Männer beten am 27.05.2015 in Hanau (Hessen) bei der Eröffnung der neu fertiggestellten Bait-ul-Wahid Moschee der Ahmadiyya Muslim Jamad-Glaubensgemeinschaft (AMJ).
Bilder wie diese werden seltener, immer mehr Muslime bezeichnen sich eher als „Kulturmuslime“ / picture alliance

Islam - Die Säkularisierung als Symptom der Krise

Entgegen der Angst vor einer Islamisierung ist der Islam weltweit auf dem Rückzug. Immer weniger Muslime leben ihren Glauben aktiv aus. Das belegen Zahlen, die der Religionswissenschaftler Michael Blume für sein aktuelles Buch gesammelt hat

Michael Blume

Autoreninfo

Dr. Michael Blume ist Religions- und Politikwissenschaftler. Der evangelische Christ ist mit einer Muslimin verheiratet und leitet das Referat »Nichtchristliche Religionen, Werte, Minderheiten und Projekte Nordirak« im Staatsministerium Baden-Württemberg.

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Viyan und ich müssen lachen. Gerade haben wir im Kreise einiger Freunde unser Essen bestellt. Ich, der Christ, habe dabei aus Rücksicht auf meine muslimische Ehefrau auf Schweinefleisch verzichtet. Viyan dagegen hat Schweinefleisch bestellt, obwohl sie aus einer muslimischen Familie stammt und in den deutschen Statistiken noch immer als „Muslimin“ geführt wird. Sie ärgert sich auch immer wieder darüber, aufgrund ihrer „orientalischen“ Haut und Haare von Fremden als Muslimin angesehen oder gar auf Arabisch oder Türkisch angesprochen zu werden. Denn Viyan schließt nicht aus, dass es einen Gott geben könnte. Sie ist sich aber inzwischen sehr sicher, dass dessen Worte nicht im Koran zu finden sind. Und sie versteht sich als Deutsche, die ihre kurdische Herkunft und Herkunftssprache nicht leugnet, aber auch nicht darauf reduziert werden mochte. Einem Teil ihrer Familie würde sie all dies aus Höflichkeit und zur Vermeidung von Ärger nie sagen; umso mehr genießt sie es, im Kreise von Freunden auch als Agnostikerin akzeptiert zu sein.

Säkularisierung durch Krieg

Es gibt längst Millionen von „Muslimen“ wie sie. So ergab eine Befragungsstudie für die Deutsche Islamkonferenz (DIK) im Jahre 2009, dass nur noch eine Minderheit von 33,9 Prozent der „Muslime“ in Deutschland angab, täglich zu beten – geschweige denn fünf Mal täglich. 15,3 Prozent beteten ein „paar Mal im Jahr“ und 20,4 Prozent „nie“. Entsprechend äußerten sich 15 Prozent der Antwortenden als „nicht“ oder „eher nicht“ gläubig. Und diese Prozentangaben sind noch deutlich untertrieben – denn bei der freiwilligen Befragung wurden naturgemäß nur jene als „Muslime“ gewertet, die sich selbst als solche bezeichnet hatten.

Auch der deutsch-pakistanische Islam- und Politikwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza vermerkt ein schnelles Anwachsen des Atheismus und auch Antitheismus unter ehemaligen Muslimen, das durch die digitalen Medien noch befeuert werde. Er sieht dabei Parallelen zu den europäisch-christlichen Konfessionskriegen nach der Reformation: „Ähnlich wie in Europa, konnte das Fanal religiöser Gewalt den Weg für eine zunehmende Säkularisierung und Verdrängung von Religion ebnen. Schon jetzt beobachtet man in der muslimischen Welt die ersten Sprösslinge dieser Entwicklung: In Tunesien und Ägypten bekennen sich Menschen öffentlich zum Atheismus. In den sozialen Netzwerken entstehen atheistische Foren, diese sind zu Logen und Treffpunkten dieser im Netz wachsenden Bewegung geworden, die im IS keine Pervertierung des Islam erblickt, sondern einen Zusammenschluss von Muslimen aus der ganzen Welt mit dem Ziel, den Islam zu verwirklichen. Deshalb müsse die Religion überwunden werden.“

Kultureller Islam

Auch die Journalistin Karen Krüger stieß schon zu Beginn ihrer „Reise durch das islamische Deutschland“ im eigenen Freundeskreis auf dieses Phänomen: „Einige schlugen vor, ich solle sie nicht als Muslim, sondern als ‚Kulturmuslim‘ bezeichnen, nicht als religiös, sondern als spirituell.“ Dazu passt, dass der Anteil derjenigen „Muslime“ schnell wächst, die verschiedene religiöse Traditionen nach eigenem Entschluss kombinieren. „Ich greife für mich selbst auf Lehren verschiedener religiöser Traditionen zurück“, hatten beim „Religionsmonitor“ 2008 schon 33 Prozent der teilnehmenden Muslime bekundet; beim Religionsmonitor 2013 waren es bereits 42 Prozent. Das mag kaum den Lehren traditioneller islamischer Religionskritiker (Ulema) entsprechen, doch es entspricht der Lebensrealität und den Wünschen von immer mehr vor allem jüngeren Menschen muslimischer Herkunft.

Ergebnisse einer emnid-Befragung von 2016 im Auftrag einer Forschungsgruppe der Universität Münster unter Türkeistämmigen in Deutschland haben diese Beobachtungen inzwischen bestätigt. So sank der Anteil der Türkeistämmigen, die nach eigenen Angaben wöchentlich eine Moschee oder ein alevitisches Gebetshaus (Cem-Haus) besuchten, von 32 Prozent bei denen, die selbst zugewandert sind, auf 23 Prozent bei denen, die bereits in Deutschland geboren wurden. Doch als „tief“ oder „eher“ religiös bezeichneten sich 72 Prozent der in Deutschland geborenen Deutschtürken gegenüber nur 62 Prozent der aus der Türkei Zugewanderten. Die Münsteraner Forschungsgruppe schloss daraus: „Möglicherweise spiegeln die Antworten auf diese Frage weniger die ‚tatsächlich gelebte‘ Religiösitat wider als vielmehr ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft.“

Übernahme westlicher Werte

Gegenüber den oft formulierten Ängsten vor einer „fortschreitenden Islamisierung“ wird auch hier deutlich, dass die traditionell-strengen Gebote im Namen des Islams immer seltener befolgt werden: Während noch 27 Prozent der selbst aus der Türkei Zugewanderten meinen, Muslime sollten einem Menschen des anderen Geschlechts nicht die Hand schütteln, denken dies nur noch 18 Prozent der bereits in Deutschland Geborenen. Auch der Anteil der muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, ging entsprechend von 41 Prozent unter den Zugewanderten auf 21 Prozent unter den in Deutschland Geborenen zurück.

Auch internationale Daten zeigen die wachsende Kluft zwischen dem öffentlich bekundeten „eigentlichen“ Islam und der Lebensrealität der „Muslime“, die sich zunehmend ihre eigenen Gedanken machen. In der bereits erwähnten Pew-Studie von 2013 bejahten die Befragten die Frage, ob ihr eigenes Leben denn der Überlieferung des Propheten Muhammad (der Sunna und den Hadithen) entspreche, bereits sehr unterschiedlich. So waren noch 75 Prozent der Afghanen der Auffassung, in ihrer Lebensführung entspreche „viel“ der Sunna und den Hadithen, und immer noch 22 Prozent fanden, dies sei „wenig“ der Fall, was eine Summe von stolzen 97 Prozent ergibt. Unter den Türken ordneten sich nur noch 33 Prozent bei einem „viel“ ein und immerhin noch 43 Prozent meinten, ihr Leben entspreche den islamischen Überlieferungen „wenig“, Summe: 76 Prozent. In europäisch-islamischen Ländern wie Albanien sanken die Anteile schließlich auf 20 Prozent (sieben Prozent „viel“, 13 Prozent „wenig“).

Ein letztes Aufbäumen

Auch der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler und erklärte Ex-Muslim Hamed Abdel-Samad schreibt über dieses Phänomen. Er hatte bereits 2010 beobachtet: „Was den Islam betrifft, mag er in seinem jetzigen Zustand alles Mögliche sein, nur eines ist er meines Erachtens gewiss nicht: Er ist nicht mächtig. Er ist im Gegenteil schwer erkrankt und befindet sich sowohl kulturell als auch gesellschaftlich auf dem Rückzug. Die religiös motivierte Gewalt, die zunehmende Islamisierung des öffentlichen Raums und das krampfhafte Beharren auf der Sichtbarkeit der islamischen Symbole sind nervöse Reaktionen dieses Rückzugs. […] Es handelt sich nur um das verzweifelte Anstreichen eines Hauses, das kurz davorsteht, in sich zusammenzustürzen. Aber auch der Zusammenbruch eines Hauses bleibt gefährlich, und das nicht nur für seine Bewohner.“

Tatsächlich verdecken also die offiziellen Statistiken, die „geborene“ Muslime mit beitragszahlenden Kirchenmitgliedern vergleichen, den massiven Glaubens- und vor allem religiösen Praxisverlust in der islamischen Welt. Während die Säkularisierung in den christlich geprägten Gesellschaften mit jeder nicht vorgenommenen Taufe und mit jedem Kirchenaustritt vollzogen wird, werfen die Angaben zu „Muslimen“ religiös Fromme und Engagierte mit religionskritischen Agnostikern und Atheisten islamischer Herkunft in den gleichen Topf.

Während ein konfessionsloser Pegida-Demonstrant in Dresden durch das Tragen eines schwarz-rot-goldenen Kreuzes und das Ablesen eines Weihnachtsliedes noch lange nicht zum Christen wird, gelten – und verstehen sich – Millionen Araber, Türken und Kurden als Muslime, auch wenn sie seit Jahren kein Gebet mehr gesprochen und keinerlei finanzielle Beitrage mehr an Religionsgemeinschaften entrichtet haben. Dem irakischen Soziologen Ali Al-Wardi (1913–1995) wird ein Zitat zugeschrieben, das die krisenhafte Widersprüchlichkeit gut auf den Punkt bringt: „Wenn die Araber zwischen einem religiösen und einem säkularen Staat wählen könnten, so würden sie den religiösen wählen und in den säkularen fliehen.“

Buchcover "Islam in der Krise"Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch „Islam in der Krise“ von Michael Blume. Das Buch erschien am Ende August im Patmos Verlag, 192 Seiten, 19 Euro.

 

 

 

 

 

 

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Stefan Zotnik | Do., 14. September 2017 - 10:44

Sehr geehrter Herr Blume,

mein Eindruck ist ein anderer.

Auch wenn man Constantin Schreibers Beobachtungen, die er in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit IN DEN Moscheen in Deutschland machte und in seinem Buch "Inside Islam" in diesem Jahr veröffentlichte, muss man quasi zu einem anderen Bild des Islam in Deutschland kommen.

Die Moscheen sind teilweise mehrfach täglich zum Bersten gefüllt.
Und zwar nicht mit Alten, sondern mit jungen Leuten.
Und wenn man dann noch weiterliest und sich anschaut, was in diesen übervollen Moscheen in die Köpfe der jungen Muslime getrichtert wird,
kann ich Ihre "Islamkrise" nicht nachvollziehen.

Die Krise, wie Sie sie skizzieren, klingt ja irgendwie nach der Entwicklung klingt, die das Christentum durchgemacht hat und empfände ich erstmal als positiv.
Aber ganz im Ernst, ich glaube das nicht.

Sehr geehrter Herr Zotnik,

wie der Titel des Buches schon sagt, beobachte und beschreibe ich sowohl die (nicht selten bereits völlig vollzogene) Säkularisierung eines Großteils der Muslime ebenso wie die Radikalisierung einer verschwörungsgläubigen Minderheit, v.a. im Salafismus. In einzelnen Fällen haben wir sogar zerrissene Personen, die zwischen diesen Weltdeutungen hin und her schwanken.

Das Buch "Inside Islam" von Constantin Schreiber zitiere ich nicht nur, sondern nehme ihn auch vor mancher Kritik in Schutz. M.E. sollte es mehr Stichproben und Übersetzungen von Predigten geben, um den realen Zustand der Moscheegemeinden transparenter zu machen.

Vielen Dank für Ihre sachliche Frage, mit freundlichen Grüßen!

ingrid Dietz | Do., 14. September 2017 - 10:57

Die angeblich wenigen Muslime, die ihren Glauben aktiv ausleben, fallen zumindest in der westlichen Welt immer wieder "negativ" auf ! Entweder wird "gefordert" - dann geklagt und schließlich kommt die "Rassismus-Keule" !
Die Anbiederung der Politik und der Politiker an bestimmte Religionsgruppierungen ist schon lange nicht mehr nachvollhziehbar! Siehe Überbietungswettbewerb der einzelnen Bundesländer betr. Ausnahmegenehmigungen !

Auf die muslimischen Terroristen will ich erst gar nicht eingehen !

Nein, der Islam gehört nicht zu Europa und schon garnicht zur BRD !

Christa Maria Wallau | Do., 14. September 2017 - 11:19

Es ist durchaus verständlich und nachvollziehbar, daß - ähnlich wie bei den Christen - dem Islam das Schicksal einer zunehmenden Entfremdung einer großen Zahl von "Gläubigen" von den mohammedanischen Lehren droht. Die
Anzahl der Atheisten und Agnostiker wächst.
Allerdings darf dies nicht zu dem Schluß verleiten,
in der Machtfrage zwischen den Religionen, die ja die jeweiligen Kulturen entscheidend geprägt haben und weiterhin prägen, würden die lauen Muslime sich im Zweifelsfall auf die Seite der lauen Christen stellen. In einem Kampf - auch in einem Kulturkampf - gewinnen immer die zu allem
Entschlossenen, die Eiferer. Und die befinden sich weiterhin eindeutig auf Seiten der Muslime. Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben.
Der Islam hat noch viele Jahre einer Aufklärung
mit allen entsprechenden Rückschlägen vor sich.

Josef Garnweitner | Do., 14. September 2017 - 15:12

Antwort auf von Christa Maria Wallau

im Iran die Wende vom Schah- zum Khomenieregime erlebt. Die Gesellschaft war offen und westlich orientiert. Besonders die Studenten und -innen waren sehr frei. Jeans und Miniröcke gehörten zum Straßenbild. Da hat gar keiner mehr hinterher geguckt. Ebenso wie Pubs und Cafes.

Genau bis zu dem Tage als Khomenie kam. Und am fanatischten waren die Studentinnen, die von einem Tag zum anderen tief verschleiert mit in die Luft gereckten Fäusten durch Teheran liefen und nur noch Khomenie, Khomenie geschrien haben.

Wir haben die Welt nicht mehr verstanden und auch von unseren persischen Partnern konnte uns keiner den Wandel erklären.

In Vorhersagen den Islam betreffend wäre ich sehr vorsichtig. Wie Sie, Frau Wallau, ja auch schreiben.

Rüdiger Tatus | Do., 14. September 2017 - 18:21

Antwort auf von Christa Maria Wallau

wird der "Abweichler" geächtet und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Es findet eine Selbstdisziplinierung statt. Der Nachschub von außen ist praktisch grenzenlos und "unendlich". Nachfolgegenerationen solidarisieren sich in ihrer Volks-und Glaubensgemeinschaft bei Verteilungskämpfen - und die stehen vor uns. Tief verwurzelte Traditionen/Mythen der Vergangenheit werden instrumentalisiert, um das "eroberte Terrain" zu verteidigen. Am Ende tritt eine Balkanisierung unseres Landes ein.- Wer den Tsunami am Horizont als Fata Morgana deutet, wird irgendwann überrollt.
Was nützt ein reformierter Islam in 100 Jahren den hier jetzt schon"noch" lebenden- "Deutsche" sind ja bereits im verordneten Sprachgebrauch (LQI, "Sprache des Vierten Reiches" ) im vorauseilenden Gehorsam längst ausgelöscht.- WEITERSO!
Wieviele Studien sollen uns noch irgendet was vor"gauckeln"? - Merkel sagte ja " wir werden auf die Probe gestellt" - Welche eigentlich? - Was ist, wenn wir sie am Ende nicht bestehen?

Dr. Michael Blume | Fr., 15. September 2017 - 11:21

Antwort auf von Christa Maria Wallau

Vielen Dank für diese interessante Unterdiskussion!

Erlauben Sie mir nur den Hinweis, dass gerade auch die Theokratie im Iran zu einem massiven Glaubensverlust unter Muslimen geführt hat. Konversionen zum Christentum und zu den Bahai, aber v.a. ein weit verbreiteter Atheismus werden bereits seit 2013 sogar in offiziellen, iranischen Medien beklagt. Bei der o.g. DIK-Studie bezeichneten sich 38 Prozent der Befragten iranischer Herkunft als konfessionslos und 10 Prozent als christlich - und über 30% derer, die sich noch als schiitische Muslime verstanden, gab an, "nie" zu beten. Mullahs haben in Teheran teilweise schon Schwierigkeiten, ein Taxi zu kriegen - so ramponiert ist der Ruf der Regimegeistlichkeit.

Josef Garnweitner | Fr., 15. September 2017 - 14:36

Antwort auf von Dr. Michael Blume

keine Kontakte mehr in den Iran, so daß ich - ebenso leider - nichts über den heutigen Iran weiß. Wir konnten uns nur damals nicht vorstellen, daß eine so radikale, also 18o Gradwende möglich sein könnte. Natürlich gab es Gründe, aber hier tiefer zu gehen, würde den zugestandenen Rahmen bei weitem sprengen.

helmut armbruster | Do., 14. September 2017 - 11:56

dieses besteht vielmehr darin, dass der Islam für einige als Basis für ihre Radikalisierung dient.
Und dass die "normalen" Muslime - einschließlich ihrer Imane und sonstigen Geistlichen - sich nicht laut und deutlich von dieser Radikalisierung distanzieren.
Das größte Problem ist aber wahrscheinlich Saudi-Arabien. Mit seinem wahabitischen Islamverständnis ist es vermutlich verantwortlichen für alle Arten von Radikalisierung, die wir heute in der islamischen Welt kennen.

Und genau diese Mittelalter-Saudis sind die engsten Kumpane der USA, - die z.B. wie üblich laut "Demokratie" und "Freiheit" zeterten, als in Ägypten das Militär das Land rettete und die dortigen fundamentalistischen "Muslimbrüder" wieder entmachteten.

Und u.a. zusammen mit England in Libyen den Fundamentalisten den Weg zur Macht freibombten. Unter dem Vorwand, "Zivilisten" und "Freiheitskämpfer" schützen zu wollen. Rußland und China stimmten sogar zu, - erklärten hinterher indes empört, noch einmal würden sie sich nicht derart hinters Licht führen lassen!

Als die Berufsbefreier dasselbe Spiel dann in Syrien versuchten, kam Putins bekannte Antwort! Die von den USA u.a. mit Waffen aufgepäppelten syrischen "Demokratischen Freiheitskämpfer" firmieren inzwischen übrigens unter dem Namen "IS"!

Lesestoff: Robert Baer, Sleeping With The Devil, How Washington Sells Our Souls For Saudi Crude (Deutsche Ausgabe: Die Saudi-Connection)Baer war früher CIA-Resident im Nahen Osten.

Genau deswegen behandelt ein eigenes Kapitel die fatale Rolle von Öl (und Gas) in der Region - Stichwort Rentierstaatstheorie.

Die Menschen in der Region wissen genau, dass wir einerseits den islamischen Radikalismus beklagen, andererseits ausgerechnet die extrem intoleranten Golfstaaten durch Öleinkäufe finanzieren und mit Waffen beliefern. Es braucht da keine Verschwörungsmythen, sondern nur ein wenig Politik- und Wirtschaftswissenschaft, um die fatalen Folgen unseres Energiemixes zu verstehen. Vielen Dank für Ihr berechtigtes Interesse an diesem Aspekt!

Maik Harms | Do., 14. September 2017 - 12:14

Ein zunehmendes Hinterfragen antiker bzw. mittelalterlicher Regeln, ein individuelles Auslegen religiöser Lehren auch im Islam wäre zu begrüßen. Bleibt das Problem der zu engen Verquickung von Staat und Religion (und Recht und Politik und Alltag), also die nicht nur innerliche, sondern auch die äußerliche Säkularisierung. Ohne diese bleibt die "islamische Welt" (sic!) auf Dauer eine Region der Verlierer.
Erstaunlich ist auch, dass zunehmend Muslime ihre eigene Religion bzw. deren Verfasstheit als Grund der Kriege, des Terrorismus und der Unterdrückung begreifen - eine Ansicht, die man im Westen immer reflexhaft von sich weist als "Islamophobie".

Oh ja, Herr Harms - sehr oft bin ich davor gewarnt worden, dem Islam eine Krise zu attestieren. So etwas seien Muslime nicht gewohnt, das gäbe Ärger.

Tatsächlich erlebe ich aber viel Zustimmung, sogar Erleichterung - denn selbstverständlich merken die Muslime auch selbst, dass sich Jüngere und vor allem Gebildete zunehmend seltener in den Moscheen blicken lassen. Zudem macht sich der "stille Rückzug" auch innerhalb der Familien bemerkbar. Romantisierte Islambilder und schlampige Statistiken verschleiern jedoch leider noch die Wahrnehmung des Säkularisierungsprozesses (neben dem sich jedoch auch eine Minderheit radikalisiert, auch das wird nicht verschwiegen).

Ralf Altmeister | Do., 14. September 2017 - 12:22

zu der Studie von Ruud Koopmans, Migrationsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB.
Nach AuswertungAuswertung einer repräsentativen Befragung von Einwanderern und Einheimischen in sechs europäischen Ländern ergibt sich: Zwei Drittel der befragten Muslime halten demnach religiöse Gesetze für wichtiger als die Gesetze des Landes, in dem sie leben. Drei Viertel von ihnen finden, es gebe nur eine mögliche Auslegung des Korans.
Religiöser Fundamentalismus unter Muslimen ist in Westeuropa somit kein Randphänomen.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser Artikel der Absicht dient, ein sich auf uns zukommendes Problem, als unerheblich darzustellen, mit der Begründung, es sei bereits im Abklingen.

Ursula Schneider | Do., 14. September 2017 - 15:58

Antwort auf von Ralf Altmeister

ähnlich wie die Studie der Bertelsmann-Stiftung zum angeblichen Integrationserfolg der Muslime in den Arbeitsmarkt, der jede wissenschaftlich seriöse Grundlage fehlt.

Wenn man die Vorgänge in der Türkei, im Nahen Osten, in Pakistan oder Indonesien verfolgt, gewinnt man kaum den Eindruck, dass der orthodoxe Islam weltweit auf dem Rückzug sei. Ganz im Gegenteil.

Dr. Michael Blume | Fr., 15. September 2017 - 11:43

Antwort auf von Ralf Altmeister

Doch, das passt - leider - sehr gut.

Denn zum einen bekennt sich ein wachsender Teil der Kultur- und Exmuslime in Befragungen gar nicht mehr als "Muslime", taucht also bei dieser Art der Befragungen nicht mehr auf. Schon 2009 (!) traf dies beispielsweise auf die Hälfte der Befragten mit iranischem Hintergrund zu.

Zum anderen ist oben bereits der Trend zu "Bekenntnisreligionen" geschildert: So, wie sich im Angesicht des Konfliktes plötzlich deutsche Konfessionslose zum "christlichen Abendland" bekennen, gibt es auch ein Trotz-Bekenntnis unter Muslimen zu einem idealisierten Islam - der jedoch auch von diesen selbst immer weniger praktiziert wird.

Und schließlich gibt es natürlich auch eine zwar kleine, aber lautstarke Gruppe, die sich tatsächlich immer weiter radikalisiert, v.a. in den Salafismus. (Deswegen bewusst auch schon im Buchtitel benannt.)

Die Befunde passen also durchaus zueinander.

Thomas Wirz | Do., 14. September 2017 - 13:28

Endlich mal wieder ein Beitrag, der sich in abgewogener Form mit muslimischem Leben in Deutschland und anderswo beschäftigt und feststellt, dass sich vieles mit dem "christlichen" Deutschland ähnelt. Es war eben auch ein - vielleicht gut gemeinter - Fehler in den Integrationsdebatten, die Muslime zu "Islamisieren". Etwa in der Aussage von Wulff, dass auch der Islam zu Deutschland gehöre, während es besser gewesen wäre zu betonen, dass sich eine plurale Gesellschaft eben nicht religiös definieren kann. Oder Debatten über Kopftücher im öffentlichen Dienst zu führen, anstatt konsequent religiöse Symbole aus dem staatlichen Bereich zu entfernen. Oder die Islamverbände als Sprachrohr aller Menschen mit muslimischen Wurzeln aufzuwerten. Mehr Laizismus würde diesem Land gut tun.

Robert Müller | Fr., 15. September 2017 - 00:19

Antwort auf von Thomas Wirz

Ditib war lange wohl eher so etwas wie eine türkische Kulturveranstaltung, weshalb ich mir gut vorstellen kann, dass das mit den 5mal am Tag beten nicht wirklich befolgt wurde. Diese "Islamisierung" der Muslime ist nun von türkischer Seite erst seit wenigen Jahren zu beobachten. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten waren damit schon früher dran und das Ergebnis sieht man in diversen europäischen Städten, aber auch in Afghanistan, Ägypten, etc. Offensichtlich glauben muslimische Herrscher immer wieder Bündnisse mit den Religiösen schließen zu müssen, vermutlich zur Legitimation ihrer Herrschaft. Während es bei uns Wahlen sind, die diese Legitimation herstellt. Interessant ist, dass in Tunesien, wo es auch Wahlen sind, die die Regierung legitimieren, die Regierung nicht auf den Islam zur Absicherung setzt. Das kann durchaus als Zeichen der Krise verstanden werden, aber welches Land ist nicht ständig in einer Krise? Auch in Europa ist das nicht anders.

Gisela Fimiani | Do., 14. September 2017 - 13:30

Ihr Artikel, Herr Blume, veranlasst mich zu folgenden Fragen: Handelt es sich bei Ihrem Text ausschließlich um die Beschreibung einer Krise? Welche Konsequenzen sollten daraus gezogen werden? Herr Abdel-Samad schreibt zutreffend:... "auch der Zusammenbruch eines Hauses bleibt gefährlich, und das nicht nur für seine Bewohner." Erhöht ein solcher Zustand Gefahren nicht womöglich? Die Geschichte liefert derartige Belege.

Dr. Michael Blume | Fr., 15. September 2017 - 11:27

Antwort auf von Gisela Fimiani

Sehr geehrte Frau Fimiani,

ja, ich beobachte und beschreibe die Krise bis zu ihren Wurzeln (v.a. das Verbot des Buchdrucks im Osmanischen Reich ab 1485).

Und ich gehe leider nicht davon aus, dass einfach "alles gut" wird, sondern warne u.a. vor der auch zunehmenden Radikalisierung einer Minderheit und der Möglichkeit von IS-Nachfolgegruppen. Das letzte Kapitel enthält dann eine ganze Reihe von Handlungsvorschlägen, beginnend bei der Reduzierung unseres eigenen Ölverbrauchs und einer weniger "romantischen" Außen- und Religionspolitik.

Mit Dank für Ihr Interesse und freundlichen Grüßen!

Karin Zeitz | Do., 14. September 2017 - 14:05

Zitate: “Wenn die Araber zwischen einem religiösen und einem säkularen Staat wählen könnten, würden sie den religiösen wählen und in den säkularen fliehen“. Tatsächlich fliehen Muslime massenhaft in säkulare Staaten, wobei nicht Wenige die ihnen angenehmen Aspekte ihrer gewohnte Lebensweise beibehalten, jedoch die Vorteile im Zuwanderungsland gerne mitnehmen. Noch nie gab es in Deutschland so viele “Ehrenmorde“, Misshandlungen von Ehefrauen und Übergriffe auf Frauen wie wir es seit 2015 erleben. Dieser Sachverhalt ist u.a. auch auf die frauenverachtenden Aussagen im Koran zurückzuführen. Im Übrigen wurde heute offiziell bekanntgegeben, dass sich die Zahl der Salafisten in Berlin verdoppelt hat. Diejenigen unter den Salafisten,die ihren Glauben mit Gewalt verbreiteten wollen, hat sich ebenfalls verdoppelt. Wie wir in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren mussten genügen wenige solcher Verblendeter, um über zahlreiche Menschen Tod und Verderben zu bringen.

Dr. Michael Blume | Fr., 15. September 2017 - 11:30

Antwort auf von Karin Zeitz

Vielen Dank, Frau Zeitz.

Wie der Titel des Buches schon sagt, beobachte und beschreibe ich sowohl die (nicht selten bereits völlig vollzogene) Säkularisierung eines Großteils der Muslime ebenso wie die Radikalisierung einer verschwörungsgläubigen und durchaus noch wachsenden Minderheit, v.a. im Salafismus. In einzelnen Fällen haben wir sogar zerrissene Personen, die zwischen diesen Weltdeutungen hin und her schwanken. Und solange wir selbst von wahhabitischen Regimen Öl kaufen und diese mit Waffen beliefern, wirken wir auch in der Region nicht besonders glaubwürdig in der Förderung von Frieden, Aufklärung und Menschenrechten.

Uwe Dippel | Do., 14. September 2017 - 16:29

Ach na ja. Was für ein Religionswissenschaftler. der hier schreiben darf ... . :-(
Er kennt sich vielleicht aus in der Sichtweise seiner Position, und bezogen auf seine muslimische Frau. Und er kennt sich aus bei den Nichtmuslimen im Nordirak ... .
Vollkommen vernachlässigt wird von ihm die Gegenbewegung, die ganz real ist: Vor Khomeini war der Islam auf dem Rückzug.

Habe das selbst in Berlin mitbekommen, an der TU. Bis 1979 gab es die Intellektuellen, die kamen, diejenigen, die froh waren, dem strikten Islam im Irak und Iran entkommen zu sein. Mit Khomeini wurde alles plötzlich anders.

Ich kenne noch das säkulare Malaysia, mit Whiskey und voller hübscher Frauen ohne Kopftuch. Es wurde ab 1980/81 langsam, schleichend, islamisiert.
Man sieht das gut im Film. P. Ramlee, der grösste der malaysischen Künstler, wurde zum Aussenseiter. Es gibt Filme in voller Länge bei Youtube.

Ein Jahrzehnt später war so etwas undenkbar geworden. Und der Moment der Umkehr war Khomeini.

es ist überall das gleiche, in den Ländern, in denen es eine hohe Anzahl von Muslimen gibt. Die Moscheen sind voll. Die Frauen sind verschleiert. Ich merke aber auch garnichts vom "Untergang" . Nichtmal kleinste Signale. Selbst junge Mädchen, fern der Heimat und Kontrolle durch ihre angestammte Umgebung, legen nicht den Schleier ab. Siehe Studentinnen in Europa, USA, China. Sie leben sehr aktiv ihren Glauben. Und das ist die junge Generation. Iphone und Nikab scheint zu passen.

Sehr geehrter Herr Dippel,

gerade auch auf den Iran gehe ich sogar ausdrücklich ein. Denn die Jahrzehnte der Theokratie haben den Islam im Iran in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise gestürzt - die Jugend wendet sich in Scharen ab, Mullahs bekommen teilweise kaum noch ein Taxi und nicht wenige Iraner konvertieren unter Lebensgefahr zum Christentum, zu den Bahai und neuen Religionen. Sie müssen das gar nicht mir glauben - schon seit 2013 klagen auch die offiziellen, iranischen Medien über diesen "Verfall". Bei der o.g. DIK-Umfrage bezeichneten sich 38 Prozent der in Deutschland Lebenden iranischer Herkunft als konfessionslos, weitere 10 Prozent als Christen. Das ist Rekord unter den islamisch geprägten Nationen.

Uwe Dippel | Fr., 15. September 2017 - 13:44

Antwort auf von Dr. Michael Blume

Leider scheinen wir aneinander vorbei zu diskutieren.
Ich habe von Anfang an nicht bezweifelt was Sie aus Ihrer Position, aus diesem Land, schreiben.
Ich bezweifle auch nicht, dass es im Iran die Entwicklung gibt, von der Sie sprechen. Aber, wenn Sie sich wirklich auskennen, kennen Sie auch den grossen Unterschied, sogar ethnisch, zwischen Iran und den islamischen Staaten, die mehrheitlich Sunni sind. Iranis sind und waren schon immer anders. Unter Mosaddegh war der Iran säkular. Oder, in Ihrer durchgehenden Argumentationsweise, 100 Prozent. Trotzdem war der Iran in - sagen wir 1980 - 90 Prozent islamisch. Oder auch nur 70 Prozent.
Entscheidend ist: das Potential war einfach noch da, schlummernd. Im Christentum - nur als Beispiel - wäre das undenkbar. Die Religion Islam ist nicht umsonst دين‎,, ein unübersetzbares Wort. Sie ist Teil des Lebens und kann schnell wieder aktiviert werden.
Das habe ich eben über 15 Jahre in Malaysia erlebt.

Ich glaube es ist davon abhängig wohin man schaut. Auf dem Tahir-Platz in Ägypten waren anfangs keine Islamisten, selbst Frauen waren lange dabei (etwa zur med. Hilfe). Aber abseits der großen Städte war alles sehr traditionell und deshalb haben sich auch die Islamisten bei der Wahl durchgesetzt. Auch aus Afghanistan gab es mal Bilder mit Frauen ohne Verhüllung. Auch da war es wieder die Landbevölkerung, die das geändert hat. Auch in der Türkei sind es die ehemals Marginalisierten, die jetzt die Re-Islamisierung machen. Übrigens, in Deutschland ist das nicht anders. Das "katholische Landmädchen" war vor 50 Jahren noch ein Synonym für Zurückgebliebenheit und auch Kopftücher waren damals noch normal. Übrigens, der große AfD-Erfolg in Ostdeutschland könnte damit zu tun haben, dass viele Menschen zuvor von da weggezogen sind und zurück blieben nur die, die nicht in den Westen wollten.

Uwe Dippel | Do., 14. September 2017 - 16:45

Ich möchte noch einen zweiten Aspekt erwähnen, den der Autor vollkommen unterschlägt:
Wenn ein Christ, oder Buddhist, vom Glauben abfällt, ist es dessen individuellen Seelenheil, das leiden könnte.

Der Islam sieht das anders. Für Apostaten ist im Koran die Tötung vorgeschrieben.
Das Hantieren des Autors mit Prozentzahlen hilft deshalb nicht: der strikte Muslim fühlt sich verpflichtet - nein, er ist es - der Apostasie aktiv entgegenzuwirken. Also aktiv einzugreifen und anzugreifen. Und das sehen wir ja, wenn auch kaum in Europa. In den islamischen Ländern wird Anschlag auf Anschlag, Mord auf Mord begangen, um einen 'Ungläubigen' - das heisst in diesem Falle nicht unbedingt einen Christen, sondern in vielen Fällen einen anderen Moslem, ins Jenseits zu befördern.
Wenn der Autor hier so tut, als ginge es um Mehrheiten, oder demokratische Prozesse, blendet er aus, dass der Prophet sich vehement dagegen gestellt hat.

Die Gefahr besteht für Muslime und Nichtmuslime gleicherweise.

Frank Bauer | Do., 14. September 2017 - 17:07

Welche Intention verfolgt dieses Buch? Die Wahrnehmung des Islam dürfte bei den meisten eine andere sein. Sowohl im nationalen wie im internationalen Rahmen. Weltweit geht eine Welle der Rückwärtwende in der islamischen Welt vor sich. Man schaue sich die Türkei, Indonesien, Malysia an. oder auch die muslimischen communities in Europa. Vergleiche mit Fotos aus den 60-und 70-er Jahren zeigen ein wesentlich säkulareres Bild, gerade bei den Frauen. Immer häufiger kommt es zu Prozessen wg. des Kopftuchtragens in bestimmten Funktionen, immer mehr wird versucht, islamische Vorstellungen in einer westlichen Umwelt durchzusetzen. Zum Teil mit freiwilligen Unterwerfungsgesten wie dem Entfernen christlicher Symbole (vg. die "Lidl-Oliven). Der Kommentarraum ist zu kurz, um die vielen Beispiele anzuführen, aber jeder, der auch nur im Ansatz die Entwicklung verfolgt, kennt die Tatsachen. Die Säkularisierung mancher Muslime irgendwo ist nun wahrlich nicht das Problem.

Dr. Michael Blume | Fr., 15. September 2017 - 11:46

Antwort auf von Frank Bauer

Sehr geehrter Herr Bauer,

wie auch der der Sympathie mit dem Islam unverdächtige Hamed Abdel-Samad bereits 2010 beschrieb, ist gerade auch der wachsende Zwang in vielen islamisch geprägten Ländern eine Reaktion auf den Glaubensverfall - der sich dadurch nur noch weiter beschleunigt.

So schreiben selbst offizielle, iranische Medien von einem "Tsunami des Atheismus" und fordern noch schärfere Gesetze dagegen. Abdel-Samad verwendet daher das Bild eines Hauses, das bereits entkernt ist und zusammenzustürzen droht. Ich habe ihn daher zu diesem Aspekt bewusst zitiert.

Peter Bigalk | Do., 14. September 2017 - 17:18

Es gibt große Unterschiede, die Zahl der religiösen Fanatiker nimmt aber seit Jahren zu, da nützt es nichts, dass vielleicht auch die Zahl der Kulturmuslime zunimmt. Mir reicht es jedenfalls. Im Übrigen muss man auch keine Imam-Ausbildung haben, um zum Terroristen zu werden, das wird häufig in der Diskussion verwechselt!

Werner Schütz | Do., 14. September 2017 - 19:01

Heute nachmittag telefonierte ich mit meiner Tochter. Sie arbeitet als Teamleiterin in der Produktion eines großen deutschen Elektrokonzerns.
Sie erzählte mir sichtbar erregt, dass aufgrund des Protestes von muslimischen Kollegen das Management die alljährliche Weihnachtsfeier in "Jahresschlussfeier" umbenennen werden wolle.
Noch Fragen?

Selma Palmer | Do., 14. September 2017 - 19:45

Ihre Einschätzung, verehrter Herr Blume, mag ja für einen kleinen Teil der Muslime, die hier in einer säkular ausgerichteten Gesellschaftsordnung leben, durchaus gelten; aber bitte, beachten Sie doch auch das gesamte Mengengerüst weltweit: In fast allen muslimisch geprägten Staaten hat die Scharia Einzug in die dortige Rechtsordnung gehalten, und vorbei war's mit religiöser Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Geschlechter (siehe Malaysia, Indonesien, ...)!
Diese ungute Entwicklung können Sie auch zeit- und hautnah am Paradebeispiel Türkei erleben: Dort wird soeben - unter dem Jubel von ca. 50% der Bevölkerung - eine einst laizistisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung Stück für Stück beerdigt; freie Meinungsäußerung und Menschenrechte inclusive! Betrachtet man die gesamte Historie des Islam, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass freiheitliche Werteordnung und demokratisches Grundverständnis mit den Lehren des Korans eben nicht in Einklang zu bringen sind.

Dimitri Gales | Do., 14. September 2017 - 21:02

ist der Determinismus. Aber im Zeitalter der grossen technologischen Fortschritte und des sich verbreitenden Wohlstandes hat der Determinismus nicht mehr die gleichen Grundlagen. Die meisten Religionen bleiben jedoch in weniger entwickelten Regionen der Welt ein Identitätsstiftendes Medium. Das auch als Kampfideologie entfremdet wird.

Sepp Kneip | Do., 14. September 2017 - 21:44

Der Islam ist keine Religion, der Islam ist eine Idiologie. Und zwar eine politische Idiologie. Die Verharmlosung des Islam in unserer westlichen Hemisphäre rächt sich bitter. Die vielen islamistischen Anschläge beweisen es. Der Hang des Islam, sich räumlich auszuweiten ist doch ungebrochen. Man mag den Islamischen Staat (IS) militärisch besiegt haben, aber nicht den extremistischen Islam. Der wird weiter bomben. Ob der Islam wirklich innerlich zerbröselt, ist nicht ausgemacht. Die Ideologie lebt weiter. Die Türkei ist das beste Beispiel. Wenn wir uns jetzt selbst in die Tasche lügen, könnte es ein böses Erwachen geben. Der Islam gehört nicht hierher, friedliche Moslems schon.

Andreas Ulbrich | Fr., 15. September 2017 - 03:06

Ob der Islam in Rabat auf dem Rückzug ist, kann ich nicht einschätzen. In Berlin ist er definitiv auf dem Vormarsch. Hier fasten im Ramadan schon die Grundschüler. Das gab es vor zehn Jahren noch nicht.

Eckart Eckstein | Fr., 15. September 2017 - 09:26

Und genau diese Mittelalter-Saudis sind die engsten Kumpane der USA, - die z.B. wie üblich laut "Demokratie" und "Freiheit" zeterten, als in Ägypten das Militär das Land rettete und die dortigen fundamentalistischen "Muslimbrüder" wieder entmachteten.

Und u.a. zusammen mit England in Libyen den Fundamentalisten den Weg zur Macht freibombten. Unter dem Vorwand, "Zivilisten" und "Freiheitskämpfer" schützen zu wollen. Rußland und China stimmten sogar zu, - erklärten hinterher indes empört, noch einmal würden sie sich nicht derart hinters Licht führen lassen!

Als die Berufsbefreier dasselbe Spiel dann in Syrien versuchten, kam Putins bekannte Antwort! Die von den USA u.a. mit Waffen aufgepäppelten syrischen "Demokratischen Freiheitskämpfer" firmieren inzwischen übrigens unter dem Namen "IS"!

Lesestoff: Robert Baer, Sleeping With The Devil, How Washington Sells Our Souls For Saudi Crude (Deutsche Ausgabe: Die Saudi-Connection)Baer war früher CIA-Resident im Nahen Osten.

Kurt Potenz | Fr., 22. September 2017 - 16:33

Vielen Dank für diesen Artikel! Es ist in Zeiten hysterischer Furcht vor der Islamisierung eine Wohltat, wissenschaftlich fundierte Fakten zu diesem Thema zu lesen. Bleibt mir mit Blick auf viele Kommentare, die dazu hier geäußert wurden, nur die Frage, warum viele, die offensichtlich diese Furcht pflegen, erkennbar verstimmt auf solche Fakten reagieren, die Ihnen doch die Furcht zumindest etwas lindern könnten? Dazu fällt mir nur Georg Christoph Lichtenberg ein: "Gesetzt den Fall, wir würden eines Morgens aufwachen und feststellen, dass plötzlich alle Menschen die gleiche Hautfarbe und den gleichen Glauben haben, wir hätten garantiert bis Mittag neue Vorurteile".

Marcel d'Honte | Mi., 27. September 2017 - 22:51

Ich halte die Interpretationen oder "Ergebnisse" auch nicht für überzeugend; oder ich sage es so: sie überzeugen nicht, sobald man sich den dt./fr./ch "Ghettos" mit Sprach- u. sonstiger Kenntnis der "Allochthonen" nähert. Der hohe Konformitätsdruck z.B. bei der Einhaltung von geschlechtsspezifischen Kleidungsvorschriften geht nicht auf "kulturelle Identität" zurück, sondern speist sich aus der unhinterfragten Autorität des "Normativen", des Religiösen , des als göttlich offenbart Angenommenen. Der Versuch, sittliche Vorstellungen im "öffentl. Raum" durchzusetzen, ist kein Zeichen von "Säkularisierung". Bei DITIB predigt "man" u.a., dass zu einer türk. Identität auch eine muslimische Praxis gehöre ...
Religiöse Ultra-Orthodoxie oder Fundamentalismus sind nicht Ausdruck/"Folge" eines vor-evolutionären Weltbildes, eines niedrigen Bildungsniveaus oder sozialer Marginalisierung (z.B. durch Armut). Der sog. "politische Islam" ist eine Warnung wert, Al-Banna auch "Programm" der AKP ...