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(picture alliance) Hätte Merkel 2010 auf Ackermann gehört, wäre die Eurokrise vielleicht schon Geschichte

Bankenschwindel - Wie aus der Finanz- eine Schuldenkrise gemacht wurde

Es ist der wohl größte PR-Coup der Geschichte: Die Banken haben sich aus der Schusslinie genommen, indem sie aus der Finanz- eine Staatsschuldenkrise machten. Die Politik zieht daraus die falschen Schlüsse. Jetzt aber wird die Kritik an Merkels Spardiktat immer lauter

Rückblende aufs Frühjahr 2010, im dritten Jahr der Finanzkrise: Ganz offen spekulieren Banker, Politiker und Journalisten wochenlang über eine bevorstehende Pleite Griechenlands. Selbst ein Rausschmiss aus der Eurozone ist kein Tabu mehr. Der griechische Finanzminister muss ständig steigende, horrende Zinsen bieten, um überhaupt noch neue Kredite zu bekommen.

Da meldet sich in Berlin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ein vertrauter Gesprächspartner, Josef Ackermann, der Chef der mächtigen Deutschen Bank, mit einer überraschenden Offerte. Zur vorläufigen Rettung Griechenlands schlägt er ein gemeinsam von den privaten Geldhäusern und den Eurostaaten finanziertes Kreditpaket von 30 Milliarden Euro vor, damit die Griechen das laufende Jahr überbrücken können. In der Zwischenzeit könne eine dauerhafte Lösung gefunden werden.

Merkel lehnt ab. In Nordrhein-Westfalen stehen schwierige Landtagswahlen bevor, und nach der wenig populären Unterstützung für taumelnde deutsche Banken erscheint es ihr inopportun, jetzt auch noch den Griechen mit Steuergeldern aus der Bredouille zu helfen.

Merkels Nein war ein äußerst kostspieliger Fehler. Die Kanzlerin hatte die letzte Chance vertan, den Brandherd auf Griechenland zu begrenzen, womöglich sogar durch konsequentes Handeln zu löschen. So aber entstand ein Flächenbrand, der sich auf ganz Südeuropa plus Irland ausdehnte – mit verheerenden Konsequenzen für Bevölkerung und Wirtschaft in den betroffenen Ländern.

Die Griechenlandkrise markiert eine entscheidende Wende für die Währungsunion. Zunächst schien es nur ein harmloser Etikettenwechsel zu sein: Aus der „Finanzkrise“ wurde die „Staatsschuldenkrise“. Doch damit wechselten auch die Schuldigen. Die Banken als eigentliche Verursacher gerieten aus dem Blickfeld, stattdessen saßen die Staaten mit hohen Schulden auf der Anklagebank, weil sie nach gängiger Lesart „über ihre Verhältnisse gelebt haben“.

Mit lebhafter Unterstützung der dankbaren Banker machten Politiker, allen voran Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, die Staatsschulden zum Hauptthema. Das deutsch-französische Gespann kannte für die Staaten der Europäischen Union nur noch eine Devise: sparen, sparen und nochmals sparen – bis hin zum EU-Fiskalpakt, dem sich bisher nur die Briten und die Tschechen verweigern.

Mit diesem Schritt beendeten Deutschland und Frankreich auch die Renaissance keynesianischer Nachfrageprogramme, obwohl sich gerade die als wirksames Mittel gegen die Kollateralschäden der Finanzkrise in der Realwirtschaft bewährt hatten, und zwar weltweit.

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Die Bürger seien mit dem „Begriff ‚Schuldenkrise‘“ auf „eine falsche Fährte gelockt“ worden, moniert der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. „Damit wird verschleiert, dass wir eigentlich eine Krise der Finanzwirtschaft und der Banken haben, weil diese sich in Spekulation statt in solider Kreditfinanzierung verausgabt haben.“

Mit Ausnahme Griechenlands, das sich mit falschen Statistiken in die Währungsunion gemogelt hatte, lasse sich den Staaten, die wegen zu hoher Schulden als gefährdet gelten, eine unsolide Haushaltspolitik „nicht nachweisen“, erklärt auch die Koblenzer Wirtschaftsprofessorin Renate Neubäumer.

Und auch außerhalb Deutschlands vertreten Experten diese Ansicht: „Die eigentliche Ursache für den Anstieg der Staatsverschuldung in den einzelnen Staaten“ sei die Finanzkrise. Die Regierungen hätten „die Scherben aufsammeln“ müssen, die private Banken angerichtet hätten, sagt der belgische Wissenschaftler Paul de Grauwe.

Tatsächlich hatten Spanier und Iren vor der Krise noch Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, und ihr Schuldenberg war, gemessen an der Wirtschaftsleistung, weitaus geringer als der deutsche. Spanien, in deutschen Medien stets mit dem Attribut „hoch verschuldet“ belegt, hat heute noch deutlich weniger Schulden als das vermeintlich solide Deutschland.

Doch wer wird eigentlich gerettet mit den Paketen, die von den Eurostaaten für Griechenland, für Portugal, für Irland geschnürt wurden und künftig vielleicht auch für Spanien oder Italien? Es sind nicht die Bürger, nicht Handel und Gewerbe, nicht Bildungs- und Forschungsinstitutionen, die allesamt schwer unter den Folgen der Krise zu leiden haben. Die Krisenstaaten selbst haften zwar für die neuen Kredite, fungieren aber lediglich als Pumpstation, die das Geld weiterleitet an die Gläubiger – Banken, Versicherungen, Hedgefonds.

Ein typisches Beispiel sind die „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“, so der amtliche Titel der Parlamentsdrucksache zum zweiten Griechenlandpaket, das der Bundestag Ende Februar billigte. Auf knappen fünf Seiten wird beschrieben, wie die 130 Milliarden Euro verwendet werden sollen: Mit 71,5 Milliarden Euro wird die „Zahlungsfähigkeit im Rahmen eines mehrjährigen Hilfsprogramms dauerhaft“ gesichert; das Geld bekommen die privaten Gläubiger, sobald Zinsen und Tilgung laufender Kredite fällig werden.

Weitere 23 Milliarden Euro sind als Not-Kapitalspritzen für griechische Banken vorgesehen oder für Abwicklungskosten, falls eine von ihnen geschlossen werden muss. 35,5 Milliarden Euro sind schließlich dazu bestimmt, den Gläubigern den Schuldenschnitt – im Bankenjargon „haircut“ – schmackhafter zu machen.

Für die Eurostaaten wickelt die sogenannte EFSF, eine Aktiengesellschaft nach luxemburgischen Recht, die Zahlungen ab. Chef der nur ein Dutzend Beschäftigten ist der deutsche Klaus Regling, ehemals Generaldirektor der EU?Kommission. Bis Ende März hat Regling die ersten 31,2 Milliarden nach Athen überwiesen.

Wird es Griechenland schaffen?

Empfänger ist die staatliche, griechische Schuldenagentur. Deren Chef Petros Christodoulou, ein international erfahrener Banker, hat bei der Verteilung keinen Spielraum. Deutschland hat durchgesetzt, dass die Überweisungen aus Luxemburg ausschließlich auf ein Sonderkonto gebucht werden, damit kein Cent für fremde Zwecke abgezweigt werden kann. Von dort fließt das Geld zurück an die privaten Gläubiger, Finanzhäuser in Frankreich, Deutschland und fünf weiteren europäischen Ländern, insbesondere aber in Griechenland selbst.

Vor allem über die Zahlungen an die heimischen Banken regt sich der deutsche Ökonom Max Otte auf: Die seien „oft in der Hand griechischer Milliardäre und Oligarchen. Das sind die Akteure, die wir ‚retten‘.“ Weder Europa noch die griechischen Bürger profitierten davon, schimpft Otte, der den weltweiten Finanzcrash bereits 2006 vorhergesagt hatte.

Angela Merkels Vorstellungen, wie „Griechenland wettbewerbsfähig zu machen ist“, sind in der Anlage der Bundestagsdrucksache zum zweiten Griechenlandpaket, 736 Seiten stark, nachzulesen. Vermutlich kennt sie kaum ein Parlamentarier.
Danach sollen die tarifvertraglich vereinbarten Mindestlöhne um 22 Prozent, für die unter 25-Jährigen sogar „ohne Ausnahmen um 32 Prozent“ gesenkt und per Gesetz auch die Dauer laufender Tarifverträge gekürzt werden.

Die öffentlichen Investitionen sinken um 400 Millionen Euro, niedrigere Pensionen werden gezahlt, und bei Arzneimittelausgaben soll eine Milliarde Euro eingespart werden.

Gleichzeitig müssen die Griechen bis Juni 2012 eine Reform der Einkommen-, Körperschaft-, Mehrwert- und Vermögensteuer durchziehen, „mit der das Steuersystem vereinfacht, Steuerbefreiungen aufgehoben und die Bemessungsgrundlagen verbreitert werden“ sollen – ein Vorhaben, das der deutsche Gesetzgeber seit Jahrzehnten vergeblich zu realisieren versucht.

Wie das die Griechen schaffen sollen, weiß nur die Troika, die Abgesandten von EU?Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Der Europa-Grüne Daniel Cohn?Bendit nennt sie nur die „neoliberalen Taliban“. Aber ihre Wünsche sind in Griechenland Gesetz, sonst gibt es keine neuen Kredite.

Die Frage ist, ob solche drastischen Konzepte die richtige Medizin sind. Für den Ökonomen Peter Bofinger ist die Antwort eindeutig: Es ist eine „tödliche Therapie“. Schließlich spart Griechenland schon seit Jahren. Seine Staatsausgaben sind, rechnet man die Kreditzinsen heraus, von 2009 bis 2011 um 17 Prozent gesunken. Die Mehrwertsteuer wurde von 19 auf 23 Prozent angehoben – mit dem Resultat, dass die griechische Volkswirtschaft seit 2008 immer stärker schrumpft.

In diesem Jahr liegt die Wirtschaftsleistung der Hellenen um 15 Prozent unter der des Vorkrisenjahrs 2007. Nach dem Motto der deutschen Agenda 2010 halten Bofinger wie auch sein Hamburger Kollege Thomas Straubhaar „Fordern und Fördern“ für notwendig: Die Krisenländer brauchen Strukturreformen und Wachstumsprogramme.

[gallery:Griechenland unter: Karikaturen aus zwei Jahren Eurokrise]

Nicht nur in Griechenland, auch in den anderen Ländern der Europeripherie zeitigen erzwungene Sparhaushalte negative Folgen. Irland, bisher bei der Konsolidierung als Musterschüler gelobt, fällt in die Rezession zurück ebenso wie Spanien und Italien; in Portugal schrumpft die Wirtschaft noch stärker als 2011.

Weniger Wirtschaftsleistung heißt weniger Staatseinnahmen, weniger Einkommen, mehr Arbeitslosigkeit, mehr Armut. Jeder zweite junge Spanier und Grieche ist ohne Arbeitsplatz, häufig trotz guter Ausbildung. In Irland, Portugal, Spanien und Griechenland reden sie längst von einer „lost generation“.

Kritik am Spardiktat von Merkel und Sarkozy kommt selbst von den Rating­agenturen, die in der Finanzkrise bisher nicht als sonderlich sozial aufgefallen waren. Standard & Poor’s argumentiert, ein Reformprozess, der allein auf fiskalischer Sparsamkeit basiere, sei wegen seiner Wirkung auf die Binnennachfrage und wachsender Sorgen der Konsumenten um Arbeitsplätze und Einkommen wenig erfolgversprechend – und stufte 13 von 16 Euroländern in der Bonität herab.

Viel schmerzhafter für Merkel: Gleich ein volles Dutzend Regierungschefs der Europäischen Union, insbesondere viele konservative Kollegen, opponierten gegen die Vorherrschaft von „Merkozy“ und ihre eindimensionale Ausrichtung der Gemeinschaftspolitik auf das verordnete Zwangssparen.

In einem gemeinsamen Brief an Ratspräsident Herman van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso verlangten die zwölf, darunter die Granden Mario Monti, Mariano Rajoy und David Cameron, das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der Union wiederherzustellen und für nachhaltiges Wachstum zu sorgen.

Das Bemerkenswerte: Unübersehbar attackieren sie den Kern von Merkels Krisenstrategie: „Die implizite Garantie, dass Banken grundsätzlich gerettet werden, stört den gemeinsamen Markt und muss beschränkt werden“; die Banken, nicht die Steuerzahler müssten Risiken und Kosten tragen.

Warum Merkel mit ihrem Zögern die Krise verschlimmert hat

Ausgerechnet die zu Hause als erfolgreiche Krisenmanagerin anerkannte Bundeskanzlerin hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die Kosten der Krisenbewältigung in unermessliche Höhen getrieben wurden. „Es war das deutsche Zögern, das die Griechenlandkrise verstärkte und zu der Ansteckung führte, die sie in eine Existenzkrise für Europa verwandelte“, urteilt der berühmte und gefürchtete Hedgefondsmanager George Soros.

Ihren Ursprung habe die Eurokrise, so seine Analyse, „in der Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, für Zahlungsausfälle nicht die Europäische Union, sondern jeweils die einzelnen Länder bürgen zu lassen“. Ähnlich argumentiert das renommierte Magazin International Economy, das den „Zickzackkurs“ der deutschen Regierungschefin für die exorbitanten Rettungskosten verantwortlich macht.

Mit ihrem ständigen Stop and go – erst gegen Rettungspakete, dann dafür, erst gegen Konjunkturprogramme, dann dafür, erst gegen Rettungsschirme, dann dafür, erst gegen Schuldenschnitt, dann dafür – hat Merkel die Furcht vor Zahlungsausfällen genährt, erst von Griechenland, dann in ganz Südeuropa. Innerhalb weniger Monate haben sich die Risikoaufschläge für die Staatsanleihen der Krisenstaaten vervielfacht.

Die hochrangigen Merkel-Kritiker treffen einen wunden Punkt: Das Risiko strauchelnder Banken ist in Deutschland von Anfang an auf den Steuerzahler abgewälzt worden. Das fing schon Ende Juli 2007 an – mehr als ein Jahr vor der Lehman-Pleite.

[gallery:Von Gipfel zu Gipfel: Versuche, den Finanzmarkt zu regulieren]

In Berlin regierte damals die Große Koalition. Die Bankenaufsicht drohte damals, die Industriebank IKB zu schließen. Sie hatte sich mit amerikanischen Hypothekenpapieren hoffnungslos verspekuliert. Die Bank, zu 38 Prozent im Eigentum des Bundes, war relativ unbedeutend.

In der Rangliste deutscher Kreditinstitute stand sie an 29. Stelle, noch ein paar Plätze hinter der Leipziger Sachsen Bank. Die Rettung, übers Wochenende vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück organisiert, kostete letztlich mehr als zehn Milliarden Euro meist öffentlicher Gelder.

In seinem Buch „Unterm Strich“ rechtfertigte Steinbrück den Griff in die Staatskasse: Alle Eingeweihten seien einmütig der Auffassung gewesen, dass sich „mit einer Insolvenz nicht nur unkalkulierbare Übersprungrisiken und Dominoeffekte auf dem gesamten Bankensektor ergeben könnten, sondern dass Deutschland darüber auch als Finanzplatz insgesamt schweren Schaden erleiden würde“.

Auf dieses Grundmuster ist Steinbrück in den folgenden Wochen immer wieder gestoßen: „Managementversagen, instabile Geschäftsmodelle von Banken, hohe Infektionsgefahren, Systemrelevanz selbst kleinerer Finanzinstitute“ und eben auch „konstruktive Zusammenarbeit mit ausgesuchten und verantwortungsbereiten Vertretern des Bankensektors“. Immer dabei: der Staat (beziehungsweise seine Diener) als letzte Geld- und Garantieinstanz.

Die Interessen der Banken vertrat dabei vor allen anderen immer einer: Josef Ackermann. Der Schweizer dirigierte nicht nur die mit Abstand größte deutsche Bank, sondern war gleichzeitig Präsident der IIF, der weltweit einflussreichsten Bankenlobby, in der sich 450 der wichtigsten Banken aus 70 Ländern organisiert haben.

Wie die Geldinstitute die Banken- zur Staatsschuldenkrise machen

Gern brüstet er sich bis heute damit, dass seine Bank keine Staatsgelder genommen habe – das galt allerdings nur für die Bundesrepublik; aus den US-Staatskassen kassierte sie 11,8 Milliarden Dollar für fällige Sicherheiten. Und vermutlich kam die Deutsche Bank so gut durch die Krise, weil sie die Risiken besser kannte als andere, hatte sie doch selbst solche der komplizierten hochspekulativen Papiere in den USA herausgebracht.

In der Krise kamen sich Merkel und Ackermann näher. Er kennt ihre Handy-Nummer, durfte seinen 60. Geburtstag im Kanzleramt feiern. Als Ratgeber konnte er in frühen Stadien die Bankinteressen einbringen. Selbstverständlich war Ackermann schon im Oktober 2008 dabei, als in einer nächtlichen kleinen Runde auf Einladung des Finanzministers die Idee des Bankenrettungsschirms entwickelt wurde.

Sogar am EU?Gipfel durfte er teilnehmen, zusammen mit Baudouin Prot, Chef der französischen Großbank BNP Paribas – ausgestattet mit einem eigenen Büro im Brüsseler Ratsgebäude, das Ackermann „bankers war room“ nannte. Offen ist weiterhin die Frage, wer in diesen Tagen wen kommandiert hat.

Auch bei seinem Angebot im Frühjahr 2010 einer von den Banken mitfinanzierten schnellen Griechenlandhilfe hatte Ackermann durchaus eigene Interessen im Sinn. Seine Bank hatte selbst griechische Staatsanleihen in den Büchern. Wichtiger war ihm, den damals noch großen Eifer in der Politik zu dämpfen, die aus dem Ruder gelaufene Finanzbranche durch schärfere Regeln an die Kandarre zu nehmen.

[gallery:Die Chronik der globalen Finanzkrise]

Kein Wunder, dass die Entscheidungen in Berlin und der Eurozone stets Rücksicht auf die Interessen des Geldgewerbes genommen haben. So hat eine gigantische Umverteilung des Geschäftsrisikos der Banken auf den Staat und damit auf den Steuerzahler stattgefunden. Rückblickend ist es wohl der größte PR-Coup aller Zeiten, dass es den Bankenvertretern gelungen ist, die Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise umzuetikettieren.

Wie groß das Haftungsrisiko für die Steuerzahler inzwischen tatsächlich ist, darüber streiten sich die Experten, weil das undurchschaubare System von verschiedenen Rettungsschirmen mit staatlichen Garantien, Krediten, Rekapitalisierungen, Risikoübernahmen die wahren Belastungen verschleiert.

Noch nie in der Geschichte der Geldbranche haben „so wenige so vielen so viel Geld zu verdanken“, sagte der britische Notenbankgouverneur Mervyn King schon im Herbst 2009, als die teuersten Rettungsnetze noch gar nicht geschaffen waren.

Nach einem vom Münchner Ifo-Wirtschaftsforschungsinstitut errechneten aktuellen „Haftungspegel“ summieren sich die Haftungssummen der Euroländer auf über zwei Billionen Euro. Bei einem – allerdings unwahrscheinlichen – völligen Zahlungsausfall der „GIIPS-Länder“ (Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien) belaufe sich allein der deutsche Anteil auf 661 Milliarden Euro. Daneben existiert aber noch der im Frühjahr wiederbelebte nationale Rettungsschirm von 500 Milliarden Euro für deutsche Banken.

Warum Merkel für das Bild des hässlichen Deutschen verantwortlich ist

Die endgültige Rechnung wird Europas Bürgern wohl erst Jahre, zum Teil Jahrzehnte später präsentiert werden – zum Teil haften die Steuerzahler bis zu drei Jahrzehnte dafür, dass die Banken pünktlich Schulden und Zinsen ihrer staatlichen Schuldner erhalten.

Aus dem schwelenden Brand im vergleichbar kleinen Griechenland wurde ein wahrer Feuersturm. Fast wie im Pyromanenrausch suchten Bankanalysten, Hedgefondsmanager, Politiker, Journalisten immer neue Opfer, die Ratingagenturen fungierten zudem als Brandbeschleuniger.

Es wirkte, als hätte die Finanzbranche ein neues Geschäftsmodell entwickelt: erst einen zum Wackelkandidaten küren, Panik erzeugen, dann die Zinsen erhöhen, abkassieren. Seltsam, dass das Modell nur in Euroland angewendet wurde. Dabei sind die Staatsdefizite und Schuldenberge in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Japan weitaus höher.

Merkwürdig auch, dass sich Merkel über die Europäische Zentralbank mokierte, die während Merkels Untätigkeit die Kastanien aus dem Feuer holte, indem sie südeuropäische Staatsanleihen aufkaufte. Und nur weil die EZB den Banken eine Billion Euro zu einem Zinssatz von 1 Prozent lieh – ein Geschenk für die Banken –, sprechen Voreilige schon von einer Krisenentspannung.

„Wir werden darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Verfassung für die internationalen Finanzmärkte bekommen, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt“, versprach die Kanzlerin. Der „wichtigste Punkt“ sei: „Keine Bank darf mehr so groß sein, dass sie ganze Staaten erpressen kann.“

An den staatlichen Regeln hat sich aber bisher nichts Wesentliches geändert, weil sich die Aufmerksamkeit auf die Staatshaushalte verlagert hat. Damit die Banken aber nicht mehr „too big to fail“ sind, müsste die enge Vernetzung zwischen den Kreditinstituten beendet werden.

Notwendig wäre eine effektive gemeinschaftliche europäische Bankenaufsicht. Schattenbanken treiben weiter ihr Unwesen. Von Eurobonds oder einer europäischen Ratingagentur, um die verhasste amerikanisch beherrschte Branche zu entmachten – nichts zu erkennen.

Auch das Gründungs- und Grundproblem der Währungsunion hat die Politik bisher nicht in den Griff bekommen: Es gibt keinen Ausgleich zwischen exportstarken und ­?schwachen Ländern. Jahr für Jahr exportiert die Bundesrepublik weitaus mehr als sie importiert. Dieser Zahlungsbilanzüberschuss taucht bei den Handelspartnern zwangsläufig als Schulden wieder auf. Eine engere politische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die auch eine Transferunion umfasst, könnte eine Lösung sein.

Wer aber, wie die Bundeskanzlerin, über faule Südeuropäer herzieht, während dort zur gleichen Zeit Zehntausende junger Menschen gegen den Mangel an Arbeitsplätzen demonstrieren, wer undemokratische Ideen wie das Verschieben von Wahlen propagiert, weil vielleicht nicht die erwünschte Mehrheit herauskommt, der darf sich nicht wundern, dass sich in solchen Ländern das Bild vom hässlichen Deutschen verbreitet.

In spanische Zeitungen hat bereits das deutsche Wort „Diktat“ Eingang gefunden. Und die Idee aus dem Kanzleramt, einem EU-Sparkommissar Athens Budgetrecht zu übertragen, hat nicht nur die Griechen, sondern auch Franzosen und Briten entsetzt.

Vor der Finanzkrise wäre Merkels Erklärung zur Zukunft Europas – „Wir müssen Schritt für Schritt eine politische Union schaffen“ – eine Verheißung gewesen. Heute klingt es in den Ohren vieler Europäer wie eine Drohung.

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