Das Journal - Die Welt als Wille zur Sicherheit

Wolfgang Sofsky, Olaf Arndt und Sihem Bensedrine beschreiben die Sicherheit als Prinzip, als Mythos und als politische Camouflage-Taktik

Sicherheit ist äußerst begehrt. Sicherheit vor Kriminalität. Und vor Terrorismus. Sicherheit vor Arbeitslosigkeit. Sicherheit vor Armut. Sicherheit auch vor Armutsflüchtlingen. Aber was bedeutet eigentlich Sicherheit? Eine gute Ausgangsfrage, und Wolfgang Sofsky hat sich ihrer angenommen. Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis von «Das Prinzip Sicherheit» ist vielversprechend – Sofsky fängt beim Elementaren an, der «Katastrophe», und kommt dann über Begriffe wie «Gefahr», «Wagnis», «Versicherung» zu den großen Fragen von Staat, Krieg und Terror.

In dieser Herangehensweise liegt eine Gefahr. Denn wer so grundlegend startet, hat oft die historische Besonderheit nicht mehr im Blick und verliert sich in Betrachtungen über die Natur des Menschen. So geht es leider auch Wolfgang Sofsky. In dem Willen, auf nicht einmal 200 Seiten dem «Prinzip» der Sicherheit auf den Grund zu gehen, gerinnt die Analyse oft zur Banalität. «Katastrophen», schreibt er zu Beginn, «führen vor Augen, wie unsicher die Fundamente sind, auf denen Menschen ihre Welt errich­tet haben. Sicherheit ist das Grundproblem des Gattungswesens.» Wer hätte das gedacht?

In der Folge ist Sofsky mit den Lösun­gen der Menschen für ihr «Grundproblem» überhaupt nicht zufrieden. Ganz falsch sind etwa «Versicherungsgesellschaften» – vor allem die Sozialkassen. Deren Weiterbestehen sei heute völlig unmöglich: «Eine Kranken- und Rentenkasse kann nur überleben, wenn der Versicherte frühzeitig zu Tode kommt.» Freilich gibt es das System der Sozialkassen bald 150 Jahre – warum nur ist vor Wolfgang Sofsky niemand darauf gekommen, dass dieses System nicht überleben kann? Für Sofsky sind solche Kassen ohnehin nichts anderes als eine Flucht vor den «Lasten der Freiheit».


Bedroht Sicherheit die Demokratie?

Überhaupt, die Freiheit. Die ist bedroht, wahlweise von der «Anspruchsinflation», der Gerechtigkeit, dem Vorsorgestaat oder dem Sicherheitsstaat. Freiheit bedeutet für Sofsky das Recht, «unbehelligt zu bleiben», und den Wunsch, das Leben in eigener Regie zu führen – was aber, wie man erstaunt liest, nichts mit Demokratie zu tun hat: «Von einem Mehrheitsregime, das von den Leidenschaften der Sicherheit beseelt ist, hat die Freiheit nichts zu erwarten.»

Was bedeutet das nun? Offenbar hält Sofsky eine Verteidigungsrede für Freiheit und gegen Sicherheit. Ganz genau aber kann man es kaum sagen, denn sein Buch ist ein Amalgam von Feststellungen und Behauptungen, vorgetragen in autoritären Hauptsätzen. Dass in Sofskys Buch ein konservatives Weltbild aufscheint, darüber kann kein Zweifel bestehen, aber es ist doch kaum vorstellbar, dass er die Demokratie als Bedrohung der Freiheit versteht. Sein Versuch jedenfalls, das «Prinzip Sicherheit» zu erklären, kann als gescheitert gelten – es braucht schon etwas mehr Recherche und analytischen Aufwand, um eine Aufgabe von dieser Größe zu lösen.

Angesichts dieses Scheiterns am «Prin­zip» lohnt sich ein Blick auf etwas spezi­fi­schere Titel zum Thema – etwa auf Olaf Arndts Buch über die Rolle von neuen, «nicht-tödlichen Waffen» in der «Mythologie der Inneren Sicherheit» sowie auf das Buch «Despoten vor Europas Haustür. Warum der Sicherheitswahn den Extremismus schürt» von Sihem Bensedrine und Omar Mestiri. Arndt ist Künstler, und sein Buch ist im Rahmen eines Theaterprojekts entstanden. Das merkt man dem Band an. Denn der unbedingte Wille zum schön formulierten Text stört manchmal ein wenig die analytische Schärfe. Das Thema aber ist höchst interessant: Es geht um die veränderten Tech­nologien der Inneren Sicherheit – um die «intelligente» Kontrolle von Menschenmengen, um High-Tech-Gefängnisse, um «mobile tactics» und die zugehörigen «smarten» Waffen wie konfektionierte Gase, Schaumbälle oder Elektroschocker.

Alle diese Techniken dienen nach Arndt der Demobilisierung von Leuten – der Staat will Personen stillstellen können, die sich ungebührlich benehmen oder dies nur vorhaben. Besonders problematisch erscheint Arndt der Wille der Bevölkerung, sich an der eigenen Stilllegung zu beteiligen, was er vor allem an der Akzeptanz von Über­wachungstechnik abliest.

Manchmal freilich überschätzt Arndt die Möglichkeiten der Manipulation. Zu oft beruft er sich auf die Chefideologen der neuen Sicherheitstechnologien – seitenweise geht es etwa um den US-amerikanischen Verteidigungsexperten John B. Alexander. Solche Leute bauschen aber die technologischen Potenziale schamlos auf, um Gelder für ihre Pro­gramme zu sichern. In diesem Sinne kommt der «mythologische» Aspekt der Sicherheit zu kurz – als Leser erhält man den Eindruck, dass der Widerstand längst zwecklos geworden ist. Dabei sind diese Technologien ja eine Reaktion auf Widerstand – zum Beispiel auf die globalisierungskritische Bewegung, mit der Arndt ganz offensichtlich sympathisiert.

Die kompakteste Abhandlung zum Thema Sicherheit hat die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine zusammen mit ihrem Mann Omar Mestiri vorgelegt. Es geht um einem bestimmten Ausschnitt des Themas – die zunehmende Legitimierung der maghrebinischen Diktaturen im Rahmen des herr­schenden europäischen «Sicherheitswahns» nach dem 11. September. Ein Beispiel ist das Tunesien unter Präsident Ben Ali, und mit diesem Tunesien kennt sich Sihem Bensedrine aus: Sie wurde dort diffamiert, belästigt, zusammengeschlagen und eingesperrt. Trotzdem beobachten Bensedrine und Mestiri, dass die tunesische Führung in Europa zunehmend hoffähig wird; sie bezeichnen das Land als «Modell einer Diktatur mit demokratischer Fassade».


Weiche Formen der Repression

Während Präsident Ben Ali den Europäern eine «aufgeklärte» Seite zuwendet und so einen «Übergang zur Demokratie» simuliert – Stichworte: Menschenrechte, Zivilgesellschaft, Gleichstellung von Frauen –, besteht der Staat de facto aus einem korrupten Clan, der durch weiche Formen der Repression de­mokratische Bestrebungen unterdrückt. So gründet die tunesische Regierung derweil selbst in großer Zahl Nichtregierungsorganisationen, die eine lebendige Zivilgesellschaft vorgaukeln, in Wirklichkeit aber nur die Arbeit der wenigen tatsächlich unabhängigen Menschenrechtsgruppen blockieren.

Ganz ähnliche Taktiken werden in diesen Tagen – das zeigt das Autorenpaar sehr überzeugend – auch in Libyen, Algerien und Marokko angewandt. Dabei arbeiten die Europäer nicht bloß wegen der Gefahr des Terrorismus so gerne mit den Autokraten im Maghreb zusammen, sondern, so Bensedrine und Mestiri, auch we­gen der überzogenen Furcht vor der «Überschwemmung» durch Einwanderer. Das hat sich kürzlich noch einmal gezeigt – nach dem «Ansturm» von Migranten aus dem südlichen Afrika auf die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla. Plötzlich hatte Spanien keine Bedenken mehr, Migranten nach Marokko zurückzuschieben, obwohl die marokkanische Polizei die Leute einfach in der Wüste «aussetzt». Und das Regime in Rabat wird nun mit Zusammenarbeit und Unterstützung bedacht.

Zumindest darin hat Wolfgang Sofsky Recht: Derzeit bedroht das Verlangen nach Sicherheit die Freiheit. Aber keineswegs nur diese, sondern alle grundlegenden Rechte der Menschen, die wiederum die Basis der Demokratie bilden.

 

Wolfgang Sofsky
Das Prinzip Sicherheit
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2005. 176 S., 16,90 €

Olaf Arndt
Demonen. Zur Mythologie der Inneren Sicherheit
Edition Nautilus, Hamburg 2005. 156 S., 12,90 €

Sihem Bensedrine, Omar Mestiri
Despoten vor Europas Haustür. Warum der Sicherheitswahn den Extremismus schürt
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer.
Kunstmann, München 2005. 224 S., 16,90 €

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