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Schweizer Exzesse - Warum man die Marktradikalen zum Teufel jagen muss

Dass die Schweizer Anfang März mit deutlicher Mehrheit für die Abschaffung von Gehaltsexzessen im Spitzenmanagement gestimmt haben, schockiert den Geldadel und seinen Klerus. Der Neofeudalismus wird entlarvt. Und deutsche Medien zeigen sich erstaunt über das „merkwürdige Bergvolk“.

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Zur Volksabstimmung gegen exzessive Managerlöhne und Boni in der Schweiz, der sogenannten Abzocker­initiative, druckte die Süddeutsche Zeitung folgende Formulierung: „Das merkwürdige Bergvolk ist zu Wutausbrüchen fähig.“

Ein Sätzchen, das in dreierlei Hinsicht zu denken gibt.

Erstens erscheinen die Schweizer deutschen Journalisten gerne als drollig oder putzig, als knorrige Bergler, jedenfalls nicht als ebenbürtige Nachbarn wie Franzosen, Niederländer oder Polen – irgendwie anders, vor allem als nicht sonderlich ernst zu nehmend, exotisch.

Zweitens sind die merkwürdigen Bergler zwar zu temporären Ausbrüchen fähig, nicht aber zum Weitblick über ihre schneebedeckten Gipfel hinweg, wie die Abstimmung vom 3. März ja wohl zweifelsfrei belegt.

Drittens lässt sich das Schweizer Volk in seinen Willensbekundungen von unberechenbaren Gefühlen wie Wut leiten, nicht aber von kühler, sachlicher Analyse.

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All das schwingt in dem Sätzchen der Süddeutschen Zeitung mit. Doch was hat die Wahrnehmung deutscher Journalisten mit der Schweiz zu tun?

Unter den 14 weltweit führenden Industrieländern steht die Schweiz im Rating der Hochtechnologie auf Rang eins mit ihrem Maschinenbau, darunter Textil- und Werkzeugmaschinen, Automaten und Roboter; auf Rang eins mit ihren wissenschaft­lichen Präzisionsinstrumenten; auf Rang eins mit ihrer Pharmaindustrie; auf Rang zwei mit ihrer Chemieproduktion.

Allein der Wert aller Exporte der Schweiz pro Jahr und Kopf der Bevölkerung beträgt nach neuesten Zahlen 40.000 Dollar. Deutschland exportiert für 18.000 Dollar pro Kopf, die USA für 4200.

Die Schweizer: ein Bergvolk?

Elektro-, Maschinen-, Metall- und Uhrenindustrie in diesem Land geben 340.000 Menschen Arbeit, Groß- und Einzelhandel 445.000 Beschäftigten, das Gesundheitswesen fast ebenso vielen, 540.000.

Die Schweizer: ein Bergvolk?

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Die Schweiz beiderseits der Autobahn zwischen Romanshorn im Osten und Genf im Westen bietet das Bild dazu: eine Landschaft, vollgestopft mit Industrie und Gewerbe, planlos zersiedelt, von Verkehrsinfrastruktur zerteilt.

Die Schweiz ist eine Industrienation wie kaum eine zweite, wahrscheinlich die wettbewerbsfähigste der Welt.

Und nun haben die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes – seine Wirtschaftsbürgerinnen und -bürger! – den Abzockern mit Zweidrittelmehrheit eine krachende Abfuhr erteilt.

Das Düsseldorfer Handelsblatt zeigte sich erstaunt: „Mit der Annahme der sogenannten Abzockerinitiative gibt sich ausgerechnet die sonst wirtschaftsfreundliche Schweiz das wohl strengste Aktienrecht.“

Auch dieses deutsche Sätzchen gibt zu denken, vor allem die Formulierung: „sonst wirtschaftsfreundliche Schweiz“.

Denn das ist ja gerade die Pointe: Der wirtschaftsfreundliche Schweizer Souverän hat auch diesmal wirtschaftsfreundlich entschieden – gegen die Feinde der Wirtschaft!

In den Ohren von Wirtschaftsjournalisten mag dies zunächst absurd klingen, doch es ist stringent und konsequent: Die Schweizer Stimmbürger stellen sich nicht feindlich gegen, sondern im Gegenteil schützend vor ihren heimischen Kapitalismus. Und sie exerzieren damit vor, was auch für andere Nationen die dringend nötige Gefechtsordnung beschreibt.

In aller Welt hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Kaste etabliert, in den Befehlszentralen der größten Unternehmen installiert, sich mit weiten Teilen der Politik alliiert – und die soziale Marktwirtschaft unterminiert.

Erst Boni-Exzesse und Bankenkrise machten deutlich, was da die Demokratie bedroht: der Neofeudalismus eines von allen guten Geistern verlassenen, von allen gesellschaftlichen Regeln befreiten Geldadels. Wobei dem erblichen Adel von anno dazumal nicht böswillig Falsches nachgesagt werden soll, bewegte er sich doch kulturell und intellektuell auf einer erheblich höheren Ebene als die Hütchenspieler des Spätkapitalismus.

Ja, es geht um die Usurpation des demokratisch-kapitalistischen Systems. Die neuen Feudalherren sichern dabei nicht nur ihren Machtanspruch über Kapital- und Firmenkonglomerate. Die Beherrscher des globalen Wirtschaftsgeschehens haben, wie es sich für Feudalherren gehört, auch eine Kirche in ihren Dienst gestellt. Deren höhere Würdenträger, gewissermaßen die Bischöfe und Kardinäle, werden von universitär bestallten Groß-Ökonomen verkörpert. Die Aufgaben des niederen Klerus, also der Pfäffchen, erfüllen beflissen die Wirtschaftsjournalisten.

Es herrscht emsiges Treiben in diesem neuen Machtgefüge, unter anderem ablesbar an den Kommentaren nach dem Schweizer Entscheid. Da beschwor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, gar das „Fin du Capitalisme“ und forderte seine Mitprälaten auf, sich dem Untergang beherzt entgegenzustellen.

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Die Schweizer Abzockerinitiative ist nicht von ungefähr durch den mittelständischen Mundwasser-Hersteller Thomas Minder lanciert worden. Ein neuer Klassenkampf zeichnet sich ab: Unternehmertum gegen Nehmertum – Patrons gegen Manager. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Klassen: Unternehmer arbeiten mit eigenem Geld, tragen persönliche Verantwortung, sind als ökonomische Elite in der Gesellschaft engagiert, traditionell in ihr verwurzelt – oft seit Generationen.

Manager dagegen sind weder Unternehmer noch Arbeitnehmer, sie operieren mit fremdem Geld, bewegen sich in der Gesellschaft profitgetrieben wie Söldnerführer. Zur Rechtfertigung ihrer Gier nach Geld und Macht bedienen sie sich einer passenden Ideologie: des Marktradikalismus, einer ökonomistischen Heilsbotschaft religiösen Zuschnitts, letztlich eines ins Gegenteil gewendeten Marxismus – des Marktismus.

In der Vorstellung seiner Gläubigen und deren Apostel gipfelt diese Lehre vom Nächsten, der sich jeder am besten selber sei, im Bild eines üppig gedeckten Tisches der Reichen und Superreichen, von dem doch genügend Krümel fürs gemeine Volk nach unten rieselten: ein neofeudales Abendmahl.

Dem stehen in unserer neuzeitlich-aufgeklärten Gesellschaft jedoch die bürgerlichen Verhältnisse entgegen. Also gilt es für die neuen Masters of the Universe, Werte und Institutionen des Bürgertums zurückzudrängen, ja zu beseitigen – allen voran den bürgerlichen Staat mit seinen demokratischen Regeln.

Denn der demokratische Staat ist das Feindbild der Marktbesessenen. Der Meisterdenker dieser Religion, Friedrich August von Hayek (1899 bis 1992), verachtet die Demokratie als „ein durch das Erpressungs- und Korruptionssystem der Politik hervorgebrachtes System“, als einen „Wortfetisch“, mehr nicht.

Zu von Hayeks Dogmen gehört ferner, dass demokratische Entscheide ausschließlich von jenen zu fällen seien, die davon selbst betroffen sind. Will heißen: Nur Reiche sollen darüber befinden dürfen, wie viel Steuern Reiche an den Staat, also die Allgemeinheit, zu zahlen haben. Auch so lässt sich die Abschaffung der Demokratie bewerkstelligen. Vom Prinzip des „One Man – One Vote“ zum Wahlrecht nach Klassenzugehörigkeit. Feudalismus 2013. Von Hayek predigte dies bereits in den fünfziger Jahren, als im freien Europa noch der Rheinische Kapitalismus als sozial gerechtes Demokratiemodell triumphierte.

Heute liest man derlei Putschisten-Fantasien beispielsweise in der Neuen Zürcher Zeitung. Das Stammblatt der Schweizer Wirtschaft, ein Osservatore Romano für Neoliberale, belehrte eben gerade seine Leser, dass Mehrheiten nicht einfach Mehrheiten seien, sondern sich nach den Folgekosten eines Volksentscheids richten müssten: „Je höher diese Kosten sind, desto höher sollte die Hürde für die Annahme solcher Vorlagen sein. Die sinnvolle erforderliche Ja-Quote kann also auch bei 60 oder 70 Prozent liegen.“ Weiter dozierte die NZZ: „Eine Ausweitung der Staatsaufgaben und Staatsausgaben ist bei den heutigen riesigen Staatsquoten im Grunde eine zu ernste Sache, als dass man sie einfach so locker mit einer einfachen Mehrheit genehmigen kann.“

Man darf das auch so lesen: Schluss jetzt mit dem demokratischen Firlefanz!

Einst hat das Bürgertum mit Demokratie und Kapitalismus die Feudalherren samt Klerus zum Teufel gejagt. Eine historische Leistung. Sie führte zur erfolgreichsten Gesellschaftsordnung der Geschichte.

Wie gesichert ist sie? So lange, wie es Bergvölker gibt.

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