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Kris Krug/Flickr/CC

Ökonomin Esther Duflo - Die moderne Mutter Teresa

Was wirkt gegen Krankheit und Armut? Die Ökonomin Esther Duflo testet das systematisch. Anfangs stieß ihre Methodik vor allem bei NGOs auf Widerstand. Jetzt wird sie für den Nobelpreis gehandelt 

Autoreninfo

Christine Mattauch ist freie Wirtschaftskorrespondentin. Sie lebt und arbeitet seit 2007 in New York.

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Klein. Frau. Französin. In der von großen, meist männlichen Egos geprägten Welt der amerikanischen Ökonomen ist Esther Duflo exotisch. Zumal sie über Armut forscht – für ehrgeizige US-Jungakademiker ähnlich attraktiv wie beten. Aber Duflo hat die Außenseiterdisziplin Entwicklungsökonomie mit ihrer Arbeit revolutioniert. Bill Gates liest ihre Bücher, Weltbank-Chef Jim Yong Kim gehört zu ihren Fans – und U2-Sänger Bono gratulierte persönlich zum 10.  Jubiläum des von Duflo gegründeten Poverty Action Lab am Massachussets Institute of Technology im vergangenen Dezember.

Esther Duflo misst Wirksamkeit von Spenden


Das Besondere an Duflo ist, dass sie in einem vorher von Theoretikern und Ideologen beherrschten Fach einfache Fragen stellt und mit empirischen Experimenten die Antworten liefert: Wie verbessere ich den Impfschutz in indischen Dörfern? Wie stoppe ich die Verbreitung von Malaria? Was muss ich machen, damit mehr Schüler in Kenia die Schule besuchen?

Für ihre Experimente wendet Duflo eine seit Jahrzehnten in der Arzneimittelforschung bewährte Methode an, Zufallstests mit Kontrollgruppen. Sie teilt die Bevölkerung einer Region in zwei Gruppen ein, die eine bekommt die „Behandlung“ – geschenkte Moskitonetze, Gratisimpfungen oder neue Schulbücher –, die Kontrollgruppe muss dafür bezahlen oder bekommt gar keine Behandlung, je nach Ausgestaltung des Versuchs. Auf diese Weise kann Duflo messen, ob Spenden und Hilfsmaßnahmen überhaupt wirken. Das ist ziemlich aufwendig und unbequem – und führt immer wieder zu überraschenden Ergebnissen.

Wurmkuren fördern den Schulbesuch


Ein Test in Kenia ergab, dass ausgerechnet Wurmkuren das beste Mittel waren, um den Schulbesuch von Kindern zu fördern – die Impfungen brachten mehr als kostenlose Schulbücher oder Zusatzlehrer. In Indien war es ein geschenktes Paket Linsen, das die Eltern dazu brachte, ihre Kinder zur Impfstation zu bringen. Bei den Moskitonetzen stellte sich heraus, dass die Gruppe, die sie gegen einen Gutschein umsonst in der Apotheke bekam, am häufigsten die Netze benutzte und außerdem bereit war, ein Jahr später weitere Netze zu kaufen.

In den Kontrollgruppen, die nur einen Rabatt erhielten, besorgten sich viel weniger der Probanden überhaupt ein Netz. Mit dem Experiment war widerlegt, dass geschenkte Netze nicht benutzt würden und eine Almosenmentalität förderten.

Duflo sagt selbstbewusst: „Wir beenden das Rätselraten über die Wirksamkeit von Hilfsmaßnahmen.“ In der Entwicklungshilfecommunity hat sie sich mit ihrer Methode anfangs allerdings nicht besonders beliebt gemacht. NGOs waren beleidigt, dass sie ihre gut gemeinten Hilfsprogramme anzweifelte und warfen ihr vor, sie mache Menschen zu Versuchskaninchen. Dabei ging es Duflo immer nur darum, knappe Mittel effizient einzusetzen – gerade in der Hilfe für die Armen.

Deswegen widerspricht sie auch dem Mantra von Jeffrey Sachs, lange Zeit der Entwicklungshilfepapst von der New Yorker Columbia University, Armut lasse sich nur mit mehr Geld wirksam bekämpfen. In Vorträgen präsentiert sie dazu gerne ein Chart, das zeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Afrika seit 50 Jahren beinahe konstant geblieben ist, obwohl die Entwicklungshilfe immer weiter steigt.

Armut schien ihr das größte Problem der Welt
 

Schon als Kind sah sich die Tochter einer Pariser Intellektuellenfamilie mit Armut konfrontiert: Ihre Mutter Violaine, eine Kinderärztin, half bei Projekten in der Dritten Welt. „Armut erschien mir als das größte Problem der Welt“, sagt Duflo. Als sie 1998 ans MIT kam und Abhijit Banerjees Vorlesungen über Entwicklungsökonomie hörte, war das für sie Erleuchtung und Berufung zugleich. Banerjee ist heute ihr Lebensgefährte und Mitbegründer des Poverty Action Lab, das inzwischen als weltweites Netzwerk mit fast 100 Wissenschaftlern in 54 Ländern vertreten ist.

Bei der Feier zum Jubiläum des Instituts sitzt Duflo still in der ersten Reihe: schwarze Jeans, schwarzer Blazer, wie üblich kein Schmuck. Es ist ihr Tag, sie könnte strahlen und triumphieren, aber sie steht nicht gerne im Mittelpunkt, ist eher unprätentiös. Später auf der Bühne, gefragt nach ihrem größten Erfolg, antwortet sie nur: „Kaum jemand stellt noch infrage, dass unsere Methode funktioniert.“ Ihre zahlreichen Auszeichnungen, wie die „John Bates Clark Medal“, die in der Zunft als Warteschleife für den Nobelpreis gilt, oder ihre Bücher, die in der französischen Heimat Bestseller sind, erwähnt die 41-Jährige gar nicht.

Was sie viel mehr beschäftigt: Beim Kampf um öffentliche Mittel hat sie einen schweren Stand, weil ihre Tests mehrere Jahre dauern – zu lange für Amtsträger, die Wählern schnelle Erfolge präsentieren wollen: „Wir müssen uns auf das Timing der Politik einstellen und überlegen, wie wir trotzdem zum Zuge kommen können.“ Da hilft es, dass sie einen guten Draht zu Bill Gates hat, dem Duflos datenbasierter Ansatz von Anfang an gefiel. Schon nach dem ersten Treffen sagte er zu ihr: „Wir müssen dich fördern.“

 

 

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