- Jürgen Theobaldy: Immer wieder alles
Kann ein Pferd lachen? Ja, lautet die berühmte Antwort auf diese Frage von Robert Musil – natürlich nicht über Witze, doch wenn man es an der richtigen Stelle kitzelt… Dass sich der Mensch durchs Lachen vom Tier unterscheidet, ist ein alter Hut. Ebenso die Beobachtung, dass schlechte Dichter es lieben, Katzen, Bäume oder auch Wolken beiläufig mit menschlichen Eigenschaften auszustatten.
Kann ein Pferd lachen? Ja, lautet die berühmte Antwort auf diese Frage von Robert Musil – natürlich nicht über Witze, doch wenn man es an der richtigen Stelle kitzelt… Dass sich der Mensch durchs Lachen vom Tier unterscheidet, ist ein alter Hut. Ebenso die Beobachtung, dass schlechte Dichter es lieben, Katzen, Bäume oder auch Wolken beiläufig mit menschlichen Eigenschaften auszustatten. Und da kommt ein namhafter Lyriker wie Jürgen Theobaldy daher und eröffnet sein neues Buch mit Versen über ein Pferd: «Hinter seinem Stirnbein toben / die Schlachten, denen es entkam.» Kann sich ein Pferd an Schlachten erinnern?
In seinen fast reimlosen Gedichten versucht Theobaldy, den sprachlosen Kreaturen so nahe wie möglich zu kommen: «Mit einer Hand voll Gräsern / lockst du es weg vom Gras.» Es ist ein Leichtes, sich mit solchen Natur-Gedichten lächerlich zu machen, auch wenn die Pferde in ihnen nicht gerade kichern. Bei Theobaldy gibt es allerdings keine abgegriffenen Bilder, keine unbeholfenen Psychologisierungen, kein falsches Pathos. So lässt er z. B. die Möwen, die bei Durchschnittspoeten wie keifende Hexen am betongrauen Stadthimmel kreisen könnten, ganz einfach nach Weißbrot schreien. Theobaldys Gedichte zeichnen sich durch virtuos eingesetzte Lakonik aus, und im Grunde drehen sie sich alle um ein Thema: Vers für Vers wird vorgeführt, dass die Wahrnehmung des Nicht-Menschlichen immer sprachlich vermittelt ist. Unsere Wirklichkeit ist die Wirklichkeit unserer Kommunikation. Und doch oder gerade deshalb besticht diese Lyrik durch scheinbar unverfälschte Beobachtungen: «Der geschmeidig flinke Lauf von Nuss / zu Korn, das Kullern fast der Pfoten, / das Rascheln dort, wo Vorrat liegt. // Ich schreibe nie mehr hin: geschmeidig, / wenn es den Kopf in die Höhe hebt …» Selbstverständlich kann ein solcher Balanceakt zwischen Kontemplation und Sprachbewusstsein nicht immer gelingen. Aber die Frequenz der lyrischen Volltreffer in diesem schlanken Band ist ungewöhnlich hoch. Und schließlich gibt Theobaldy seinen Lesern auch für den Umgang mit weniger überzeugenden Strophen einen Tipp. Sein vielleicht schönstes «Tier»-Gedicht trägt den schlichten Titel «Arbeit mit Papier». Es ist sechs Verse lang und geht so: «Aus jedem Gedicht kannst du / eine Schwalbe machen. // Du musst es aber richtig falten. // Aus jedem Gedicht, hörst du, / auch aus dem missglückten. // Nun denke dir den Himmel dazu.»
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