- „Putin darf den Informationskrieg nicht gewinnen“
Russland steht kurz vor einer Intervention auf der Krim. Doch welche Strategie verfolgt das Land? Und welche Mittel hat die EU, den Konflikt zu entschärfen, den sie selbst mit geschaffen hat?
[[{"fid":"61297","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":164,"width":131,"style":"width: 100px; height: 125px; float: left; margin: 5px;","class":"media-element file-full"}}]]Stefan Meister ist Associate Fellow am Berliner Zentrum für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung. Davor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der DGAP und betreute dort ein Forschungsprojekt zur Überwindung der Polarisierung zwischen Russland und dem Westen. Er war mehrfach als Wahlbeobachter für die OSZE tätig und hat Lehrprojekte in Russland durchgeführt.
Cicero Online: Russland steht kurz vor einer Intervention auf der Krim. Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung auf der Halbinsel ein? Handelt es sich um Säbelrasseln oder verfolgt Russland eine langfristig geplante geopolitische Strategie?
Stefan Meister: Vorausgeplant hat Russland die Entwicklung sicher nicht, denn es war selbst überrascht über den schnellen Fall von Janukowitsch und enttäuscht darüber, dass er nicht in der Lage war, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Putin hat dann sehr schnell verstanden, dass er die Ukraine nicht mehr voll integrieren kann.
Putin sieht demnach in der potenziellen Annektierung der Krim eine letzte Chance, seinen Einfluss im Land zu halten?
Ja, denn wenn sich die neue Regierung der Ukraine in Richtung EU entwickelt, benötigt Russland eine Möglichkeit, diesen Prozess zu verlangsamen. Die Krim könnte dadurch zu einem neuen Abchasien werden…
Eine Region in Georgien, die im Kaukasuskrieg von Russland annektiert wurde…
Ja, dort wollte Saakaschwili die Anbindung an die EU und die NATO und Russland hat es mithilfe der Annektierung von Abchasien verhindert. Solche Maßnahmen sind das Mittel schlechthin, um die Politik eines Landes zu beeinflussen und um bestimmte Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Russland hat demnach Angst vor dem Verlust des Machteinflusses. Wird die Bedeutung der Ukraine für Russland nicht überschätzt?
Das glaube ich nicht. Denn die Ukraine ist als zweitgrößtes Land im postsowjetischen Raum sowohl ökonomisch als auch geopolitisch für alle Integrationsprojekte Putins zentral. Eine eurasische Zollunion ist das außenpolitische Schlüsselprojekt Putins, vor allem für seine laufende dritte Amtszeit. Und die Ukraine ist da ganz entscheidend.
Inwiefern?
Die Ukraine ist immer noch das wichtigste Transitland für Energieressourcen. Über ein Drittel des ukrainischen Warenhandels erfolgt über Russland. Die Bedeutung hat zwar im Maschinenbau und in der Luftfahrt abgenommen. Doch es würde gerade den militär-industriellen Komplex in Russland treffen, wenn die Beziehungen nicht mehr funktionieren würden. Die Ukraine hat außerdem eine enorme Symbolkraft für die gesamte Region. Wenn das Land erfolgreich demokratisiert und eine EU-Anbindung erfolgen würde, hätte das eine starke Signalwirkung auf andere postsowjetische Länder und auch auf die russische Innenpolitik.
Könnte Russland seine Invasion auch auf andere Teile der Ukraine ausweiten?
Ich denke nicht, dass Russland ein Interesse daran hat. Es wäre auch völkerrechtlich sehr fragwürdig und würde die Beziehung zum Westen massiv verschlechtern. Außerdem ist es für Russland letztendlich wesentlich besser, wenn das Land erhalten bleibt. Denn die Kosten für einen Konflikt wären enorm.
Haben Sie Informationen darüber, ob auf der Krim tatsächlich eine große Mehrheit der Bevölkerung eine Anbindung an Russland möchte?
Ich kann nur ungefähre Zahlen nennen. Etwa 90 Prozent möchten keine NATO-Integration, im Gegensatz zu 60 Prozent in der Gesamt-Ukraine. Generell war der Konflikt um den Status der Krim ja besonders in den 90er-Jahren stark. Aber der Konflikt konnte dann von den ukrainischen Eliten eingehegt werden, indem der Region weitgehende Autonomierechte zugesprochen werden.
Der UN-Sicherheitsrat und der Westen haben nur geringen Einfluss auf Russland. Selbst ein Ausschluss aus der G8-Gruppe würde Putin womöglich nur wenig kümmern…
Der Einfluss ist begrenzt und hat definitiv in den letzten Jahren abgenommen. Putin weiß inzwischen, dass er sagen kann, was er will, da er ohnehin der „böse Bube“ ist. Aber ihm ist es nicht egal, wie der Westen reagiert. Denn er ist stark vom Westen und der EU abhängig. Man muss sich nur den Absturz der russischen Börse in den letzen Tagen anschauen und die massive Inflation des russischen Rubels. Es sind konkrete Auswirkungen, die Russland und die russische Bevölkerung spüren.
Welche Mittel hat der Westen, um Druck auszuüben? Sind Sanktionen effektiv?
Ich bin da immer skeptisch. Denn ohne diplomatische Mission machen Sanktionen nur wenig Sinn. Man sollte Russland eher deutlich machen, was es verlieren würden. Eine Kontensperrung oder die Kündigung bestimmter Mitgliedschaften hätten womöglich nur wenig Wirkung. Wir konnten das in Abchasien sehen. Dort hat die NATO den NATO-Russland-Rat ausgesetzt und Russland hat die Region trotzdem annektiert.
Ein vor allem medial verbreitetes Bedrohungsszenario ist das Zudrehen des Gashahns aufseiten Russlands. Doch ist das Land nicht auch stark von den Verkäufen abhängig?
Russland ist viel abhängiger davon, Gas zu verkaufen als umgekehrt. Der Anteil russischen Gases in Europa ist stark gesunken und sinkt seit den 2000er-Jahren stetig. Russland würde es viel härter treffen, denn auch der Preis von Gazprom ist in den letzten Tagen massiv gefallen. Gazprom ist außerdem das am höchsten verschuldete internationale Unternehmen Russlands. Ich bin sehr skeptisch, ob Russland den Gashahn zudrehen würde. Die EU sitzt da letztlich am längeren Hebel.
Welche Lösung wäre Ihnen zufolge denn angemessen?
Ich finde die OSZE-Variante sehr gut, die eine Internationalisierung des Konflikts befördert. Also internationale Beobachter zur Krim zu schicken und die Russen damit in Verhandlungen einzubinden.
Könnte es derzeit zu einer Eskalation des Konflikts kommen?
Das ist nicht auszuschließen. Ich glaube, dass beide Seiten aber kein Interesse daran haben. Die größte Gefahr liegt zurzeit jedoch in Kiew, wo die Regierung noch keine vollständige Kontrolle über den Sicherheitsapparat hat. Auch weil einige Swoboda-Leute dort in den Entscheidungsfunktionen sitzen, aus deren Richtung provoziert werden könnte, worauf Russland womöglich nur wartet. Entscheidend ist, dass Kiew nicht provoziert und Russland einen Vorwand gibt.
Manche sehen die Ursachen des ukrainischen Regierungsumsturzes auch in den „Versprechungen“ der EU. Waren diese womöglich überstürzt?
Der Fehler der EU war, dass sie die Dynamik im Land völlig unterschätzt hat. Ebenso hat sie das ganze geopolitische Tableau falsch eingeschätzt.
Inwiefern ist die EU jetzt auch verantwortlich für eine Lösung des Konflikts?
Die EU hat den aktuellen Konflikt mit geschaffen. Sie hat etwa eine EU-Anbindung in Aussicht gestellt, die vor allem für die Menschen attraktiv waren, die in Kiew auf die Straße gegangen sind. Und jetzt ist die EU nicht bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie hat noch gar nicht entschieden, ob sie eine Anbindung der Ukraine überhaupt will.
Was müsste jetzt das Hauptinteresse der EU sein?
Grundsätzlich muss die EU in der Stabilisierung der Ukraine eine Schlüsselrolle spielen. Das Land liegt in ihrer direkten Nachbarschaft und die EU hat ein direktes Interesse daran, das die Ukraine nicht gespalten und unkontrollierbar wird.
Was kann die EU tun?
Die EU muss der Regierung in Kiew das Gefühl geben, dass sie nicht allein gelassen wird in dieser Krise und womöglich nicht aus einer Panik heraus überreagiert. Sinnvoll wäre daher, internationale unabhängige Beobachter in die Region zu entsenden, die vor allem die Kommunikation überprüfen. Es wird viel gelogen und falsche Dinge behauptet. Russland darf vor allem diesen Informationskrieg nicht gewinnen. Grundsätzlich muss die EU in der Stabilisierung der Ukraine eine Schlüsselrolle spielen. Das ist geopolitisch zu wichtig. Es sollte um Geld, um die Stabilisierung von Institutionen und vor allem darum gehen, der Ukraine eine Beitrittsperspektive zu eröffnen.
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