- Amin Maalouf: Mörderische Identitäten
«Identität» gehört zur Ausstattung des täglichen Bürgerkriegs in der vom staatlichen Gewaltmonopol zunehmend verlassenen Zivilgesellschaft; sie bewegt Spray-Dosen ebenso wie Messer und Kalaschnikows.
«Identität» gehört zur Ausstattung des täglichen Bürgerkriegs in der vom staatlichen Gewaltmonopol zunehmend verlassenen Zivilgesellschaft; sie bewegt Spray-Dosen ebenso wie Messer und Kalaschnikows. Wir leben in einer Zeit, in der kaum ein Tag vergeht, ohne dass wir Bilder des Grauens sehen, und diese kleinen und großen Massaker der globalen Alltagswelt werden uns als Kriegsersatzhandlungen armer, zurückgebliebener, um Anerkennung ringender, auf «Wir»-Solidarität gegründeter «Religions»- oder «Volks»-Gruppen erklärt. Der libanesisch-französische Schriftsteller Amin Maalouf zeigt in seinem neuen Buch, wohin die Metaphorik der identitätspolitischen Legitimität von Gewalt führt, und schreckt nicht davor zurück, nach Lösungsmodellen für diese Konflikte zu suchen.
Seine Arbeit ist beachtenswert, nicht nur, weil hier ein durch Bürgerkrieg und Migration geprüfter Autor Selbsterfahrungen vermittelt, sondern vor allem, weil er in eindeutigen Begriffen die christliche wie die islamische, die europäische wie die türkisch-osmanische und arabische Geschichte, den Nasserismus wie den Islamismus einer äußerst akribischen Identitätsprüfung zu unterziehen vermag. Sein Buch beschreibt über die postmodernen Strömungen der politischen Theorie hinaus die mikro-identitären Strukturen der Gewalt, die den Prozess der Globalisierung begleiten. Um diese Gewaltstrukturen zu überwinden und einer Welt-Zivilisation eine Chance zu geben, müsste zuerst das Paradox aufgehoben werden, so der Autor, dass entgegen aller Globalisierungstendenzen Identität immer noch an einem ebenso statisch fixen wie fiktiven Urbild der Gemeinschaft, der Solidarität des «Stammes», der Ursprungs- oder Abstammungsgruppe festgemacht wird. Maalouf ficht für eine neue identitätsbezogene Spiritualität des Menschen jenseits der Fesseln, die immer noch und in allen Kulturen den Prozess der Selbstfindung beherrschen. Das Bedürfnis nach Spiritualität habe sich vom Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit zu emanzipieren, damit von Demokratie die Rede sein kann!
Tant mieux!
Georg Stauth
Amin Maalouf
Mörderische Identitäten
Aus dem Französischen von Christian Hansen
Edition Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000. 144 S., 18,90 DM
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