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Buchhändler Walther König - Ein Faible für Sonderlinge

Über die Privatsammlung des Verlegers und Buchhändlers Walther König kursieren in Köln Legenden – hinter Vitrinen findet sie Schutz vor dem Qualm seiner Roth-Händle-Zigaretten

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Clewing, Ulrich

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Ein rot verklinkertes Haus an einer belebten Straßenecke in der Kölner Innenstadt. Vier Stockwerke hoch, an der Tür gibt es ein Graffito mit dem Konterfei des Eigentümers. Der Künstler hat es ungefragt angebracht, aber entfernen lassen mochte es Walther König auch nicht. Zu viel Aufwand. Und wahrscheinlich wäre es ein paar Tage später wieder da. Porträtköpfe sind das Markenzeichen des Sprayers.

Eigentlich hatte Walther König Jurist werden wollen, damals nach dem Abitur in Münster. Er hatte einen Onkel, den er „einen guten Typen“ fand, der war Rechtsanwalt. Im Rückblick ein klarer Fall von jugendlichem Leichtsinn. Denn hätte er den Plan weiter verfolgt als nur zwei Semester, wäre er, statt Jura zu studieren, nicht bei dem Kunstkritiker und Buchhändler Albert Schulze Vellinghausen in die Lehre gegangen in dessen „Bücherstube am Dom“: Nicht auszudenken, was das für die Bücher, für die Kunst, für Köln, für die Region und überhaupt für Deutschland bedeutet hätte. Womöglich hätte es dann das rote Haus in der Ehrenstraße 4 nicht gegeben. Und das wäre – mit Verlaub – eine echte Katastrophe. Es fällt schwer, sich eine schönere Kunstbuchhandlung vorzustellen als die, die Walther König dort mit westfälischer Dickschädeligkeit seit mehr als 30 Jahren führt. Andere hätten längst das Sortiment verkleinert, das Antiquariat in der obersten Etage rausgeschmissen, weil sich das Ganze nicht lohnt und es dort eh nur staubt.

König dagegen scheint der Ansicht zu sein, dass das Verkaufen von deutschen, englischen, amerikanischen, italienischen, spanischen, französischen, portugiesischen und japanischen Kunstbänden nur eine Frage der Zeit ist. Und Zeit nur eine Frage von Jahren und Jahrzehnten. Wer hier nicht das Buch findet, das er nie gesucht hat, der kann an dieser Stelle aufhören zu lesen. Der ältere Bruder des scheidenden Kölner Museumsdirektors Kasper König hat nämlich auch noch einen Verlag, in dem Bücher verlegt werden, nach denen man sich die Finger leckt. Aber da die Buchhandlung nur das Präludium ist, steigen wir zu ihm ins Auto und fahren die zehn Minuten bis zu dem Stadthaus, das er und Jutta, seine Lebensgefährtin, seit langer Zeit (siehe oben) gemeinsam bewohnen.

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Über Walther Königs private Bibliothek kursieren in Köln Legenden. Menschen, die sie kennen, leugnen, jemals dort gewesen zu sein, damit sie nicht in die Verlegenheit geraten, Fremden gegenüber etwas von den Schätzen preiszugeben, die ihnen da gezeigt wurden. Zwei Museumsausstellungen haben König und seine Frau damit schon bestritten. Eine dritte ist gerade in Vorbereitung, diesmal zusammen mit Beständen anderer Sammler, aber das ist so neu, dass König darüber noch nicht mehr erzählen kann.

Mit dem Aufzug geht es hoch bis unters Dach. Neben dem Eingang steht eine Figur von Stefan Balkenhol, und auch sonst liegt und hängt hier einiges an Kunst. Doch das Zentrum der Maisonette-Wohnung ist eindeutig der Raum, in dem die Bücher verwahrt werden. Er ist höher als die anderen und hat einen fast quadratischen Grundriss. Darin befinden sich ein großer alter Schreibtisch, dazu noch zwei Stühle und ein grünes Ledersofa, ein Zweisitzer. Für mehr ist kein Platz, denn an den Wänden erheben sich rundum bis zur Decke – nein, keine einfachen Regale: Vitrinen, die schädliche Umwelteinflüsse wie Hausstaub oder den Qualm von Walther Königs Roth-Händle fernhalten.

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Natürlich hat er hier auch „normale“ Ausgaben (freilich erstaunlich wenige aus dem eigenen Verlag). Doch seine Leidenschaft sind Künstlerbücher, das heißt Kunstwerke in Buchform und in den meisten Fällen Unikate.

Er tritt an einen Schrank und öffnet den Glasverschlag. „Einer der Künstler, die für mich sehr wichtig sind, ist Dieter Roth“, sagt König, während er aus einem der unteren Fächer eine dicke Kladde hervorzieht. „Und das hier ist eine absolute Rarität.“ Roth, in Hannover geborener Schweizer, war Dichter, Fluxus-Künstler, einer der Erfinder der „Eat Art“ und mit seinen Bricolage-Installationen für die Generation der heute 30- bis 40-Jährigen so einflussreich wie wenige andere. Er war aber auch Alkoholiker, depressiv und voller Angst. Walther König erzählt: „In seinen letzten zehn Jahren hat er angefangen, sein Leben festzuhalten. Alles, was für ihn jemals eine Rolle spielte, hat er dokumentiert, kopiert oder fotografiert und daraus Bücher wie dieses gemacht.“ Er schlägt ein paar Seiten um, und man sieht Postkarten, mit der Maschine geschriebene Briefe und handschriftliche Notizen, Fotos von Orten und Gegenständen, einen eingeschweißten Joghurtbecher. Es ist ein Wirrwarr der Eindrücke und Erinnerungen, leicht verrückt und auch melancholisch in seinem Versuch, einem chaotischen Leben dadurch Herr zu werden, indem man Beweise sammelt für die eigene Existenz. „Was mich daran interessiert“, sagt jedoch Walther König, „ist Dieter Roths große Erfindungsgabe. Er hat als Einzelgänger die Geschichte der Buchkunst revolutioniert.“

Auch sonst besitzt er ein offenkundiges Faible für Außenseiter und Sonderlinge, für die Maniker und die Sendungsbewussten. Eigentlich strebt Walther König nicht nach Vollständigkeit, aber von Künstlern wie Marcel Broodthaers und Martin Kippenberger hat er praktisch jedes Buch, das jemals erschienen ist. Bei den beiden macht das jeweils fast einen ganzen Schrank für sich aus. Er besitzt Klassiker wie Otto Dix’ Mappenwerk „Krieg“ („ein wirklich eindringliches Antikriegsdokument“) und hätte gern Matisse’ „Jazz“ („leider zu teuer“). „Im Grunde“, sagt Walther König, „ist meine Sammlung eng verknüpft mit meiner Tätigkeit als Buchhändler.“ Der Umkehrschluss träfe wohl genauso zu. Seine Tätigkeit als Buchhändler ist eng verknüpft mit seiner speziellen Art der Bibliophilie. So hat er in seinem Verlag, obwohl er nicht für Faksimilie schwärmt, vor ein paar Jahren einen Nachdruck des Bändchens „Mr. Knife and Miss Fork“ herausgebracht, das Man Ray 1931 mit Max Ernst veröffentlicht hat. „Eines der schönsten surrealistischen Bücher, die ich kenne.“

Dabei gibt sich der 73-Jährige große Mühe, vor seinen Besuchern nicht selber als Sonderling dazustehen. Womöglich liegt es daran, dass er aus Westfalen stammt, wo man bei aller Metaphysik darauf achtet, in den Dingen stets auch den bodenständigen Sinn zu sehen. Jedenfalls ist ihm sehr darum getan, nicht das Missverständnis entstehen zu lassen, als sei das Büchersammeln für ihn ein Spleen. Immerhin ist er Kaufmann und darin auch ziemlich erfolgreich: „Ich habe das Kaufen von Büchern auch immer als Spekulation betrieben“, behauptet König, was nun doch ein bisschen überraschend kommt. Und holt die nächsten Raritäten aus dem Schrank, zwei, drei schmale kleine Hefte, die der inzwischen weltberühmte Maler Ed Ruscha in den sechziger Jahren im Selbstverlag herausbrachte, als er noch völlig unbekannt war und mit Mitte zwanzig wie ein Hobo in einem lädierten Straßenkreuzer durch Kalifornien fuhr, um dem auf die Spur zu kommen, was Amerika im Innersten zusammenhält – und Fotos von Tankstellen oder Swimmingpools zu machen. Die Hefte kosteten damals ein paar Dollar, mittlerweile liegen die Preise bei mehreren Tausend Euro pro Exemplar. „Immer, wenn Ed Ruscha ein neues Büchlein fertig hatte, rief er mich an und fragte, ob ich ihm eines abkaufen würde. Ich wusste genau, dass die mal etwas wert sein würden“, sagt Walther König – und erweckt nicht im Mindesten den Eindruck, als würde er sich davon jemals wieder trennen wollen. 

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