online ist der Journalist und Wagner-Experte Axel Brüggemann vom ersten bis zum letzten Tag dabei. In seinem Bayreuth-Tagebuch schreibt er über das Leben auf dem Grünen Hügel, über Merkel und ihr Gefolge, die Society und ihre Petitessen sowie über den Provokations-Experten Castorf und seinen Ring.

Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Lesen Sie auch die weiteren Einträge aus Brüggemanns Bayreuther Tagebuch:

Teil 1: „Eine existenzielle Herausforderung“

Teil 2: Die Knackärsche haben gute Arbeit geleistet

Teil 3: Frank Castorf: Rheingold oder Wild at Ring

Teil 4: Wie Angela Merkel mit Wotan flirtet

Teil 5: Wagner ohne Hitler, das ist echte Kunst

Teil 6: Vom Vögeln, Ballern, Krokodil-Schnappen und Buh-Rufen

Teil 7: Leserpost, die Totalkultur und der Antisemitismus

 

Teil 1 Vor der Premiere - Zwei Begegnungen mit einem entspannten Thielemann und dem Wahnsinnigen Castorf.

Bayreuth ist, wo Christian Thielemann Gummi-Schlappen trägt. Nirgends fühlt er sich so zu Hause wie in der fränkischen Provinz, in der am Donnerstag der rote Teppich für den Opern-Polit-Catwalk ausgerollt wird.

Ich treffe ihn auf der Probebühne III, einer aufgeräumten Rumpelkammer gleich hinter dem Festspielhaus. Die Szene für die "Holländer"-Premiere wird gerade auf Gabelstabler verladen. Thielemann parkt seinen Porsche auf dem Dirigentenparkplatz.

„Wie geht's“, will er wissen, „gut“, sage ich, „und Ihnen?“ - „Ach, wissen Sie, das ist alles gar nicht so leicht“, antwortet er. „Was“, forsche ich nach, „das Leben? Die Proben? Bayreuth?“ - „Nee“, sagt er, „weiter zu machen, immer weiter zu machen - immer wieder neu zu fragen, immer wieder taucht da was auf in diesen Partituren, immer wieder neue Anstrengungen, um näher und näher zu kommen, um das Alte hinter sich zu lassen, Neues zu finden. Es ist anstrengend, sich mit diesem Wagner auseinanderzusetzen.“ - „Eine Qual?“, frage ich. Er denkt nach: „Nö. Dann würde ich das ja nicht machen. Aber eine wirklich existenzielle Herausforderung.“

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Die Bühnenarbeiter haben die falschen Arbeitsklamotten an: Schwarze Handwerker-Hosen bei 32 Grad. Sie ruhen sich auf den Papp-Kartons der Senta-Szene aus, nippen an ihren Wasserflaschen und tuscheln.

Die Art, wie „Ring“-Regisseur Frank Castrof im „Spiegel“ zitiert wurde, bringt sie auf die Palme. Ein halbes Jahr lang haben sie die größten Bühnenbilder für ihn gezimmert, die je in Bayreuth auf der Bühne standen: Der Mount Rushmore mit Stalin, Lenin und Mao. Eine sozialistische Real-Replik des Alexanderplatzes mit U-Bahn-Schild, Weltzeituhr und Funkturm-Fuß. Für Castorf ist der „Ring“ unserer Zeit das Erdöl. Seine etwas moralische These: Unsere Rohstoffgier versaut unseren Charakter und lässt unsere Welt untergehen.

Ich weiß noch, wie er mir die Grundideen vor einem halben Jahr in Paris erklärt hat: Wir haben uns für den CICERO getroffen, nach vier Stunden kam die Rechnung, wir haben uns nur von Weißwein und Mehrwertsteuer ernährt. Ich mag diesen Wahnsinnigen Castorf. Diesen Provokations-Experten.

Auch mit fränkischem Weißwein bleibt er sich nun treu. Die Arbeitsbedingungen in Bayreuth seien wie „Stadttheater Ingoldstadt“, ließ er seinen Probenfrust beim „Spiegel“ ab. Die Malocher im Schatten lesen so etwas. nehmen es ernst - und sind persönlich betroffen. „Das ist schade“, sagt einer von ihnen, „wir versuchen uns den Arsch für seine Ideen aufzureißen, er lässt sich so gut wie nie blicken - und dann das.“ Ein anderer versucht zu vermitteln: „Der hat halt auch Muffensausen. Und die Presse schreibt das ja auch so, dass es möglichst provokant klingt. Weiß doch jeder, dass Regisseure nirgendwo so lange und ausgeruht arbeiten können wie hier.“

Nein, den Stolz der Arbeiter wollen sich die Bühnen-Jungs nicht vom erklärten Arbeiter-Regisseur Frank Castorf rauben lassen.

„Wissen Sie, das fängt ja schon am Anfang des 'Holländers' an“, sagt Thielemann. „Da tobt dieser Sturm im Orchester. Man kann das als Effekt dirigieren - als Tsunami. Aber da bricht ja höchstens ein Mast, kein großes Ding, die Welt geht nicht unter. Und Wagner schreibt auch nur ein Forte-Zeichen. Man darf sich da nicht hinreißen lassen, muss wissen, dass da noch was kommt. Es ist nur ein Sturm, mehr nicht.“

Dann gerät er ins Schwärmen über Wagners Opernheldin Senta. „Klar, die hat ne kleine Schacke, wartet auf einen Typen aus dem Märchenbuch, findet es ganz normal, wenn dieser Geist dann auftaucht und fällt nicht gleich über ihn her, so wie Tristan und Isolde, sondern bespricht erst einmal die Hochzeit. Die wissen eben, wie man sich benimmt.“

Und dann erklärt er, dass die beiden am Ende für ihn nicht absaufen und sterben. Sein „Holländer“ hat ein Happy-End. „Das Ende steht in D-Dur, da ist doch keine Tonart für den Tod.“ - „Ja schon“, wende ich ein, aber wenn das Boot untergeht und sie ins kalte Meer springt ...“ - „Gut“, sagt der Dirigent, „geschenkt, das macht die Sache etwas komplizierter. Vielleicht sind sie am Ende ja tot - aber sicher nicht tottot, also nicht mausetot. Das will ich nicht glauben. Das steht nicht in der Musik.“

Axel Brüggemann im Gespräch mit Christian Thielemann

Auf dem Vorplatz des Festspielhauses wird langsam der rote Teppich ausgerollt. Sicherheitsstufe Eins: In ihrer Amtszeit hat Angela Merkel inzwischen ihr halbes Kabinett zu Wagnerianern verwandelt. Sieben Staatsminister haben sich zur Premiere angemeldet. Der Beweis ist erbracht: Merkel hat die kulturelle Deutungshoheit. Und Bayreuth wird ein bisschen Berlin. Die Festspiele ein Sommerausflug des Kabinetts. Präsident Gauck wird auch erwartet.

Ein bisschen Angst liegt in der Luft. Die Künstlergruppe „Hauptschule Frankfurt“ hat 50.000 gefälschte Freikarten an Bayreuther Haushalte verteilt, will gegen den Antisemiten Wagner protestieren und die Eröffnung zum Opern-Chaostag machen.

Bayreuth ist gut darin, unsere Gesellschaft zur Oper zu verwandeln.

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Ist noch was? Ah, ja - Die Angst vor dem Außen in Bayreuth erinnert Castorf nach Spiegel-Angaben an die alte DDR. Die Jungs von der Bühne wissen nicht, was sie davon halten sollen. „Ist der nicht Fan von Fidel-Castro und eingefleischter Ostalgiker?“ - So gesehen war der Angriff vielleicht als Lob gemeint? Fränkische Sturköpfigkeit und Berliner Volksbühnen-Mentalität scheinen sich auf jeden Fall ähnlicher zu sein als sie wahrhaben wollen.

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