- Pro und Contra als ethische Grundsatzfrage
Frage des Tages: Der Bundestag entscheidet heute, ob Embryonen auf Gendefekte untersucht werden dürfen. Was steht auf dem Spiel?
Es ist eine ethische Grundsatzentscheidung. Denn es geht um nichts Geringeres als das Leben – in seinem frühesten Stadium. Der Bundestag muss an diesem Donnerstag darüber entscheiden, ob die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland zugelassen oder verboten wird. Es handelt sich um eine Methode, bei der Ärzte im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung untersuchen, ob genetische Defekte in einem Embryo vorliegen. Seit Langem wird über dieses Thema heftig diskutiert. Heute liegen dem Bundestag dazu drei verschiedene, parteiübergreifende Anträge vor.
Wie erfolgt Präimplantationsdiagnostik?
Zunächst werden Eizellen in der Petrischale befruchtet.
Nach vier bis fünf Tagen entnimmt man Zellen aus dem Embryo für die genetische Analyse. Man wartet so lange, weil der Embryo zu diesem Zeitpunkt das Achtzell-Stadium überschritten hat und damit aus jeder einzelnen seiner Zellen kein eigener lebensfähiger Organismus mehr entstehen kann. Das hat zudem den Vorteil, dass das Risiko von Schäden am Embryo durch die Zellentnahme geringer ist. Allerdings müssen unter Umständen Embryonen eingefroren werden, weil der Zeitpunkt für die Einpflanzung überschritten wird. Das wiederum erhöht die Gefahr, dass Embryonen absterben. Im Ausland werden Embryonen bereits im Achtzell-Stadium untersucht.
Für welche Fälle ist die PID geeignet?
Die PID soll Paaren mit einem hohen genetischen Risiko für schwerwiegende Erkrankungen zu einem gesunden Kind verhelfen. Die Bundesärztekammer schätzt, dass jedes Jahr 200 Paare für die PID infrage kommen. Wirklich schwanger nach einer PID wird jedoch nur etwa jede vierte Frau, das entspricht der Erfolgsrate der „normalen“ künstlichen Befruchtung.
Für die PID kommen sowohl chromosomale als auch genetische Störungen infrage. Häufig sind Umlagerungen des genetischen Materials auf den Erbträgern (Chromosomen), Translokationen genannt, Anlass für eine PID. Nicht geeignet für eine PID ist das Down-Syndrom, bei dem das Chromosom 21 dreimal statt zweimal im Erbgut der Zelle enthalten ist.
Die andere große Gruppe sind Krankheiten, die durch einzelne defekte Gene ausgelöst werden. In Nordeuropa ist häufig Mukoviszidose, eine schwere Erkrankung der Atemwege, Anlass für eine PID, in Südeuropa die Beta-Thalassämie, eine angeborene Form der Blutarmut. Weitere Gründe für einen Gentest am Embryo sind vererbter Muskelschwund, das Nervenleiden Chorea Huntington und die Hämophilie (Bluterkrankheit). In Großbritannien wird mittlerweile auch nach dem Brustkrebsgen BRCA1 gefahndet, deren Trägerinnen häufig bereits in jungen Jahren an Brustkrebs erkranken – allerdings nicht immer. In einigen Ländern ist es anders als in Deutschland auch erlaubt, das Geschlecht zu ermitteln. Jedoch ist die Zahl der Fälle gering, sagt der Reproduktionsmediziner Heribert Kentenich von den DRK-Kliniken Berlin-Westend.
Kann die PID zum Designerbaby führen?
PID-Experte Kentenich hält dies für praktisch ausgeschlossen. Denn „erwünschte“ Eigenschaften wie Intelligenz, Körpergröße oder gutes Aussehen sind an viele Gene gekoppelt, von denen kaum etwas bekannt ist. Ähnliches gilt für die genetische Veranlagung für häufige Leiden, etwa die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) oder Krebs. „Wir haben kein Instrument, um so etwas vorherzusagen oder zu testen“, sagt Kentenich. Hinzu kommt, dass eine vererbte Anlage für chronische Leiden wie Diabetes meist erst dann ausbricht, wenn der entsprechende Lebensstil hinzukommt, etwa Überernährung. „Wer vom Designerbaby redet, will in der Bevölkerung lediglich Ängste schüren“, sagt Kentenich.
Wie wird Leben in der Rechtsordnung geschützt?
Die Menschenwürde ist unantastbar, legt das Grundgesetz fest. Das Recht auf Leben kann dagegen eingeschränkt werden. Anerkannt ist, dass neues menschliches Leben aus biologischer Sicht mit Verschmelzung von Samen- und Eizelle beginnt. Doch wie es geschützt ist, wird abgestuft, je nachdem ob es sich um einen ungeborenen Embryo handelt oder um ein geborenes Kind. Die Tötung des Ungeborenen ist nach Einnistung in die Gebärmutter nach dem Abtreibungsparagrafen strafbar. Die Sanktion ist jedoch milder als für Totschlag oder Mord. Die Keimzelle (Blastozyste) ist in vitro wiederum besser geschützt als in utero. Für Leben in der Petrischale gilt das Embryonenschutzgesetz (ESchG), die Keimzelle vor der Einnistung im Leib der Mutter wird von keinem Gesetz erfasst. Der Einsatz sogenannter Nidationshemmer („Pille danach“) ist deshalb straflos.
Was sagt das Embryonenschutzgesetz zur PID?
Wörtlich nichts. Die heute übliche Technik der Blastozystenbiopsie, die ohne Substanzeinwirkung auf den Embryo auskommt, war bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes noch nicht bekannt. Wörtlich verboten ist nach dem Gesetz nur, Embryonen zu anderen Zwecken als für eine Schwangerschaft zu erzeugen oder zu verwenden.
Vielfach ist zu lesen, die PID sei dem Embryonenschutzgesetz zufolge „verboten“ gewesen, bis der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Verbot am 6. Juli 2010 „gekippt“ haben soll. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine verbreitete Rechtsmeinung, die aber keineswegs unbestritten war. Es gab nur bis dahin kein höchstrichterliches Urteil. Erst eine Selbstanzeige des Berliner Kinderwunscharztes Matthias Bloechle führte zur BGH-Entscheidung. Bloechle wollte Rechtssicherheit für seine Therapie, und die Richter gaben sie ihm. Ihr Hauptargument: Auch dem Arzt und seinen Patienten gehe es um eine Schwangerschaft, nicht um Aussonderung und Tötung.
Was geschieht, wenn kein Gesetz zustande kommt?
Dann gilt die Entscheidung des BGH – und die PID bleibt grundsätzlich straflos. Zu beachten ist allerdings, dass damals nur ein Einzelfall beurteilt wurde. Die Richter nutzen den Fall aber, um abstrakte Leitsätze aufzustellen. So soll die PID nur erlaubt sein, wenn schwere Schäden am Embryo zu erwarten sind. Die Auswahl von Embryonen nach Immunitätsmustern, etwa um Organspenderbabys zu zeugen, soll weiterhin strafbar sein. Im Ergebnis läuft die Rechtsprechung des BGH auf die jetzt dem Bundestag angebotene Lösung einer begrenzten Zulassung hinaus.
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