- Eine Branche verharrt im Gestern
„Wenn ich das Wort ‚Datenjournalismus‘ höre, bekomme ich Pickel“: Der diesjährige European Newspaper Congress in Wien tat viel dazu, sich gegen die Realität – die irgendwie mit dem Internet zu tun hat – zu stemmen
Für die Macher von Europas bestem Online-Projekt war dann leider kein Geld mehr da.
Drinnen die Party: Fischfilets, Schweinebraten und Dessertcrème; in der Festhalle des Wiener Rathauses gab sich die Elite der europäischen Zeitungsmacher die Ehre. Draußen im Regen: Journalismusschüler Matthias Bannert. Er und seine Mitstreiter haben Zoomberlin.com entwickelt, eine hyperlokale Webseite über eine einzige Straße – die Berliner Oranienstraße. Sie haben auf voller Linie abgesahnt: erst den European Newspaper Award in der Kategorie „Online“, am Tag danach den zweiten Platz in der Kategorie „Internet“ des Axel-Springer-Preises. Doch am „Winner’s Dinner“ in Wien durften die Zoomberlin-Macher nicht teilnehmen. Man habe sparen müssen, beschied der Veranstalter und Zeitungsgestalter Norbert Küpper. Die Kosten für das dreitägige Fest seien zu üppig gewesen. Also traf es die Onliner.
Der diesjährige European Newspaper Congress steht für das Spitzentreffen der Beharrer. Man bunkert sich in seiner glanzvollen Welt ein, während draußen die Moderne an die Tür klopft. Statt sie hereinzulassen, verleiht man sich Orden.
Und das nach einem dramatischen Jahr für die Medienindustrie. Die Financial Times Deutschland, die Westfälische Rundschau und die dapd Nachrichtenagentur sind Geschichte, die Frankfurter Rundschau ist pleite; überall in Europa sind Zeitungshäuser akut bedroht. So wie amazon den Einzelhandel überrollt, entzieht das Internet vielen Verlagen die Geschäftsgrundlage. Damit nicht genug: Die US-Journalismusforscherin Emily Bell prophezeite zu Beginn der Konferenz ein Massensterben in der Medienindustrie. Um für die Entwicklung gewappnet zu sein, müssten sich Zeitungen permanent neu erfinden. Der European Newspaper Congress hätte also der Ort für Selbstkritik sein müssen. Für einen digitalen Neustart. Für Innovationen. Zumindest für irgendetwas.
Immerhin: „Welt Kompakt“-Chef Frank Schmiechen gestaltete den Hintergrund seiner Powerpoint-Präsentation schwarz – um die Untergangsstimmung „farblich zu untermalen“. Ansonsten tauschte man Rezepte aus, die vor zehn Jahren schon als modern galten: lockeres Zeitungsdesign mit mehr Weißraum, freigestellte Fotos, tiefgründige Erzählgeschichten, Infografiken.
Aber „Zeitung“ heißt erstens nicht, dass alles nur auf Papier erscheinen muss. In den USA denkt bei der New York Times niemand nur an die Papierausgabe, sondern an ein Multimediaunternehmen. Zweitens waren die Kriterien, nach denen die Branchengewinner geehrt wurden, weder neu noch überraschend.
Für die Branche sind diese Kriterien im schlimmsten Fall das Signal, sich mit ein paar kosmetischen Änderungen retten zu können. So versuchte es etwa die Märkische Allgemeine aus Potsdam, die vor anderthalb Jahren von der FAZ an die Mediengruppe Madsack verkauft wurde. In dieser Woche verkündete das Blatt ein neues Layout. „Klarer, übersichtlicher, aufgeräumter“ sei dies, brüstete sich Chefredakteur Thoralf Cleven. Die Innovation: eine Reduktion der Spalten von sieben auf sechs. „Sieht aus wie der Schwarzwälder Bote vor dem Relaunch in den 80er Jahren“, schrieb Leser Ralf Kothe bei Facebook und setzte noch eins drauf: „6 gleich breite Spalten hat wohl kein Designer seit Einführung des WorldWideWebs mehr vorgeschlagen.“
Innovation? Ein Fremdwort auf dem Kongress. Ein Teilnehmer sagte, dafür sei es wohl „einfach noch zu früh“. Ein staunender Blick auf den Tabletjournalismus von Spiegel und SZ Magazin, das war es dann.
Das Internet? „Wenn ich das Wort ‚Datenjournalismus‘ höre, bekomme ich Pickel“, sagte Helmut Brandstätter, Chefredakteur des österreichischen Kurier, auf einer Podiumsveranstaltung.
Der Kurznachrichtendienst Twitter? „Braucht es nicht“, ergänzte Brandstätter. Einer der wenigen netzaffinen stellvertretenden Chefredakteure des Kongresses, Peter Jost von der Berner Zeitung, rief zu einem kleinen „Tweetup“ auf, einem Treffen aller Twitterer. Es kamen zwei Teilnehmer, darunter die Berichterstatterin. „Magere Ausbeute“, twitterte Jost.
Und wo bekommen wir digital kompetente Journalisten her? Auf diese Frage eines Konferenzteilnehmers antwortete Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters: „Wir müssen sie ausbilden.“
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Im Rathauskeller versuchte man das tatsächlich. Dort referierte eine Ausbilderin über „crossmediale Newsrooms“. Die Veranstalter: unter anderem die Leipzig School of Media und die Akademie für Publizistik Hamburg. Auf die Leinwand wurden Sätze projiziert wie: „Der Journalist interessiert sich für die allgemeine technologische Entwicklung.“
Sagt es eigentlich mehr über die Referentin oder über die Zuhörer aus, wenn ein solcher Allgemeinplatz Eingang in einen Vortrag findet?
Man hätte die Besucher der Internetkonferenz re:publica, die parallel in Berlin stattfand, auf den Zeitungskongress schicken sollen – und umgekehrt, twitterte Günther Hack. Er brachte damit die tiefe Kluft zwischen beiden Welten auf den Punkt: hier die Hippen, für die das Internet Teil ihrer DNA ist, dort die Riege der Traditionalisten, die nur in Zeitungsspalten denken.
Dabei müssen sich selbst letztere eingestehen, wohin der Trend geht. Sogar Award-Gründer Norbert Küpper: Er kaufe am Bahnhof nur noch selten eine Zeitung, sagte der weißhaarige Zeitungsmann Cicero Online. „Ich lese die Nachrichten auf meinem Handy.“
Dabei guckte er wie ein Bub, der bei einem Schabernack ertappt wurde.
Transparenzhinweis: Die akkreditierte Berichterstatterin stand nicht im Regen, sondern nahm selbst an der Tafelei teil
Hinweis: Herr Jost ist stellvertretender Chefredakteur der „Berner Zeitung“, nicht Chefredakteur, wie in einer früheren Version notiert.
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