- „Wenn du etwas wirklich haben willst, kaufe es nicht“
Die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze verbindet Politik mit Poesie. Ihre Stilmittel sind Suppe, Bleistift und Humor. Schon Oligarchen gingen ihr auf den Leim
Als jüngst zur Eröffnung der „Manifesta 10“ Kurator Kasper König der Ukrainerin Alevtina Kakhidze das Mikrofon überließ, war die Botschaft klar: Auch eine Künstlerin, die als Maidan-Aktivistin für die Unabhängigkeit ihrer Heimat eintritt, sollte in Sankt Petersburg in der ersten Reihe stehen. Kakhidzes knabenhafte Erscheinung mit der Bobfrisur über erstaunt blickenden Augen ließ weniger an eine Kunstaktivistin denken als an ein unerschrockenes großes Kind. Tags zuvor erst hatte sie ihre neue Performance „Victory over electricity“ angekündigt.
Kakhidzes Fähigkeit, die Gegenwart poetisch zu reflektieren, zeigte sich zuletzt in ihrer Arbeit „TV Studios / Rooms without Doors“. Die Videoinstallation im Pinchuk Art Centre, einem Museum für Gegenwartskunst in Kiew, lief in einer surrealen Studiokulisse. Die Künstlerin trug sehr ernst absurde News vor: „Die Menschen haben aufgehört, Tomaten, Wassermelonen und Erdbeeren zu essen. Der Grund: Diese weisen eine rote Farbe auf, die an den Sozialismus erinnert. Ärzte warnen: Bitte essen Sie weiter Früchte, sie enthalten wichtige Vitamine!“ Oder: „In Berlin ist die Mitnahme von Hunden in der U-Bahn erlaubt, jetzt fordern Kiewer Bürger dieses Recht ein. Die Antwort des Bürgermeisters: Bei den Berliner Hunden handelt es sich um sozialisierte Wesen. Kiews Hunde sind noch nicht reif für die U-Bahn.“
1973 im Osten der Ukraine als Tochter eines Georgiers geboren, wuchs Alevtina Kakhidze mit der russischen Sprache auf und lernte Ukrainisch erst mit 22 Jahren, nachdem sie 1995 nach Kiew gezogen war. Als Jugendliche entdeckte sie den Science-Fiction-Autor Clifford D. Simak für sich. Als „Gegenpol zum sowjetischen Sachbuch“ hätten seine Erzählungen sie vor dem Stumpfsinn bewahrt. „Er schrieb Gras ein Bewusstsein zu und die Fähigkeit zum Denken – großartig!“ 1991 erlebte sie als 18-Jährige den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Beginn der postsozialistischen Ära der Ukraine.
Kakhidze, die als Kunststudentin in Maastricht von 2004 bis 2006 erste Auslandserfahrungen sammelte, erinnert sich an einen Streit mit einem deutschen Freund: „Er erzählte mir als Erster von der Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg. Bis dahin war ich überzeugt, dass die Sowjetunion den Krieg beendet hatte.“ Es war diese Erfahrung von Indoktrination, die ihren Anspruch begründete, sich nur noch aus erster Hand zu informieren.
Neokapitalistische Auswüchse als zentrales Thema
Als Konsequenz initiierte sie 2007 ihr privates Artist-in-Residence-Programm, bei dem sie im Sommer Künstler aus aller Welt einlädt, einige Wochen im Atelier ihres Hauses in einem Dorf nahe Kiew zu verbringen, „um uns mit ihrem Blick auf die Welt zu überraschen“. Im Dezember 2013, nachdem Ex-Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU platzen ließ, organisierte die Künstlerin ein Happening auf dem Maidan und postierte neben einem Topf Suppe einen Sachverständigen für den EU-Vertrag, der Vorurteile über das Schriftstück ausräumen konnte.
Zentrales Thema von Alevtina Kakhidze sind die neokapitalistischen Auswüchse, die in der Ukraine eine Minderheit einflussreicher Oligarchen hervorbrachten. An zwei von ihnen wandte sie sich 2008 in einem offenen Brief, der sie in der Ukraine berühmt machte. Darin bat sie die beiden, von ihrem Privatjet aus die Erde von oben zu zeichnen. Die Antwort kam 24 Monate später und enthielt die Einladung, die Zeichnung doch bitte selbst in einem bereitgestellten Jet anzufertigen. Kakhidze willigte ein, stieg ins Flugzeug und ließ die enttäuschte Presse hernach wissen, sie habe nicht gezeichnet, aber den Blick aus großer Höhe genossen.
Einen Wechsel der Perspektive vollzog die Künstlerin auch, als sie bei sich und ihren Landsleuten neuartige Konsumgelüste wahrnahm. Ohnehin stets mit Block und Stift unterwegs, begann sie Dinge, die sie sich gerne kaufen würde, zu zeichnen und wähnte sich dadurch in ihrem Besitz. Bei der 7. Berlin-Biennale 2012 trat sie als Sammlerin von 500 Werken auf, die nur auf Papier existieren: antike Lampen, Prada-Pumps, Objekte von Jeff Koons. Ihr Rat: „Wenn du etwas wirklich haben willst, kaufe es nicht, sondern bringe es aufs Papier. Nur wenn man sich vom Konsum fernhält, bleibt das ursprüngliche Begehren erhalten.“
Um das Dilemma des Wahrheitsanspruchs drehte sich ihre für die „Manifesta 10“ inszenierte Pressekonferenz „Victory over Electricity“. Als sie von einem Bühnenstück russischer Futuristen von 1913 erfuhr, dessen Titel „Victory over Sun“ auf den Siegeszug der Elektrizität anspielt, kam ihr der Gedanke: „Fernsehen, Internet und Skype haben uns nicht viel weiter gebracht.“ Noch immer treffe sie auf russische Intellektuelle, deren Ukraine-Kenntnisse auf solcherart vermittelter Propaganda beruhten. Da helfe nur ein radikales Gegenmittel: „Hiermit erkläre ich den Sieg über die Elektrizität und fordere das Gespräch eins zu eins!“ Sie vertraut nur der Unmittelbarkeit.
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