Das Journal - Allein gelassen in Tokyo

Peter Carey interessiert sich für japanische Popkultur, doch als Reiseleiter im Reich der Mangas und Animes ist er leider eine Fehlbesetzung

Ein wichtiges Gebot für die interkulturel­le Begegnung besagt, das vormals Selbstverständliche nicht mehr als solches zu nehmen. Man müsse gleichsam selbst zum Frem­den werden, um für das Andere, Abweichende die nötigen Anschlüsse bereitzustellen. Nicht immer gelingt der gegenseitige Transfer von Zeichen und ihren Bedeutungen, aber wenn er klappt, kann er für Glücksgefühle sor­gen und zeigen, dass Reisen tatsächlich mehr hin­terlässt als unscharfe Erinnerungsfotos in ei­nem Schuhkarton oder auf einer Festplatte.

Man dürfte Peter Carey, dem australischen Bestseller-Autor und zweifachen Boo­ker-Preisträger, kaum unterstellen, dass er sich diese Offenheit für die interkulturelle Begegnung nicht bewahrt hätte. Und doch wird «Wrong about Japan», sein Buch über eine Tokyo-Reise im Jahr 2002, zu einer Self Fulfilling Prophecy: Bei dieser Unternehmung läuft wirklich einiges falsch.

Vielleicht liegt es nicht unbedingt nur am Verfasser. Dessen Kenntnisstand über die Wurzeln des Kabuki-Theaters oder die Plots von Zeichentrickfilmen ist groß genug, dass er als aufgeklärter Fernost-Tourist durchgehen kann. Doch Japan, mit seiner ganz eige­nen Mischung aus urbaner Hypermodernität und ruralen Traditionen, birgt für west­liche Interpreten stets die Gefahr, vorschnellen Urteilen auf den Leim zu gehen. In der Überbetonung seiner Eigenheiten wird zumeist ein grelles, widersprüchliches Land konstruiert, welches den gaijin, den Fremden und Barbaren, auf ewig verschlossen bleiben muss. «Lost In Translation», Sofia Coppolas Film über zwei gestrandete Amerikaner in den Hochhausschluchten Tokyos, zeigte genau diesen Willen zur fröhlichen Resignation: Alles so schön bunt hier.


Riten fremder Medienstämme

So muss denn auch in Careys schmalem Bändchen, dessen Lektüre locker in zwei Stunden zu bewältigen ist, das ganze Arsenal japanischer Stereotypen aufgeboten werden: ein windiger Suppenkoch, der «wahrscheinlich» der Yakuza angehört; ein weiser Schwertschmied, der sein Handwerk nur noch unter strengen Lärmschutzbestimmun­gen ausüben darf; ein jugendlicher Cyber-Punk, der sein Aussehen akkurat der Figur einer TV-Serie nachbildet; eine transsexuelle Anime-Expertin, die eine telefonbuchdicke Enzyklopädie über Roboter verfasst hat. Natürlich gibt es solche Leute in Nippon. Doch in dieser schnellen Reihung ergeben sie eine Typenrevue, mit der auch «Spiegel»-Korrespondenten ihren Differenzgenuss gerne auf das richtige Maß trimmen.

Der Kunstgriff wäre verzeihlich, wenn sich Carey bei seinem Anspruch, die Geheimnisse der japanischen Popkultur zu entschlüsseln, nicht vollkommen verheben würde. Seinem mitreisenden Sohn Charley, vertraut mit Manga, Mobile Gaming und Miyazakis grafischen Traumwelten, verspricht er, das «echte» Japan auf den Straßen Hara­jukus, in den Spielhöllen von Akihabara und den Studios der Unterhaltungsproduzenten zu suchen. Beide sind fasziniert von den Otaku, den Comics verschlingenden Stubenhockern, pickligen Superhelden-Exegeten und eigenbrötlerischen Sammlern jedweder Information aus möglichst abseitigen Themengebieten. Doch während Charley als guter Ethnologe diese spätmodernen Medien-Stämme als etwas Gegebenes betrachtet und ihre Regeln studiert, versucht der Senior ständig, zum genuin «japanischen» Wesenskern vorzustoßen.

Dass dieses Unterfangen gründlich misslingt, muss er bald einsehen. Die vielfältige Manga-Lesekultur führt Carey zwar – kunsthistorisch korrekt – auf die Holzschnitte und Papiertheater des Mittelalters zurück. Dass sie ihren Boom jedoch vor allem dem schnöden Ansinnen der Genussmittel-Industrie verdanken, mit Bildergeschichten mehr Süßigkeiten und Getränke abzusetzen, muss er erst lernen. Ähnlich verhält es sich mit seiner Hypothese, die erlittenen Traumata im Zweiten Weltkrieg hätten als psychologischen Reflex die japanische Begeisterung für postapokalyptische Szenarien und Weltraumschlachten hervorgebracht. Sind die von Kindern gesteuerten Roboter aus der Gundam-Serie nicht Metaphern für eine Isolierung der Körper? Nein, so muss sich Carey von einer Science-Fiction-Hermeneutikerin sagen lassen: Für die japa­nischen Rezipienten wirkt der Robotor eher wie ein schützender Mutterleib, «ein sicherer Ort, an dem man mit der Welt interagieren kann».

Der sichere Ort, von dem man spricht, ist der Ausgangspunkt jeder Form der kultu­rellen Kommunikation. Für Carey gerät dieser Ort ins Wanken, weil er sein angelesenes Wissen nur schwer mit den realen Gegebenheiten in Beziehung setzen kann. Dass er seine Scham über das Nichtverstehen themati­siert, ehrt ihn. Schade nur, dass sein offenes Eingeständnis, mit seinen schlampigen Recherchen nicht einmal die Oberfläche der japanischen Popkultur durchbrochen zu haben, den Leser reichlich verärgert zurücklässt. Weder besitzt er nun mit «Wrong about Japan» einen Navigator, um sich selbständig als Fährtensucher zu betätigen, noch findet er darin einen gelungenen Reiseroman, der über das flüchtige Streifen einiger Stationen hi­naus­ginge. Allein gelassen in Tokyo, fühlt man sich fast schon dem ironischen Fatalis­mus nahe, der Scarlett Johansson und Bill Murray in «Lost In Translation» zu folgendem Dialog treibt: «Warum vertauschen die hier R und L?» «Och, nur so. Vielleicht sind sie ein bisschen albern.»

 

Peter Carey
Wrong about Japan. Eine Tokyoreise
Aus dem Englischen von Eva Kemper.
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2005. 142 S., 17,90 €

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