lesen: Journal - Architekt des Unglücks

Peter Stamm lässt sich viel Zeit. In «Sieben Jahre» schildert er mit Schweizer Präzision den Niedergang einer Ehe

Architekten sind ideale Romanfiguren. Es gibt so viele Dinge, die sie interessant machen. Die Bauwerke, die sie errichten, ihr Stil, den sie durchsetzen müssen. Man kann sie auch wunderbar in den Irrsinn treiben wie Patricia Highsmith ihren Architekten Guy Haines in «Zwei Fremde im Zug». Sein psychopathischer Reisebegleiter setzt ihm dermaßen zu, dass er einen Mord für ihn begeht.

Beim Schweizer Autor Peter Stamm kommt diese Berufssparte etwas besser weg. In seinem neuen Roman «Sieben Jahre» lernen wir eine Gruppe junger Architekten kennen, die das Leben vor sich haben. Sie sind gerade mit dem Studium fertig geworden, und sie sind beseelt von den Idealen ihres Berufes. Immer wieder fällt ein Zitat von Le Corbusier: «Alles ist anders. Alles ist neu. Alles ist schön.» Die Hauptfigur, der Ich-Erzähler Alex, hat sich in seinem Leben eingerichtet wie in einem Designerhaus. Er hat einen vielversprechenden Abschluss in der Tasche und die schönste Kommilitonin an seiner Seite, Sonja. Die ist klug und sozial engagiert, eine Frau, die Alex das Gefühl gibt, «besser sein zu müssen, als ich war». Gemeinsam bauen sie ein Architekturbüro in München auf, ziehen immer größere Aufträge an Land, leben in einem Haus am Starnberger See.


Mehr Ekel als Begehren

Doch das Leben ist kein Reißbrett, es kommt immer etwas dazwischen. Wie der Hausmeister einer Schule, dem Sonja in einer hübschen Szene die Fahrradständer auszureden versucht, die nicht zu Form und Ästhetik der Architektur passen würden. Aber irgendwo müssen die Kinder doch ihre Fahrräder abstellen!, sagt der Hausmeister, das Schnöde siegt über das Schöne. Im Lebensentwurf von Alex und Sonja ist es die illegal in Deutschland lebende Polin Iwona, die alles durcheinander bringt. Iwona ist weder schön noch klug, sie redet nicht viel und ist auf nervtötende Weise fromm. Die Treffen der beiden sind hastig und asexuell, mehr von Ekel getrieben als vom Begehren. Trotzdem kommt Alex nicht von Iwona los. Immer wieder macht er sie ausfindig, stellt ihr nach, setzt seine Ehe und seine Existenz auf Spiel.

Langsam, fast behäbig demontiert Peter Stamm seine Figuren. Die Ruhe, mit der er als Erzähler am Werk ist, steht in unerbittlichem Gegensatz zum zerstörerischen Chaos seines Protagonisten. Alex schwängert seine Geliebte, nimmt ihr das Kind weg und drängt seine Frau, es zu adoptieren. Er beginnt zu trinken und ruiniert die Firma. Alex, dessen Lebensinhalt es eigentlich ist, Dinge zu konstruieren, wird zum Architekten des Unglücks anderer.


Das Ende der Wohlverhaltensperiode

«Sieben Jahre» ist der längste und gewichtigste Roman des in Winterthur lebenden Autors. Gewissenhaft setzt Stamm in seinem Erzählgebäude einen Stein auf den anderen, baut Rückblenden, wechselt zurück in die Gegenwart. Er nimmt sich viel Zeit, die Ecken und Kanten seiner Hauptfigur auszuleuchten, arrangiert das Personal mit Schweizer Präzision. So tauchen in dem Roman immer wieder Alex’ ehemalige WG-Bewohnerinnen Tanja und Birgit auf. Die eine ist ein Öko-Freak mit Waschzwang, die andere kommt nicht von ihr los – ein Spiegel der Skurrilität für Alex’ vertrackte Abhängigkeit von Iwona. Das ist witzig und sehr virtuos, manchmal vielleicht ein bisschen zu virtuos. Kein noch so kleines Detail, das in Peter Stamms Erzählkonstruktion nicht bedeutsam wäre, jede Nebenfigur folgt ihrer Funktion.

Am Ende regiert eine Insolvenzverwalterin Alex’ und Sonjas Existenz. Das Architektenpaar muss nach einem Insolvenzplan arbeiten, «Wohlverhaltensperiode» lautet das bürokratische Gebot der Stunde. Doch einem kaputten Leben ist auch mit einer Wohlverhaltensperiode nicht beizukommen: Die Ehe von Alex und Sonja erweist sich endgültig als Fehlkonstruktion. Der Architekt mit den hochfliegenden Plänen zieht eine nüchterne Bilanz: «Nur in der fiktiven Welt der Pläne und Skizzen war man frei, alles so zu machen, wie man es sich vorstellte.»

 

Peter Stamm
Sieben Jahre
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2009. 298 S., 18,95 €
Buch bei Amazon bestellen

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.