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(picture alliance) Das deutsche Privatvermögen ist fast doppelt so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt

Schuldenabbau - Her mit der Zwangsabgabe für Reiche!

Um den verschuldeten Staatshaushalt zu sanieren, schlagen Wirtschaftsexperten eine Zwangsabgabe auf hohe Privatvermögen vor, kombiniert mit Zwangsanleihen. Eine geniale Idee, die unbedingt mal in Deutschland getestet werden sollte. Ein Kommentar

Er war ein ausgefuchster Mann, dieser Adam Smith. Was der Vordenker der klassischen Volkswirtschaft schon im 18. Jahrhundert zu Papier brachte, hätte heute auch jeder Griechenlandexperte sagen können: „Die Entschuldung der öffentlichen Finanzen ist, wenn sie überhaupt jemals zustande gebracht wurde, immer durch ein Bankrott zustande gebracht worden; manchmal durch offenen, immer aber durch einen faktischen Bankrott, häufig freilich durch vorgetäuschte Tilgung verschleiert.“

Die „vorgetäuschte Tilgung“ – also eine scheinbare Rückzahlung von Schulden, wie sie derzeit unter dem Begriff der „Zwangsabgabe“ diskutiert wird, scheint in der Geschichte tatsächlich erprobt zu sein. Die Beispiele, die Andreas Becker in „Staatsverschuldung und Umweltzerstörung“ auflistet, sind schwindelerregend. Zwangsanleihen kannte man schon im alten Griechenland, doch richtig modern wurden sie erst bei den Stadtstaaten im Mittelalter und in der Zeit der Aufklärung. So behielt der französische König Ludwig XI. im 15. Jahrhundert die Löhne seiner Beamten ein und deklarierte sie zu Anleihen. Spaniens Karl V. erlegte Adel und Klerus dieses finanzpolitische (Folter-)Instrument auf – und hundert Jahre später versuchte auch der englische Karl I., mit Zwangsanleihen die königliche Schatulle aufzufüllen. Genutzt hat es ihm wenig: Die wütende Bürgerschaft billigte zwar die Steuern, ertrotzte sich im Gegenzug aber mehr parlamentarische Rechte. Karls Manöver bescherte England somit erste demokratische Errungenschaften.

Zugegeben: Die Tatsache, dass Monarchen ihre Untertanen austricksten, um an ihr sauer verdientes Geld zu kommen, ist nicht gerade ein gutes Argument für Zwangsanleihen. Diese nämlich sind Teil eines Vorschlags des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zur Bekämpfung der Schuldenkrise. Der sieht so aus: In einem ersten Schritt sollen reichere Mitbürger Zwangsabgaben auf ihr Privatvermögen leisten. Bei zehn Prozent auf Privatvermögen über 250.000 Euro ließen sich jährlich 230 Milliarden Euro eintreiben, ohne den Konsum zu beeinträchtigen, rechnete das DIW vor. Betroffen wären nur die reichsten acht Prozent der Bevölkerung. Den Angaben zufolge könnte Deutschland so seine Staatsverschuldung um knapp ein Viertel drücken. Der Widerstand gegen diese Abgabe wäre den Experten zufolge überschaubar, wenn die Vermögenden einen Teil ihres Geldes über Anleihen wieder zurückbekämen. Diese könnten sogar verzinst werden.

Zwangsabgaben, Zwangsanleihen – diese Wörter klingen mindestens so übel wie „Zensursulas“ Internetsperren oder Schröders Ausgehverbot für Teenager. Doch bei diesen geldpolitischen Maßnahmen handelt es sich weder um Verbote noch schränken sie bürgerliche Freiheitsrechte ein. Schließlich muss der Staat in einem Gemeinwesen immer mal wieder legal „Zwang“ ausüben – mindestens in drei wichtigen Bereichen: bei der Sozialisation seiner Bürger durch das Bildungssystem, bei der Ausübung des Gewaltmonopols (z.B. im Strafvollzug) und bei seiner Finanzierung respektive Besteuerung.

So wie ein Hocker nicht nur auf zwei Beinen stehen kann, so gerät auch der Staat in eine Schieflage, wenn es in einem dieser drei Bereiche Probleme gibt. In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich insbesondere in das dritte Standbein – die Staatsfinanzierung – der Holzwurm gebohrt. Aufbau Ost, demografischer Wandel – und damit einhergehend steigende Kosten im Renten- und Gesundheitsbereich – haben gewaltige Löcher in das Staatssäckel gefressen, hinzu kamen Einnahmeausfälle durch einen Rückgang der Zahl der Steuerpflichtigen. Durch die Rettungspakete in der Finanzkrise sprang die Staatsverschuldung zusätzlich in die Höhe. Heute beträgt sie 81 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während der Maastricht-Vertrag höchstens 60 Prozent vorschreibt. Die Lage ist so arg, dass kaum noch Geld übrig bleibt für die wohl wichtigste Staatsaufgabe, die Sozialisation – sprich, den Ausbau von Kindergärten und Investitionen in die Bildung.

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Anstatt die Einnahmeseite zu verbessern, sind die Steuern in den vergangenen Jahrzehnten schrittweise gesunken. So lag der Spitzensteuersatz unter Kohl bei 53 Prozent, heute beträgt er 42 Prozent. Reichensteuer und Spitzensteuersatz haben allerdings einen Nachteil: Sie befördern die Steuerflucht und Schwarzkonten, gegen die der Staat auch nur mit Zwang antworten kann.

Dabei wird das Privatvermögen der Deutschen – ohne Sachwerte und Immobilien – auf rund 4,9 Billionen Euro geschätzt – das ist fast das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts von 2011 (2,5 Billionen Euro). Wenn irgendwo Geld holen, dann hier.

Als Vorbild für die Zwangsanleihe, in das ein Teil der geleisteten Abgaben verwandelt würde, könnten klassische Bundeswertpapiere dienen. Trotz der Staatsschuldenkrise gelten deutsche Anleihen noch immer als langfristig sichere Anlage, zumal sich die deutsche Wirtschaft robust zeigt. Das einzige Risiko für die Inhaber der neuartigen Zwangsanleihen wäre der Totalausfall Deutschlands, also der Staatsbankrott. Es ist aber anzunehmen, dass in einem solchen Fall nicht nur die Anleihebesitzer, sondern so ziemlich jeder Marktteilnehmer am Abgrund stünde. Wirtschaftsinfarkt und Massenarbeitslosigkeit inklusive.

Dass der Vorschlag des SPD- und gewerkschaftsnahen „roten“ DIW tatsächlich nicht abwegig ist, bestätigte am Mittwoch sogar Wolfgang Schäubles (CDU) „schwarzes“ Bundesfinanzministerium. Für manche Euro-Staaten sei die Maßnahme „interessant“, sagte Ministeriumssprecher Martin Kotthaus. Das gelte insbesondere für jene Länder, „in denen sie ein besonders schwieriges Verhältnis haben zwischen dem Steueraufkommen und dem Privatvermögen“. Beispiel Griechenland, wäre hinzufügen. In Deutschland, das über einen „solide finanzierten Haushalt“ verfüge, sei das laut Kotthaus aber kein Thema. Doppelmoral!, möchte man dem Finanzminister angesichts solcher Gedanken da zurufen. Warum wäre für andere gerade recht, was für Deutschland undenkbar ist? Besser wäre es, die Bundesrepublik würde als europäisches Vorbild fungieren.

Tatsächlich ist die Idee der Zwangsanleihen hierzulande nicht neu. Bislang waren die Versuche jedoch von wenig Erfolg gekrönt. 1922 sollten mit Zwangsanleihen die drastischen Schulden vom ersten Weltkrieg getilgt werden, doch wegen der Inflation waren sie Ende 1923 praktisch wertlos. In den Siebzigern plante die damalige SPD-Regierung eine erneute Einführung, um den Wohnungsbau zu fördern. Doch das Bundesverfassungsgericht erklärte eine solche Maßnahme 1984 für nichtig. Zwangsanleihen dürften nicht „zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben“ verwendet werden. In anderen Worten: für ganz konkrete politische Maßnahmen wären sie schon zulässig. Wegen des Karlsruher Urteils schreckten Politiker seitdem immer wieder davor zurück, Zwangsanleihen tatsächlich einzuführen. So auch kurz nach der Wende und nach der Finanzkrise 2008, als die SPD damit das Konjunkturpaket abfedern wollte. Entsprechend kommt auch jetzt wieder Kritik: SPD-Fraktionsvize Joachim Poß äußerte in der „Welt“ am Donnerstag verfassungsrechtliche Bedenken.

Immer hallte bei diesen Urteilen wohl Adam Smiths Erkenntnis wider: Staaten hätten ihre Entschuldung eben zu oft „durch vorgetäuschte Tilgung verschleiert“. Deswegen ist es umso wichtiger, dass jetzt nichts verschleiert wird, dass offen diskutiert und, wenn nötig, gesetzgeberisch gehandelt wird. Die Politik darf nicht einknicken vor der Drohung der roten Roben; diese sollte vielmehr ein Ansporn sein. Denn der andere Weg, den Smith aus der Entschuldung zeichnete, ist noch viel beängstigender: der faktische Bankrott.

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