- Auch Willkommenskampagnen sind Kampagnen
Kisslers Konter: Der Eindruck ist weitverbreitet, Medien und Politik betrieben in der Flüchtlingskrise eine gemeinsame Kampagne. Armin Laschet (CDU) gab diesem Argwohn neue Nahrung. Die Wirkung ist verheerend. Aus der doppelten Krise könnte ein Staatsversagen werden
Im Abwärtstrend, der zum Sturz zu werden droht, passt derzeit kein Blatt zwischen Medien und Politik. Beiden wird derart rapide von den Bürgern das Vertrauen entzogen, dass Medienkrise und Politikkrise sich zum Staatsversagen ausweiten könnten. Merkels unglückselige Flüchtlingspolitik schwebt als Damoklesschwert über beiden – und dass es noch schwebt, ist die beste verfügbare Nachricht. Immer mehr verfestigt sich bei vielen Mediennutzern der Eindruck, hier stillten zwei gleichermaßen von der Realität abgekoppelte Kasten ihr Machtverlangen auf dem Rücken der Bevölkerung.
Der Staat gibt vor - der Staatsfunk vollzieht
Zu diesem verheerenden Eindruck tragen beide Akteure gleichermaßen bei. Das hat sich nun durch zwei maximal bedenkliche Aussagen gezeigt, von denen seltsamerweise nur eine skandalisiert worden ist. Nämlich jene einer WDR-Mitarbeiterin, die im niederländischen Rundfunk erklärte, die Journalisten im eigenen Haus seien „natürlich schon angewiesen, das ein bisschen pro-Regierung zu tun“ - und „das“ meint die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise, die in öffentlich-rechtlichen Anstalten „nun einmal in einer eher positiven Weise“ zu betrachten sei. Auf einen bösen Nenner gebracht: Der Staatsfunk vollziehe nach, was der Staat vorgebe. Der Versuch eines Zurückruderns zwei Tage später, gewiss nach sorgsamer Einnordung durch den Arbeitgeber, machte die Sache nur schlimmer. Der Anklagepunkt „Lügenpresse“ hat seitdem eine neue Kronzeugin.
Vielleicht noch bedenklicher war die Aussage Armin Laschets am selben Tag, dem 16. Januar. Merkels allertreuester Paladin, Vorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU, sagte bei deren Neujahrsempfang in Düsseldorf laut Agenturmeldung: Die Medien hätten im vergangenen Sommer eine „breite Willkommenskampagne für Flüchtlinge“ gestartet. Lobend erwähnte Laschet diesen Umstand, und um zu verdeutlichen, dass nicht allein und vielleicht nicht einmal ursächlich Angela Merkel „diesem Rausch“ – auch das sagte Laschet wörtlich – anheimgefallen sei.
Berichterstattung zur Flüchtlingskrise wirkte kampagnenhaft
Dreierlei folgt aus Laschets Bemerkungen zur Lage der Nation: Politik und Medien ziehen am selben Strang, die Medien lancieren eine Kampagne, die Politik begrüßt diese Kampagne. Jede These hebelt das klassische Verhältnis von Politik und Medien aus. Wenn beide Parteien sich nicht mehr im kritischen Gegenüber finden, sondern vereint in der Sache, implodiert die Kontrollfunktion der Medien ebenso wie das Neutralitätsgebot. Wenn Medien gemeinsam im Rausch eine Kampagne starten, funktioniert der Binnenpluralismus nicht mehr, schnurrt das Meinungsspektrum zusammen zu der einen Meinung, die identisch ist mit der politischen Leitlinie; das wäre letztlich Regierungsjournalismus. Und wenn drittens die Spitze der Politik sich in ein gönnerhaftes Verhältnis zu den Medien setzt, Zensuren verteilt, sie lobt und so sich selber auf die Schultern klopft, dann ist die Kungelei perfekt. Dann gibt es wirklich, was Kritiker und Verschwörungstheoretiker schon lange argwöhnen, die „politisch-mediale Klasse“ als einen monolithischen Block. Dann wäre die Wahlenthaltung an der Urne derselbe Akt des Widerstands wie die Kaufenthaltung im Zeitschriftenladen.
Stimmt die ungeheuerliche Diagnose Laschets? Die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise, vor allem in öffentlich-rechtlichen Medien, hatte in der Tat kampagnenhafte Züge. Es schien nur das eine Drehbuch zu geben, in dem jede und jeder, der die Grenze illegal überquerte, zu einem Held stilisiert wurde, mitunter auf quasireligiöse Weise. Wer noch im Dezember zwei entscheidende Fragen stellte – die nach den Folgekosten und die nach dem prinzipiellen Warum –, wurde umstandslos in den Vorraum der Volksverhetzung verwiesen. Es gab nur Schwarz oder Weiß, nur Gut oder Böse, und gut waren die Kommenden und böse alle Eingesessenen, die sich dem Kindergeburtstagsmotto „Refugees welcome“ nicht sofort anschlossen. Die aus angeborener Nachdenklichkeit erklärten, sie hätten da noch ein Frage. Doch es sollte nicht die Zeit des Fragens und Zweifelns sein, es musste geklatscht werden.
Nicht nur Menschenfreunde und Ärzte unter Flüchtlingen
Dieser unangenehm bevormundende Ton wird heute fast nur noch von „heute“ und „heute-journal“ und Angela Merkel gepflegt. Seit Silvester, seit drei Wochen erst, hat sich die Debattenlage komplett geändert. Nun wollen eigentlich alle, einschließlich der Grünen, es schon immer gewusst haben, dass da nicht nur Menschenfreunde und Ärzte und nicht nur Flüchtlinge, die den Namen verdienen, herein marschieren, und dass die Kapazitäten endlich sind. Die Realität lädt zum Rückspiel gegen die Ideologie. Der Rausch ist vorbei, der Kater da.
Ob Politik und Medien etwas daraus lernen werden? Dagegen spricht die erfolgreiche Gängelung des Südwestrundfunks, der auf Betreiben einer roten Landesmutter und eines grünen Landesvaters im Mainzer wie Stuttgarter Landtagswahlkampf die AfD aus der „Elefantenrunde“ im Fernsehen ausschloss. Vom schlechten Beispiel aus dem Südwesten ließ sich nun der MDR leider inspirieren und versperrte der AfD ebenfalls die Tür. Für eine Lernfähigkeit spricht immerhin die Normativität des Faktischen: Medien wie Politik haben ein Akzeptanzproblem, das sich zur geschäftsschädigenden Absatzkrise auswachsen wird, sofern das Wolkenkuckucksheim der frommen Denkungsart nicht subito verlassen wird. Spätestens, wenn die Quoten abstürzen, der Verkauf einbricht, die Wahlbeteiligung kollabiert, werden Politik und Medien merken, dass man von hehren Absichten und Wirklichkeitsbeugung nicht leben kann.
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