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Der Völkerbund - Deutschlands Austritt ebnete den Weg in den Krieg

1933 verließ Deutschland den Völkerbund. Adolf Hitler gewann so den entscheidenden Spielraum, um Wirtschaft und Politik auf einen Krieg vorzubereiten

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Blom, Philipp

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Dieser Artikel erschien zuerst in der Oktober-Ausgabe des Cicero. Das Magazin für politische Kultur erhalten Sie am Kiosk oder direkt hier im Online-Shop.

 

 

 

Harry Graf Kessler notierte am 14. Oktober 1933 in sein Tagebuch: „Die Nachmittagszeitungen bringen die Nachricht, dass die Hitler-Regierung ihren Austritt aus dem Völkerbund und der Abrüstungskonferenz proklamiert. Das hat hier und, wie es scheint, auch in London wie eine Bombe eingeschlagen. In der Tat ist es das folgenschwerste europäische Ereignis seit der Ruhrbesetzung. Es kann in kurzer Zeit zur Blockade Deutschlands und vielleicht zum Krieg führen.“

Die Notiz zeugt von einem scharfen Auge und von Angst. Die Stimmung in Deutschland allerdings hatte Kessler damit nicht beschrieben, denn er lebte schon im Pariser Exil. Während Paris und London besorgt waren, feierte man in Berlin und München. Hitlers Austritt aus dem 1919 gegründeten Völkerbund war tatsächlich ein wichtiger Schritt, mit dem die nationalsozialistische Regierung die Bedingungen des Vertrags von Versailles fast völlig aushebelte.

Erst 1926 war Deutschland in den Völkerbund aufgenommen worden und bemühte sich gleich, die durch den Krieg zerstörten Beziehungen zu anderen Partnern zu normalisieren. Dabei forderte auch die Weimarer Republik immer wieder, von allen Rüstungsbeschränkungen, die ihr in Versailles auferlegt worden waren, befreit zu werden. Großbritannien und Frankreich stellten ihr in Aussicht, das Ziel bald zu erreichen. Nach der Wahl der Nationalsozialisten im Januar 1933 aber zogen sich die Verhandlungspartner zurück. Sie misstrauten der neuen deutschen Regierung. Eine Gleichstellung Deutschlands schien in weite Ferne gerückt. Hitler nutzte diese Situation, um Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund zu verkünden. Es war eine riskante Strategie.

Die NSDAP musste Erfolge liefern

Nach der Wahl brauchte die NSDAP schnelle wirtschaftliche Erfolge. Der Austritt erlaubte ihr und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, die deutsche Wirtschaft durch Investitionen auf Pump wieder anzukurbeln. Hitler hatte sein Ziel schon definiert: Die gesamte Industrie sollte direkt oder mittelbar der militärischen Aufrüstung dienstbar gemacht werden. Um das aber zu erreichen, musste Deutschland die Abrüstungsverhandlungen und Kontrollmechanismen des Völkerbunds verlassen.

Jetzt war der Weg frei, in Schwerindustrie, Autobahnen und Rüstungsgüter zu investieren und bei der Bevölkerung den Anschein zu erwecken, die neue Regierung sei wirtschaftlich kompetenter als die Weimarer Republik. Tatsächlich aber brachte die massive defizitäre Finanzierung des wirtschaftlichen Aufschwungs nach 1933 das Land nicht nur ideologisch und logistisch einem bewaffneten Konflikt näher. Die enormen Ausgaben konnten letztlich nur durch einen siegreichen Krieg wieder hereingebracht werden. Deutschland hatte sich sozusagen zum siegreichen Feldzug gegen seine Nachbarn verpflichtet.

Mehrere deutsche Intellektuelle machten ihre Unterstützung des Austritts aus dem Völkerbund publik. Martin Heidegger gefiel sich in der Rolle des völkischen Denkers und gab sein Placet, der evangelische Pastor Martin Niemöller gratulierte Hitler, und Gerhart Hauptmann trompetete: „Ich sage Ja!“ Fast gleichzeitig schrieb er einem jüdischen Bekannten in dessen Exil, er „nehme an, Sie kommen bald wieder nach Deutschland: Sie sollten es unbedingt tun.“ Sein früherer Freund, der nach London emigrierte Kritiker Alfred Kerr, war angewidert. „Es gibt seit gestern keine Gemeinschaft zwischen ihm und mir, nicht im Leben und nicht im Tod“, schrieb er. „Dornen sollen wachsen, wo er noch hinwankt … Hauptmann schmeichelt dem Raubgesindel.“

Der Völkerbundsaustritt war die Vorbereitung auf den Krieg

Hitlers Maßnahme wurde in Deutschland mit Begeisterung aufgenommen. Gleichzeitig musste die Regierung aber mit großer Vorsicht vorgehen. Wie Kessler richtig gesehen hatte, konnten Deutschlands Alleingang und die zunehmende Provokation jener Mächte, die es nur 15 Jahre zuvor besiegt hatten, zu einem Krieg führen, den Hitler jetzt noch um jeden Preis vermeiden wollte. Weder die Armee noch die Rüstungsindustrie waren hierfür bereit. Er musste beschwichtigen und tat es in einer Rundfunkansprache am 14. Oktober, dem Tag des Austritts: „Möge es dieser gewaltigen Friedens- und Ehrkundgebung unseres Volkes gelingen, dem inneren Verhältnis der europäischen Staaten untereinander jene Voraussetzung zu geben, die zur Beendigung nicht nur eines jahrhundertelangen Haders und Streits, sondern auch zum Neuaufbau einer besseren Gemeinschaft erforderlich ist.“

Die Regierung war sich sicher, dass die Entscheidung zum Austritt aus dem Völkerbund im eigenen Land populär sein würde. Sie täuschte sich nicht. Sie kombinierte die Neuwahlen zum Reichstag mit einer Volksbefragung über den Austritt. Das Datum war sorgfältig gewählt. Die Wahl fiel auf den 11. November 1933, den Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, der von vielen Deutschen als Tag der Demütigung und der nationalen Schande angesehen wurde. Jetzt erhielten die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, sich von dieser Schande reinzuwaschen. Die 95-prozentige Zustimmung war nicht nur eine Konsequenz der umfassenden politischen Gleichschaltung, sondern wohl auch ein Ausdruck echter Genugtuung vonseiten der Wähler.

Hitlers Austritt aus dem Völkerbund bereitete das Land auf einen Krieg vor. Die Rüstungspolitik und die einseitige Ausrichtung der Wirtschaft machten Krieg auch zur ökonomischen Notwendigkeit. Der Konflikt war nur eine Frage der Zeit. Inzwischen musste die NS-Regierung taktisches Geschick beweisen, um ihre Gegner nicht vorzeitig zu provozieren, gleichzeitig aber auf das große Ziel hinzuarbeiten. Ironischerweise war der erste beschwichtigende außenpolitische Akt der deutschen Regierung dann 1934 ein Nichtangriffspakt mit Polen. Von ihm bis zur Invasion Polens fünf Jahre später lief ein Mechanismus ab, der am 14. Oktober 1933 in Gang gesetzt worden war.

In der Serie „1933 – Unterwegs in die Diktatur“ sind bisher erschienen:

Die Gleichschaltung: Als Deutschland die Demokratie überwand

Die Machtergreifung: Religion der Brutalität

Der Reichstagsbrand: Republik unter Feuer

Das Ermächtigungsgesetz: Als Deutschland die Demokratie verlor

Die Bücherverbrennung: Das Ende des Landes der Dichter und Denker

Die Volkszählung 1933: Die statistische Grundlage für den Holocaust

Das Reichskonkordat: Fauler Handel mit der Kirche

Der Volksempfänger: Das Propagandawerkzeug der Nazis

DIe Reichskulturkammer: Die Gunst war wichtiger als die Kunst

Der Völkerbund: Deutschlands Austritt ebnete den Weg in den Krieg

 

Philipp Blom ist Historiker und Autor. Seine Bücher „Der taumelnde Kontinent“ und „Böse Philosophen“ wurden mehrfach ausgezeichnet

 

 

 

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